Liebe per Internet - eine Liebesgeschichte

Tagebuch zum Thema Liebeszauber

von  pentz

Techtelmechtel per Internet mit einer Svetlana aus der Ukraine. Svetlana heißt die „Lichtgeborene“.

Sie wäre soeben an der Grenze zwischen Ukraine und Polen auf der Fahrt nach Warschau und dann zu mir wegen Kontoschulden aufgehalten worden. Ein stupides Gesetz verbiete die Ausreise. Sie bittet mich flehentlich und inständig, sie doch mit 2000, am Tag darauf 1500 (Mutter hat Geld überwiesen), heute 1200 Euro auszulösen (Freunde bezahlt), damit sie zu mir kommen könne. Es liegt nur an mir, dann würde sie mir 1000 prozentig gehören. Für immer.

Mir war das zu unsicher, alles konnte manipuliert sein, selbst die Dokumente, die sie mir kopiert per Net geschickt hatte, woran der Schuldtitel zu ersehen sein sollte. Aber ich kann kein kyrillisch. Zudem ist mir das zu umständlich, ins Deutsche zu übersetzen. Zum Dritten kann man heutzutage alles, aber auch alles im Internet fälschen.

„Do You kidding me. I swear...“.

Ich fragte erst einmal nach, wo sie sich aufhalten, wie ihre Telefonnummer laute und weshalb sie mit dem Taxi von Kiew zum 600 Kilometer entfernten Checkpoint Yogadin gefahren sei anstatt mit dem Zug direkt nach Warschau?

Nur letzteres beantwortete sie befriedigend: Keiner traute sich gegenwärtig mehr mit dem Zug zu fahren wegen der russischen Flugzeugbombardierung der Gleise. Den Ort ihres momentanen Aufenthalts, in einer Pension, hatte sie zwar auch auch genannt. Aber das besagte nichts. Ihre ihre Telefonnummer verleugnete sie allerdings.

Das war verdächtig.

Jedenfalls, käme ich nicht zur Grenze und löste sie mit dem Geld aus, würde sie sterben. Zurück nach Kiew war der Weg in den Tod. Sie liebe mich. Sie würde mir für immer und ewig ganz gehören. Sie liebe mich unendlich. Warum ich ihr das Messer ins Herz stoße?


Alles fing damit an, dass ich eine E-Mail bekam. Woher sie meine Addy habe? Zufällig. Sie suche eine Ansprache/Freundschaft. Seitdem ihr Freund öfter über Nacht weggeblieben sei und sie ihn mit einer Nebenbuhlerin im eigenen Bett vorgefunden habe, sei ihr endgültig das Herz gebrochen.

Sie tat mir natürlich leid.

Ich entschuldigte mich immer wieder, dass ich nicht so ausführlich antwortete, weil ich beruflich viel zu tun habe.

Da wird sie ungehalten: „Ich arbeite 24 Stunden am Stück und schreibe. Dann wirst Du wohl ein paar Minuten dafür aufbringen können.“

Daraufhin gab ich mir Mühe, stets regelmäßig zu antworten, fast jeden dritten Tag. Als sie sich auf die Reise zu mir machte, geschah dies sogarjeden Tag.

Ihrem Ansinnen der Freundschaft mit mir hielt ich den großen Altersunterschied entgegen. Genauso beteuerte sie etliche Male, dass dies bestimmt kein großes Problem darstellen würde. Damit gab ich mich zufrieden.


Vorgestern Loulou angerufen. „Morgen Abend sollten wir es wieder einmal mit Sex versuchen.“

Es war immerhin ein gefühltes Jahr das letzte Mal.

„Ich befürchte nämlich, dass Du mir wegläufst.“

Wegen Mangel an Sex. Das war rührig. Aber auch realistisch.

„Ja, ohne Sex zu haben ist schon unbefriedigend und frustrierend. Wobei hier „frustrierend“ weit mehr als das Gegenteil von „unbefriedigend“ ist. Das sind keine Antinomien. Das weiß jeder, der darunter leidet.

Als ich sie heute Mittag anrief wegen Treffens heute Abend, lachte sie. „Mal sehen. Kommt drauf an, wie ich beieinander bin.“

Wenn sie wüsste. Auch bei dem geäußerten frommen Wunsch und Angstgefühl, dachte ich: Es ist schon zu spät. Wenn Du wüsstest, dass es schon zu spät ist.

(Aber heute Abend denke ich wieder: Nichts als heiße Luft.)


Sie schrieb: „My friend chanced me.“

Die Untreue ihres Freundes hatte sie also verändert. Wenn sie käme, würde das eine Sensation geben und sie würde Gefühle und Leidenschaften hervorlocken, die ich noch niemals erlebte hätte. Als ob es in Deutschland nur Nonnen gebe.

Sie ist eine sexuelle Narzisstin.

Ich überlegte, ob ich ihr dies schreiben solle. Sie hat einen Doktor in Pädagogik, behauptet sie, und müsste mit diesem Begriff etwas anfangen können.


„Ich liebe Dich mehr als mein Leben … Ich würde alles für Dich tun.“

Das war das Bekenntnis eines versteckten Selbstmörders. Aber ich akzeptierte es, weil ich dachte, dass sie gebrochenen Herzens sich in diesen Wahnsinn hineinsteigerte und wohl noch mehr, ein vom Ukrainekrieg gehetztes Menschentier war, das in mir den Erretter und letzten Strohhalm sah.


Gleich mit der zweiten E-Mail hatte sie sich und klammerte sie sich regelrecht an mich, weil sie so hinterhältig betrogen worden war.

Erste Erpressung!

Zudem der Krieg, von dem sie zusehends mehr Angst empfand. Wer kann da ungerührt bleiben?

Zweite Erpressung.


„Du bist eine narzißtische dumme Kuh – weil du glaubst, ich falle auf dein schleimiges Liebesgesäusel herein. Verschon mich mit deinen platten Dummheiten!“, hätte ich zu diesen inflationären E-Mails als Standard-Antwort jedes Mal erwidern sollen. Denn mittlerweile scheinen nicht nur Svetalna aus Kiev auf diesen Zug aufzuspringen, älteren Mann Liebe und neues Leben vorzugaukeln. Die Botschaften, die mein Konto zum überlaufen brachten, glichen sich. Das gleiche Muster.

Zum Beispiel: Ich habe es meinen Eltern erzählt. Als ob die mich interessieren würden? Aber im Osten sind Papa und Mama scheint's unumgänglich. Demzufolge hätte ich sie und ihre Eltern beschämt, dass ich nicht die restlichen 1000 Euro überwiesen hätte, wo doch schon ihre Eltern eingesprungen gewesen seien. Wie ich jetzt in ihren Augen dastand?

Mein Fehler ist, ich wehre mich nicht. Rede nicht Tacheles.

Bislang nicht!

Warum?

Es ist Balsam auf die Wunden der Lieblosigkeiten dieser Welt, solche Angebote zu erhalten: „Tell me lies, sweet lies, nothing but sweet lies“, singen die Popsirenen nicht umsonst.


Was habe ich gelernt mit der Svetlana-Affäre?

Wie man diesen Namen in Kyrillisch schreibt.

Man erlebt wenigstens etwas, obwohl dabei nichts herauskommt. Internet-Kommunikation eben!


Vor vier Tagen kam die letzte E-Mail. Sie sei zurück nach Kiev gefahren, um ihr Appartement zu verkaufen, um mit dem Geld nach Deutschland zu emigrieren. In der letzten Note schrieb sie, dass sie gerade dabei sei, die geschäftlichen Dinge abzuschließen und soundsoviel Euro erwarte? Was könne ich investieren? Reicht es für ein Haus und für ein Geschäft, das wir betreiben könnten?

Ich schrieb, sie müsse erst einmal ein halbes Jahr einen Deutschkurs besuchen, beider Geld reiche für kein Haus und ein Geschäft sei unrealistisch, wahrscheinlich könne sie möglicherweise in einer Physio-Praxis oder in einem Krankenhaus arbeiten, weil sie ja beruflich gesehen eine sogenannte Privat Neurologic Masseusin sei oder so ähnlich.

Jeden Tag bin ich jetzt erleichtert, dass seitdem keine Nachricht mehr kommt. Die Vorstellung, dass sie bei mir in Deutschland ein neues Leben anfangen würde und ich auch, beängstigte mich doch sehr. Aber alles eine Schimäre!


*


Ein Tag später, gestern:


Chimäre wird zu Furie!

Sie schreibt, sie habe meine letzte Nachricht nicht erhalten. Verkaufe diese Woche mein Eigentum, dann komme ich für immer!

Deine zukünftige Ehefrau Svitlana.

Sie hat wieder nicht ihre Telefonnummer hinterlassen.

P.S.: Und nu?




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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (27.05.24, 00:22)
Das ist ja mal eine Geschichte, so recht aus dem Leben gegriffen. Wenn jemand, den man kaum kennt und nie gesehen hat, von großer und ewiger Liebe spricht, die natürlich! durch einen stattlichen Altersunterschied in keiner Weise beeeinträchtigt werde, und das dann aber mit der Bitte um Geld, Geld, Geld verbindet, dann geht wohl mehr als eine rote Warnlampe an.

Wenn's auch nur in einem von zehn Fällen funktioniert und jemand mit dem Unterleib statt mit dem Kopf denkt, dann genügt das allerdings schon, kommerziell gesehen.

Kommentar geändert am 27.05.2024 um 00:25 Uhr

 pentz meinte dazu am 28.05.24 um 15:26:
Spannung: Chimäre wird zu Furie!
"Deine Nachricht nicht erhalten. Verkaufe diese Woche mein Eigentum, dann komme ich für immer!
Deine  zukünftige Ehefrau Svitlana

P.S.: Und nu?
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