Riso e fagioli oder wie der Sommer am Himmel verklingt

Tagebuch

von  Pearl

Der Sommer trotzt dem Herbst und holt sich in gleißendem Licht die verlorene Zeit zurück. Zeit, die erfüllt war von fallenden Regengüssen, erkaltetem Chlor, schmelzenden Flocken auf sonnenverbrannten Zungen.
Wir stehen am Westbahnhof und ein erwachsenes Kind, dick und schwer, fährt uns mit seiner Hand über die Schultern, geht weiter am Gleiß entlang, streift andere Schultern. Die dazugehörende Sie (Brille, blond, aus einer schlagenden Schwesternschaft) läuft ihm hinterher, um ihn in den Hintern zu treten. Er ist verrückt (wir sind in Wien), so hebt er leicht erstaunt, eher aber gelassen seine Schultern und zieht weiter; schließlich hat er noch einiges zu tun bevor ein Kälteeinbruch freiatmende Arme wieder unter Pullover und Jacken verbannt.
Am Würstelstand an der Volksoper steht heute ein Unbekannter: Zigarette im Mund, Tätowierung am Hals, verlebtes Gesicht. Er schickt uns in die falsche Richtung.
Irgendwann sitzen wir doch im richtigen Bus, der uns zum Kahlenberg hinauf schaukelt.
Beim Aussichtspunkt steht Tourist neben Tourist, dazwischen schnarcht eine Frau aus offenem Mund in den Sonnenstuhl hinein, der junge Mann mit Kamera lacht sie heimlich aus. Zuviel: zu viele Knipslichter,  Wanderschuhe/ -stöcke, Stadtpläne und ergraute Gesichter nehmen der Landschaft ihren Atem. Auch der unsere stockt. Auf 484 Höhenmetern braucht es auch keine Wanderausrüstung, so flüchten wir uns in Ballerinas, Jeansrock und Shorts durch ein geheimnisvolles Märchenwaldgestrüpp.
Nach den versprochenen 10- Minuten stehen wir bei der schönen Stefaniewarte. Ein älteres Pärchen (doch immer noch jünger als die Warte) sitzt genüsslich vor der Eingangstüre und lässt sich die Septembersonne ins Gesicht scheinen. In ihrem Wärterhäuschen glitzern die 50 Centstücke und oben erfahren wir endlich die ersehnte Ruhe. Das Schweigen der Kirchtürme, die sich streckenden Bäume wie sie ihre Stämme aus dem Nachmittagsschlaf erheben..
Danach wackelt uns der Bus wieder zum Cobenzl hinunter. Cabrios mit johlenden Polohemd – kindern Wiens fahren vorbei, ihre blonden Locken fliegen im Fahrtwind hinterher. Auf der Schmetterlingswiese liegen im Hellgrün verborgen vereinzelt verknäuelte Umarmungen; verschämt blickt das sanfte Gras zu Boden…
Bald stehen wir an junggewachsenen Linden, Weiden, Kiefern. Der Baumkreis ist ein in sich ruhender Punkt. Unter der Eiche liegt ein Stück Rinde / ein Stück Natur um in der Wohnung daran zu riechen. Wir setzen uns auf den Boden, das Gespräch verstummt und Luft, Atem, Stein rinnen durch unsere Adern, münden ins Herz. Unten umhüllt nun weichstes Blau die Dächer und Straßen, doch darüber wartet schon ein zartes Rosa darauf ihre Blättchen über die Stadt zu gießen / darin fließt weiß mattiert der Mond, während gegenüberliegend eine letzte Baumlücke im aushauchenden Goldlicht veredelt wird.

Als wir die Wiese zurückgehen waren auch die spät vergessenen Küsse schon längst auf Schmetterlingsflügeln davongetragen. doch füllt mich Begeisterung. Unten glitzert die Stadt im zärtlichsten Glanz der umherschwirrenden Lichtlein. Wien als tanzender Jahrmarkt, ein Basar voller Möglichkeiten aus elektrischem Licht und samstagnächtlichen Bassvibrationen. Falco singt in meinem Kopf, eine elegant gekleidete Dame mit seidenschimmernden Päckchen vernebelt die Sicht in ihrer Parfumwolke aus reinstem Firlefanz. Vor der Glaskuppel steigen aus weißgebetteten Tischchen Rauchschwaden in den Himmel am Himmel, daneben ertränken zuckerrote Lippen klatschende Goldaugen in Sektgläsern; auf dem Parkplatz stehen die Gendarmen, der Rettungshubschrauber weiß auch nicht was er tun soll und der Bus wackelt uns in die Stadt hinunter, während auf den hinteren Sitzen ein Plätschern in Italienisch ans bevorstehende Abendessen denkt.



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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (31.08.23, 11:53)
Schön geschmückte und stilvolle Prosa. So ein Stil auf 200 Seiten mit einer Geschichte darin, fände sich leicht in einer Buchhandlung wieder.

 Pearl meinte dazu am 31.08.23 um 19:02:
Hu, Danke... um das durchzuhalten, müsste ich noch viel lernen. Aber ich mag diesen Tagebucheintrag sehr :)

Liebe Grüße

Antwort geändert am 31.08.2023 um 19:02 Uhr
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