Anständige Frauen

Text

von  ManouEla

Anständige Frauen wissen aus einem inneren Verständnis heraus um die Wichtigkeit des pünktlichen Eintreffens der Suppenschüssel auf dem Esstisch Schlag zwölf Uhr.

Sie haben einfach die bessere Zeiteinteilung. Niemals würden sie ohne vorherigen Friseurbesuch zur Feier von Onkel Oskars 50.Geburtstag erscheinen. Anständige Frauen setzen eben die richtigen Prioritäten.


Anständige Frauen machen sich nützlich, Sie denken praktisch und ihr Haushalt ist - wie der Rest ihres Lebens auch - sauber und perfekt organisiert. Sie entkalken regelmäßig ihre Kaffeemaschinen, haben im Schrank mindestens ein gutes Service und geben Parties für Plastikbehälter.


Anständige Frauen besiegen den morgendlichen Schrecken im Spiegel mit einem Klecks Collagen Creme, über den sie ein wenig Rouge pudern. Jugendliche Röte, die der Zeit ein Schnippchen schlägt - das wussten schon unsere Großmütter und deren Großmütter und kniffen und rieben ihre Wangen. Anständige Frauen wissen um solch geheime Wundermittel - überliefert von Generation zu Generation. 


Anständige Frauen machen keine Szenen, fordern keine schrecklichen Wahrheiten heraus, backen ihre Weihnachtsplätzchen ausschließlich mit echter Markenbutter und wissen ganz genau, wem gegenüber sie die intimsten Eigenheiten ihrer Männer ausplaudern. Einen Vertrauensbruch begeht man schließlich nicht mit jedem X-Beliebigen.


Anständige Frauen begehren nicht - noch nicht einmal als Antwort auf ein Begehren. Sie haben keine sexuellen Vorlieben und keine Fantasien. Sie träumen keine erotischen Träume - ihre Laken sind glattgestrichen, immer gut gespannt. Anständige Frauen sagen nie "ich will", sie vermitteln "na gut". In den Mantel der Sauberkeit gehüllt, verletzen sie damit nicht die Rollenbilder und brechen nicht mit Traditionen. Sie stoßen niemanden vor den Kopf und bekommen dafür zu Weihnachten die langersehnte neue Fritteuse und Gutscheinmünzen. 


Anständige Frauen bekommen Männer für's Leben. 


Unanständige bekommen diese Männer für Momentaufnahmen. Momente in denen Leben sich aufbäumt im Kampf gegen die Trugbilder und gegen die Gleichgültigkeit. Augenblicke, in denen das Schweigen gebrochen werden will. Augenblicke eines grellen Aufblitzen vor dem Zurücksinken in die feige Apathie des bequemen gegenseitigen versorgt Seins, in dem dann in Ruhe und mit viel Anstand weiter dem Tod entgegengestorben wird.


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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (01.03.23, 00:48)
Bemerkenswerter Text.


Anständige Frauen bekommen Männer für's Leben. 
oder sie laufen ihnen davon. 

Heutzutage laufen auch die Frauen davon. Ich würde wohl dazu gehören.

LG
Alma Marie

 ManouEla meinte dazu am 02.03.23 um 09:35:
Danke für deinen Kommentar!
Bin auch gelaufen (nicht heutzutage, ist schon länger her) - War nicht einfach, hab's aber nie bereut. 

Liebe Grüße,
ManouEla

 Regina (01.03.23, 10:29)
Der Text zeichnet ein treffendes Bild von bürgerlicher Spießigkeit, wie sie für die Nachkriegsjahrzehnte typisch war, die die Babyboomergeneration hervorgebracht hat. Solches Frauenverhalten mag es in Modifikationen heute auch noch geben, aber es ist nicht mehr typisch für dieses Jahrzehnt. Es wird jetzt mehr teilzeitgejobbt und mehr geschieden.

 ManouEla antwortete darauf am 02.03.23 um 09:44:
ja, die Babyboomergeneration - meine Generation. Ob es noch typisch ist? Ich weiß nicht so recht - in dieser Form wohl nicht mehr. Aber manchmal vermeine ich sehr wohl, Modifikationen zu erkennen. Teilzeitjob, Scheidung, Wohnungssuche, Geldsorgen.. mit ein paar Kindern im Schlepptau ist vermutlich nicht wesentlich prickelnder oder verlockender geworden. 

Liebe Grüße, 
ManouEla

 TassoTuwas (01.03.23, 12:15)
Hallo ManouEla,
so ein Text hat Konsequenzen.

Ich habe "anständige Frauen" soeben aus meinem Beuteschema gestrichen  :D !

Liebe Grüße
TT

 ManouEla schrieb daraufhin am 02.03.23 um 09:50:
Hallo TT, 

danke für deinen Kommentar. Das "Beuteschema" hat mir ein Schmunzeln auf's Gesicht gezaubert!  :)

Wär ich Jäger, würd ich ja Weidmannsheil wünschen, ..
aber so nur einfach: 

Liebe Grüße
ManouEla

 Judas (02.03.23, 09:39)
Guter Text (auch gut geschrieben) der eine extrem triste Realität vieler Frauen einfängt. Das "für's Leben" setzt richtig einen drauf. In Frustbeziehung bleiben mit einem "na gut".

 ManouEla äußerte darauf am 03.03.23 um 12:12:
Hallo Judas, 
Dankeschön! Schön, dass dir "für's Leben" so ins Auge gesprungen ist. der Ausdruck war bewusst als mehrfach zu deutend / zu interpretierend gewählt. 
Je nach Lesart des Einzelnen mag das von "ein Leben lang" über "lebenslänglich"(im bekannten juristischen Sinn) zu "im Gegenzug für ihr Leben" verstanden werden.


Liebe Grüße,
ManouEla

Antwort geändert am 03.03.2023 um 12:13 Uhr

 Judas ergänzte dazu am 03.03.23 um 12:16:
Ja, diese Offenheit gefällt mir, vor allem weil ja "Mann (oder Frau, whatever) für's Leben" üblicherweise positiv assoziiert wird. Was hier definitiv nicht zutrifft.

 Quoth (04.03.23, 09:03)
Aber es kann auch ein gewisses Heldentum von Verzicht und Disziplin in der von Dir angeprangerten Verhaltensweise stecken, nicht nur Unterwürfigkeit, Angepasstheit und Selbstaufgabe. Gruß Quoth

 FrankReich (04.03.23, 09:43)
Wer den Text im Hinblick auf die 'doppelte Unsichtbarkeit' liest, dürfte ins Grübeln kommen, um dem allerdings wirklich gerecht zu werden, hieße die logische Konsequenz, das von Dir angeschnittene Frauenbild satirisch in dieser Richtung noch etwas auszubauen und den letzten Absatz zu streichen. 👋😉

Ciao, Frank
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