Der König ist tot. Es lebe der König! (elegische Fabel)

Distichon

von  Quoth

Ostern, das herrliche Fest der Auferstehung des Fleisches,
war gekommen und rief Tiere in großer Zahl,

sich zu versammeln, um ihn, den gerechten, brüllenden Löwen,
anzuvertrauen dem Grab, da ihn ein Jäger erlegt.


Trauernd am frischen Grabe senkten die Tiere die Köpfe,
ratlos wie’s weiterging in der gefährlichen Welt.


Wer sollte Nobel folgen? Wer war so weise, wie er war?
Keiner warf in den Ring kandidierend den Hut.


Reineke hätte gerne selbst nach der Krone gegriffen
doch sein Ruf war zu schlecht, weshalb er listig rief:


„Nashorn, sei du unser Fürst! Gewaltig kannst du regieren,
niemand ist hier von uns seltner und schöner als du!“


Leise griff nun zum Wort das Rhinozeros namens Cornu,
murmelte runzliger Lipp‘ Laute der Resignation:


„Mir auch lauert er auf, der Teufel von einem Menschen,
der sich erhob über uns und uns alle bedroht.


Glaubend, es stärke ihm die versagenden männlichen Kräfte,
sägt er das Horn mir ab, stößt mich in qualvollen Tod.


Dankbar sind wir, wenn wir gefangen und ausgestellt werden,
ja, unsereins überlebt nur noch trauernd im Zoo.


Ich schlag als neuen König euch vor den Pinguin Forster,
er wird wenig gejagt, lebt recht sicher am Pol.“


Forster wand sich bescheiden, wollte die Wahl ignorieren,
doch bestürmten sie ihn: Klüger sei keiner als er.


Schließlich gab er klein bei, stülpte aufs Haupt sich die Krone.
Alle waren gespannt: Was wird er sagen uns jetzt?


Und er hub an und rief mit kräftig trompetender Stimme:
„Seit Jahrtausenden spricht man die Seele uns ab.


Doch wir haben sie, leiden und freuen uns wie alle andern,
mir verriet Pulex, der Floh, dass wir auch auferstehn.


Auferstehung des Fleisches, größtes Wunder des Glaubens,
im Gewande Jesu stand von den Toten er auf,


fuhr gen Himmel und sitzt nun im Nacken Gottvaters,
nährt sich von seinem Blut, das ihm gar köstlich schmeckt.

Nobel, der Große, wird wahrlich auferstehn von den Toten,
und sein Mörder wird stehn vor dem jüngsten Gericht.


Mächtiger als der Mensch ist die Tierheit von all uns andern,
demütig sind wir und fromm, Zukunft haben nur wir!“


Lauter Jubel erscholl; brüllend, quakend und krächzend
trugen auf Schultern sie Forster, den König, davon.




Anmerkung von Quoth:

Kaiserpinguin (Aptenodytes Forsteri)

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Kommentare zu diesem Text


 FrankReich (28.03.23, 18:14)
Wenn die Elegie ein Hinweis auf die Kreuzinschrift Jesu und Theodor Kramers Gedicht "Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan", sein soll, ist sie gut umgesetzt, allerdings bin ich noch am Rätseln, wohin ich in dem Fall das Rhino stecken soll. 🤔

Ciao, Frank

 Quoth meinte dazu am 28.03.23 um 22:29:
Elegie ist für mich ein Text in Distichen, der mit Trauer zu tun hat, mehr nicht. Vielleicht sollte ich "elegische Fabel" schreiben. Theodor Kramers Gedicht gefällt mir gut, ja, die Tiere sind in einer durchaus nicht unähnlichen Situation. Das Rhinozeros weißt Du nicht unterzubringen - worin unterzubringen? Es hat für mich eine Schlüsselrolle. Mit Dank für Empfehlung und Kommentar Quoth

 FrankReich antwortete darauf am 28.03.23 um 23:26:
Ich habe diese Fabel für mich als Leidensgeschichte des jüdischen Volkes interpretiert, das Rhino sperrt sich gegen diesen Übertragungsansatz jedoch, übersehe ich da etwas oder bin ich dabei im völlig falschen Märchen? 👋😂

Ciao, Frank

 Quoth schrieb daraufhin am 29.03.23 um 09:22:
Ja, bist Du. Die Unterschiede sind für eine Vergleichbarkeit zu groß. Die Juden wurden entrechtet, die Rechte der Tiere fängt man jetzt erst an zu entdecken und zu respektieren, und in der Fabel bleibt das Phänomen ausgeklammert, von dem Yuval Noah Harari sagt: "Wenn nur ein Bruchteil der Behauptungen von Tierschützern stimmen, dann ist die moderne industrielle Tierhaltung das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte." (Eine kurze Geschichte der Menschheit, S. 462) Ich hoffe, auch ohne den von Dir gemutmaßten Hintergrund ist die Fabel für Dich nicht sinnlos. Gruß Quoth

 FrankReich äußerte darauf am 29.03.23 um 13:56:
Nein, ganz im Gegenteil, ich habe den Begriff "Fabel" nur zu eindimensional erfasst und ärgere mich höchstens darüber, dass ich aus dieser Einbahnstraße nicht alleine mehr herausgefunden habe. 👋🙂

Ciao, Frank

 Quoth ergänzte dazu am 29.03.23 um 17:09:
Du bist zu klug und zu belesen. Das kann auch mal eine Falle sein! 8-)

 AlmaMarieSchneider (29.03.23, 01:40)
Ja, der Mensch, er achtet seinen Mitlebewesen zu wenig. Doch die Stimmen einiger Menschen werden lauter und lauter. Hoffe dass das die meisten Tiere noch erleben.

Schöne Fabel.
Liebe Grüße
Alma Marie

 Quoth meinte dazu am 29.03.23 um 09:38:
Habe versucht, den Aspekt der Artenvernichtung in den Fabelrahmen einzuarbeiten, ist mir mit Sicherheit nicht bruchlos gelungen. Ja, es gibt Anwälte der Tierrechte, die einen "Antispeziesismus" verlangen (Richard Ryder) - und ich hoffe mit Dir, liebe AlmaMarie, dass viele Arten die Überheblichkeit der Spezies "Homo sapiens" überleben. Danke für Empfehlung und Kommentar! Quoth
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