SinnSpiel #24

Essay

von  JohannPeter


Wann ist der Mann ein Mann?

 

 

Wenig ironisch singt Grönemeyer sattsam bekannte Klischees, und in einem brandenburgischen Radiobeitrag ergötzen sich die Moderatoren an Statistik, z.B. um wie viel Jungen in der Schule schlechter abschneiden als Mädchen und interviewen einen Münchner Sozialpädagogen, der in einem Bubenprojekt befasst ist. Buben heißen in Bayern die Knaben. 

Der Mann klingt ein wenig wie Karl Valentin’s Buchbinder Wanninger, er scheint auch in dessen Art etwas überkonzentriert, auf jeden Fall mit etwas herablassendem Stolz, als Bayer ins preußische Radio vorgelassen zu werden. Sei’s drum. Was der Mann erklärt, ist allerdings schlüssiger als Grönemeyer, wenngleich er scheinbar um den selben Klischeebrei kreist.

Er sieht die Ursachen, wo sie liegen: im Gesellschaftsbild vom prototypischen Mann mit der praktischen Konsequenz, zum virtuellen Modell im Leben keine Abweichung zu dulden, resp. solche auszugrenzen. Da ist er viel weiter als Grönemeyer, dessen Weltschmerz die Menschheit schon kannte. 

 

Was aber sprach der Bubenwanninger? So wenig es war, so sehr war Bemühen um Alternative spürbar. Scheinmännliche Klischees auszureden hatte er offenbar längst aufgegeben. Er sprach von männlichem Selbstbewusstsein, das er nicht gegen weibliches aufwog, sprach vom Defizit in männlichem Selbstverständnis. 

Da fragt sich der Mann: Defizit? Worin bestünde es, oder besser: wem gegenüber?

Interessanterweise nicht als Überbetonung physischer Erscheinung von Männlichkeit. Nicht der Muskelmacho aus dem Fitnessstudio war sein Zielpunkt, sondern das Image des Coolen, Glatten, Unkaputtbaren, des Perfekten an sich – des Mannes als erstem und letztem Heilsbringer dieser Welt. Dieses Image – so auch der Wanningerbub – hat für sich selbst kein Gefühl und es bekennt keines. In urbayerischer Gelassenheit spricht er ein großes Wort aus: auch die Buben sind nur Kinder, nicht weniger eben, als es auch die Madeln (zu dt. Mädchen) gleichen Alters sind. 

Haltet euch nahe bei euern Kindern... – Weisbach macht keinen Unterschied in seinem kleinen Vers. Warum auch. Machte er ihn, würde er Kindheit beenden, denn mit der Unterscheidbarkeit in Mann und Frau endet unweigerlich auch jenes Stück Gemeinsamkeit, das Kindsein heißt.

Julien Clerc besingt in einem seiner schönsten Chansons seine schwierige Kindheit und gipfelt darin im Gedanken „... enfance ne te quitte pas.“ – etwa: deine Kindheit lässt dich nicht los. Ein erwachsener Mann sagt das. Was weiß der von sich, das andere nie zugeben, vielleicht sogar leugnen würden?

Es ist vielleicht einfacher, als Akademiker gemeiniglich annehmen, und nur geistig etwas verwachsen erscheinende Münchner Sozialarbeiter rücken das anlässlich eines preußischen Radio-Interviews ins öffentliche Licht, dass nämlich dem (Bild vom) Mann durch die Kappung kindheitlicher Herkunft zugleich ein geradezu existenzielles Element genommen wird: Kindsein als größtes Menschentum, weil ursprünglichstes, natürlichstes Erscheinen von Mensch, das seit  Aufkommen der sogenannten Zivilisation überhaupt noch möglich ist.

Der sozialpädagogische Bayer weist dennoch auf den Bestand männlicher Werte hin, bis in Körperlichkeit, worin er aber Sex und Erotik eher zu vermeiden bemüht scheint. Selbstempfinden ist etwa sein Stichwort, und er scheint damit tatsächlich am prägnanten Punkt. Ganzheitliches Selbstempfinden erst gestattet eine relativierende Sicht auf eigenes Herkommen, den Weg vom Kind zum Mann, wie dann auch den Blick auf Frau, den Weg ins Anderssein. So aber immer mit der nötigen Sicht auf das Herkommen eben, das letztlich Wert und Bestand von Zurückliegendem beschreibbar macht. Und erst diese Beschreibbarkeit ermöglicht schließlich eine Festschreibung dessen als bleibendem Wert: „... enfance ne te quitte pas.“

Nur wo ein Mensch bei und für sich Kind bleibt, kann er also tatsächlich Mann sein und nur ebenso gut Frau. Ohne dieses ursprüngliche Ferment ist er nichts, und unter problematischen existenziellen Umständen physischer oder psychischer Art mutiert er zum geschlechtsneutralen Monstrum, das vielleicht gebräuchliche Kriterien erfüllt oder bedient, zu wahrhaftiger Humanität, zu natürlicher Menschlichkeit jedoch nicht wirklich fähig ist, nicht fähig sein kann.




Anmerkung von JohannPeter:

Reinhard Weisbach, leider zu früh verstorbener DDR-Lyriker schrieb:

Haltet euch nahe 
bei euern Kindern
tröstet ihr Weinen, 
hütet ihr Lachen.
Beßres als Kinder
ist nicht zu machen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (03.06.23, 22:27)
Text mit Deppenapostroph.

Johannpeter, das kannst Du besser!

 JohannPeter meinte dazu am 03.06.23 um 23:07:
Danke für Vertrauen und Ermutigung!  ;) :)
Ich bin doch so ein Traditionalist, und irgendwie steht der Apostroph ja für ein verloren gegangenes Genitiv-e. Mein sprachlicher Altruismus mochte wohl auf das e nicht gut verzichten, der Text ist etwas älter, ich inzwischen ja auch... 
Morgen kommt ein neuer Essay, auch etwas älter, ich gucke da jedenfalls nochmal rein - wegen Depp...  :ermm:
(Den hier lasse ich jetzt aber so, damit spätere Leser verstehen, worüber wir hier eben palavern... o.k.?)

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 03.06.23 um 23:12:
Okay.
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