SinnSpiel #23

Essay

von  JohannPeter


Jeder für sich und Gott gegen alle.

 

(Werner Herzog)

 

 

Wenn heute der Anspruch „Wir wollen sein wie Gott...“ zitiert und kritisiert wird, geschieht das häufig im Vorwurf gegen die Wissenschaften, insonderheit die Genetik, wo und weil sie vermeintlich oder realiter in die Schöpfung eingreift oder einzugreifen droht. Angesichts der Behauptung der Genetiker, mit ihrem Tun und Treiben gewissen Unvollkommenheiten der Schöpfung auf die Sprünge helfen zu wollen, wird der Streit um Zweck und Berechtigung desselben wohl noch anhalten.

 

Der Satz Herzogs, Titel seiner Lebenserinnerungen, reflektiert auch etwas von der Konsequenz, die einem Film wie „Aguirre oder  Der Zorn Gottes“ entspringen muß. Es geht bei Herzog häufig um den Anspruch, in einer Person Bestimmung und Vollzug zu sein, besonders, letzteren exerzieren zu wollen.

Daß Herzog ausgerechnet Klaus Kinski in die Rolle Aguirres stellt und ihn darin verhängnisvolle Unerbittlichkeit üben läßt, ist sicher nicht nur damit zu erklären, daß beide Männer eine Haßliebe verband. Nach diesem Film – wie auch nach „Fitzcarraldo“ – erübrigt sich die Frage, ob ein anderer Protagonist als eben Kinski jener Besessenheit Gestalt hätte geben können, die in „Aguirre“, noch mehr denn in „Fitzcarraldo“, vor allem paranoid-schizophrene Anmaßung verkörperte.

 

Herzogs Kunstverständnis ist unstrittig von Grundwerten christlicher Ethik geprägt, jedoch missioniert er nur insoweit, als er ingestalt seiner Kunst Beispiele gibt, Gleichnisse, Demonstrationen dessen, was er unter Menschentum faßt und versteht. Und er zeigt, wo und wie überzogener Anspruch dabei schließlich Menschlickeit verfehlt, weil die nicht Kern noch Motiv des Strebens war oder wo sendungsbesessene Selbstherrlichkeit Ziele und Bestimmungen ins Auge fasst, die fern jeglicher realen Lebbarkeit Menschen gar nicht meinen kann.

 

Aguirre ist aufgebrochen, das sagenhafte El Dorado zu finden. Ist es im Ursprung nur die Gier nach dem Gold der Indios, mutiert das Unternehmen über die Zeit zum Versuch der Behauptung unumschränkter Macht über Menschen, die unter den gegebenen Umständen abstruser Selbstauslieferung an existentielle Bedrohung ihrerseits keine soziale Bindung zu entwickeln vermögen. Einer nach dem anderen gehen sie – in buchstäblichem wie übertragenem Sinn – über Bord, bis Aguirre schließlich auf dem Floß mit ihn bedrängenden Affen allein einen trägen Fluß hinabtreibt, dem mythischen Fährmann aber unähnlicher als es nur irgendwie geht – Aguirre wird keinen in dessen ihm gemäßen Frieden geleiten.

Ist es Charons Bestimmung, die Gestorbenen in ein anderes Leben zu geleiten, ein Fortdauern auf andere Weise zu bewirken, so verströmt Aguirre am Ende geradezu gegenständlich den Hauch des Todes selbst. Der Zorn Gottes, den er im Munde führt und zu verkörpern trachtet, wendet sich gegen ihn, aber er ist im Stande endgültiger Einsamkeit schon nicht mehr in der Lage, die Kausalität des Geschehens in Ursprung und Hergang zu erfassen.

 

Die mit Aguirre aufgebrochen waren, sind Marodeure, Glücksritter, keinen rationalen Regeln zu folgen imstande - sie besitzen schlicht keine. Man darf mutmaßen, daß sie – in praktischer Erreichung des imaginären Ziels – nicht einmal mit dem Reichtum hätten würdevoll umgehen können.

Aguirre ist eine Parabel über die Verdammnis im Anspruch letzter Wahrheit wie zugleich der Anmaßung, ihren Vollzug zu versuchen.

 

Dem Satz Herzogs ist – ohne ausgesprochen werden zu müssen – ein „Wenn... dann...“ zuinnerst eigen. Herzog beansprucht nicht, ein Menetekel zu verkünden, weil er weiß, daß Anspruch wie Verkündigung verfänglich wären. Aber noch das Lapidare seiner Feststellung schockiert durch seine Endgültigkeit.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Daniel (50)
(20.07.23, 23:42)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 JohannPeter meinte dazu am 21.07.23 um 14:54:
Hallo, Daniel, vielen Dank für deine umfängliche Zustimmung zum Text. Eigentlich keine Filmkritik, zumindest nicht so gedacht, aber wo ich mich auf die vielleicht eindrucksvollsten Filme Herzogs beziehe, kann man den Essay sicher auch so lesen. 
Zum Sprachlichen vielleicht soviel: Herzogs Anliegen mit beiden Filmen (wie auch seines Gesamtschaffens) ist nicht in schlichte Formeln und Statements zu pressen. Es wäre zu fragen, welche Intention jene treibt, die dergleichen erwarten oder gar fordern.
Man müßte ihn - wollte man solchem nachkommen - auf Klippschulniveau reduzieren - "Was wollte er uns damit sagen?" - ein Unding und respektlos obendrein.
Also - danke nochmal und beste Grüße - JohannP.
Daniel (50) antwortete darauf am 21.07.23 um 15:44:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Graeculus (21.07.23, 00:08)
Alptraumhafte Filme sind das. Völlig, wenn ich mich recht erinnere, ohne die Alternative eines besseren Menschseins.

 JohannPeter schrieb daraufhin am 21.07.23 um 15:06:
Ich erinnere mich, daß Herzog in einem Interview (Doku?) einmal nach genau diesem Punkt gefragt wurde. Zum meiner Überraschung tat er etwas, was für ihn nicht typisch war - er kontrapunktierte die Frage mit einer Gegenfrage, ob und welche Alternative solchen/diesen Figuren (konkret ging es um Aguirre) überhaupt möglich wäre.*
Ich verstehe diese beiden Filme genau so: als Demonstration alternativlosen Verhängnisses im hybriden Anspruch auf Besitz und Macht.

*) und mit Verlaub - es schiene mir hollywoodhaft, den jeweiligen Handlungen und Figuren eine positive Tendenz mit Alternativcharakter zu implantieren.

 Graeculus äußerte darauf am 21.07.23 um 15:36:
Nicht, daß das sein muß bei einem Film. Es gibt hervorragende trostlose Filme. Das Motto dabei ist dann allerdings "aushalten", nicht "genießen".
(In der Malerei ist das der späte Goya.)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram