Eine kurze Geschichte Europas

Geschichte zum Thema Europa

von  Graeculus

Wir können die Geschichte an dem Punkt beginnen, als ein etwas exzentrischer Rabbi namens Jesus vom römischen Statthalter auf Betreiben der jüdischen Hohenpriester zum Tod am Kreuz verurteilt worden war. Der Vorwurf lautete, sich zum König der Juden alias Messias ernannt und damit Hochverrat gegen die römische Staatsmacht begangen zu haben.

So zog denn ein schwer an seinem Kreuz tragender Jesus zur Hinrichtungsstätte, wobei der Weg von zahlreichen Neugierigen und wenigen Anhängern gesäumt war. Zu den Gaffern gehörte ein gewisser Simon von Kyrene, der eigentlich nur einen Stier, den er an einem Seil führte, zum Markt bringen und verkaufen wollte. Der Stier reagierte auf das Gejohle der Menge sehr nervös, und in dem Augenblick, als dieses seinen Höhepunkt erreichte, weil Jesus gerade vorbeiwankte, riß der Bulle sich los und stürmte auf den Brennpunkt des Geschehens zu. Er nahm Jesus auf seine Hörner, schleuderte ihn hoch und trampelte dann auch noch auf dem herabfallenden Körper herum.

Auf diese Weise wurde Jesus nicht gekreuzigt, sondern von einem Stier getötet. Zwar versuchten Jesu Anhänger in der Folgezeit, von ihrem Glauben zu retten, was noch zu retten war; doch in Konkurrenz mit dem im römischen Reich populären Mithras-Kult hatten sie nun eindeutig keine Chancen mehr. Es war der Stier, das heilige Tier der Mithras-Religion, der offensichtlich den Sieg über den jüdischen Messias davongetragen hatte.

In dieser Religion tötete der aus Persien stammende Gott Mithras, der Sol invictus (der unbesiegbare Sonnengott), den Stier, um aus seinem Blut der Welt Fruchtbarkeit zu schenken. Das wurde nun, ohnehin schon bei Beamten und Soldaten beliebt, zur verbreitetsten Religion des römischen Reiches, während die Christen bald in Vergessenheit gerieten.


Z


Das erwies sich als ausgesprochen günstig für Rom, denn in dem Moment, in dem die von der Völkerwanderung in Bewegung gesetzten germanischen Stämme das Reich bedrohten, hatten die Römer in den persischen Sassaniden an ihrer Ostgrenze keinen zweiten Feind, sondern einen im Glauben Verbündeten: Sie beide verehrten einen persischen Gott.

So gelang es mit vereinten Kräften, dem germanischen Ansturm standzuhalten und sogar die Germanen zur Übernahme dieses siegreichen Gottes zu bewegen. Europa war geeint im Mithras-Kult. Die unterirdischen Mithräen bildeten den Mittelpunkt der Städte des Reiches. Da aber weder Mithras noch sein Stier von sich behaupteten, die einzigen Götter zu sein, kam es nicht zu religiösen Zerstörungsexzessen gegenüber den zahlreichen anderen Göttern und ihren Heiligtümern.

Schlecht sah die Sache lediglich aus für die Frauen, denn zum Mithras-Kult waren ausschließlich Männer zugelassen. Frauen mußten sich mit den traditionellen weiblichen Göttern behelfen: von der mütterlichen Hera über die jungfräulich-strenge Athene bis zur erotischen Aphrodite, je nach Geschmack.

Auf die Dauer sahen Frauen diesen Zustand jedoch nicht als befriedigend an; sie wollten einen dem Mithras gleichgestellten Kult. Im Verlaufe der Geschichte Europas kam es deshalb zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern, die freilich nicht in offene Gewalt mündeten, sondern letztlich durch einen Sex-Streik entschieden wurden. Kühl wußten die Frauen die Triebe der Männer zu ihren Gunsten zu nutzen. So wurde neben dem Heiligen Stier der Kult der Heiligen Kuh eingeführt, und damit besaßen beide Geschlechter einen gleichrangigen religiösen, sogar noch verwandten Status, denn zum Stier gehört schließlich die Kuh.

Als im Zuge zunehmender Globalisierung die Kontakte zu Indien intensiv wurden und man dort die Idee von der Heiligkeit der Kuh als Dogma vorfand, konnte sich eine bis nach Asien reichende Glaubensgemeinschaft entwickeln. Auf das Töten des Stiers allerdings mußten die Männer verzichten; dieser Ritus wurde nunmehr durch eine symbolische Handlung ersetzt.

Lediglich am Südwestrand Europas, in Spanien, hielt sich die Praxis der Tötung von Stieren als quasi-religiöser Akt, weshalb die Spanier im Rest Europas als Außenseiter und Hinterwäldler galten.


Um so größer war die Aufregung, als eines Tages gerade diese Spanier in einer überaus populären Ballsportart Europameister wurden. An der religiösen Verarbeitung dieses Ereignisses wird noch gearbeitet; doch nur Pessimisten nehmen an, daß dadurch die Einigkeit Europas gefährdet sei.



Anmerkung von Graeculus:

Allein in Rom sind noch zwei Mithräen erhalten: unter den Caracalla-Thermen und unter der Kirche San Clemente.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (10.07.24, 20:26)
Nicht dein Ernst, oder?
Ich sehe den Mithras (Fest: 22. März) als altpersischen, später römischen Widder, der den Stier tötet. Er ist ein Feuer- und Lichtgott.
 
Stierkampf=Darstellung des Kulturwechsels von der indischen zur griechisch-lateinischen Periode. 
(Das Portugiesische ist übrigens die lateinische Sprache, die von der Phonetik her noch am meisten dem klassischen Latein ähnelt.)

Mundanastrologisch gesehen gehört das Christentum zum Sternzeichen Fische (im Platonischen Jahr).

Wo genau jetzt die Ursprünge des Fußballs kulturell zu verorten sind, müsste ich recherchieren. Mich persönlich interessiert dieser Sport und Kult überhaupt nicht.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.24 um 23:33:
Halb ernst. In der Spätantike waren Christentum und Mithras-Kult die großen und populären religiösen Rivalen: Christus populär bei Frauen und Sklaven, Mithras bei Soldaten und Beamten. Wer sich letztlich durchsetzen würde, war zunächst keineswegs klar.

Da habe ich mir zwei Fragen gestellt:

1. Was hätte passieren müssen, damit der Erfolg auf der Seite der Mithräer gewesen wäre? Wenn Jesus gescheitert und symbolträchtig von einem Stier getötet worden wäre, statt am Kreuz zu enden und dann aufzuerstehen.

2. Wie wäre die Geschichte Europas unter diesen Umständen verlaufen?
Das hätte sicher vieles geändert; dabei habe ich mir vor allem den Umstand herausgegriffen, daß der Mithras-Kults die einzige mir bekannte Religion ist, deren Anhänger ausschließlich Männer waren. Das hätte die Frauen nicht ruhen lassen, habe ich mir gedacht.

Auf die Spanier bin ich schließlich wegen ihres Stierkultes (Stierkämpfe) gekommen, obwohl dieser sicherlich mit dem Mithras-Glauben nicht mehr gemeinsam hat, als daß der Stier eben für Männlichkeit, Stärke und Vitalität steht.

Der Schlenker zur Europameisterschaft dient dann nur als Schlußpointe.

Was Du über das Portugiesische schreibst, habe ich mal über das Rumänische gehört - dort ist es sogar noch im Namen enthalten. Schwer zu sagen, woher man überhaupt wissen will, wie das Lateinische gesprochen wurde.

 Graeculus antwortete darauf am 10.07.24 um 23:37:
Gedacht war mein Text auch als Information, daß es diese Religion einmal gab. Ich glaube nicht, daß das heute noch zur Allgemeinbildung gehört.
Aber Du hast ihn gekannt!

 Regina schrieb daraufhin am 10.07.24 um 23:37:
Ich habe ein Lateinbuch, in dem die Aussprache angegeben ist. Wenn ich Zeit habe, suche ich es her.

 Regina äußerte darauf am 10.07.24 um 23:39:
Was wäre wenn, ist im Nachhinein immer sinnlose Spekulation.

 Graeculus ergänzte dazu am 10.07.24 um 23:41:
Informationen darüber interessieren mich.

Man muß das mühsam erschließen. Wenn der alte Cato sagte: "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam", dann kann man daraus erahnen, daß zumindest er das "C" hart ausgesprochen hat.
Das Schwierigste dürfte die Frage sein, wie das einfache Volk gesprochen hat, was sich allenfalls in Graffiti erhalten hat.

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 23:42:
Ja, ich habe irgendwann einmal ein Buch gelesen, in dem dieser Mithraskult vorkam. aber ich kann dir nicht mehr sagen, was für ein Werk das war. Im Lateinunterricht wurde so etwas Interessantes nicht besprochen.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.24 um 23:47:
Was wäre wenn, ist im Nachhinein immer sinnlose Spekulation.

Ich glaube, da irrst Du Dich. Sog. kontrafaktische Geschichtsschreibung ist ein ernsthaftes Forschungsgebiet, mit dessen Hilfe man in der Historie entscheidende Faktoren besser verständlich machen kann. In diesem Falle: Warum hat sich in der tatsächlichen Welt das Christentum durchgesetzt? Jesus stand als Identifikationsfigur für Frauen und Sklaven zur Verfügung. Und Frauen haben einen Einfluß auf die Geschichte!

In der Literatur gibt es außerdem noch die Parallelwelt-Romane (im Rahmen der Science Fiction): Wenn im Sezessionskrieg sich die Konföderierten durch gesetzt hätten oder im Zweiten Weltkrieg die Deutschen und Japaner. Dazu gibt es berühmte Romane.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.24 um 23:51:
Im Lateinunterricht wurde so etwas Interessantes nicht besprochen.

Ach Gott, in der Schule, nein. Aber in Karlsruhe gab es mal eine Ausstellung "Isis - Mithras - Christus". Die war sehr gut besucht.
Den Isis-Kult, der ebenfalls populär war, könnte man, wie man sieht, noch hinzunehmen.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.24 um 23:54:
Daß der Mithras-Kult zwar zahlreiche Kultstätten, aber nur wenige literarische Zeugnisse hinterlassen hat (anscheinend durften nur die Eingeweihten die Details kennen), macht ihn obendrein zu einem reizvollen Forschungsobjekt.

Welche Bedeutung haben z.B., wie im obigen Bild, der Hund, die Schlange und der Skorpion, der den Stier in die Hoden beißt? In bildlichen Darstellungen gehören sie immer dazu.

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 23:57:
Es waren aber römische Kaiser, die das Christentum einführten und schließlich zur Staatsreligion erhoben, nicht Frauen oder Sklaven.

Der Astrologe tut sich leicht, wenn er sagt: "Es stand eben in den Sternen in dieser Zeit, eine Fische-Religion einzuführen."

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 23:59:
Jedenfalls sehr interessante Themen.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 00:24:
Es waren aber römische Kaiser, die das Christentum einführten und schließlich zur Staatsreligion erhoben, nicht Frauen oder Sklaven.

Ja. Eine solche Entscheidung wie das Toleranzedikt Kaiser Konstantins konnten Frauen nicht treffen. Aber hinter Konstantin stand eine christliche Mutter: Helena.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 00:26:
Auch ich finde es interessant. Klar, sonst hätte ich nicht darüber geschrieben.

Ich möchte auch nicht sagen, daß meine Meinung zum Thema unbedingt die richtige ist.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 00:28:
Die Helena war wirklich eine überaus eifrige Christin.

 Regina meinte dazu am 11.07.24 um 08:07:
Hier das erwähnte Grammatikbuch, das die lateinische Aussprache lehrt<:
"Lateinische Grammatik, Auf der Grundlage der Lateinischen Schulgrammatik von Landgraf-Leitschuh
neu bearbeitet von Karl Bayer und Josef Lindauer" 
ISBN 3-486-87372 Oldenburg.

Diese Grammatik widmet 11 Seiten der lateinischen Aussprache, sagt aber nur in zwei Sätzen, wie es zu diesen Regeln gekommen sei, nämlich durch Vergleiche, u.a. mit dem Griechischen.
Das "m" am Silbenende führt zur Nasalierung des vorhergehenden Vokals und wenn ich diese Ausspracheregeln praktiziere, hört sich das für mich dem Portugiesischen ähnlicher an als dem Italienischen. 
Das Rumänische habe ich nur selten gehört.

Da ich das Latein nur für Nachhilfezwecke verwendet habe, habe ich diese Recherchen nicht weiter vertieft. 

Ein Amerikaner, den ich traf, sprach das Latein nach mit englischer Phonetik aus, sehr lustig. 
Da geht es im Unterricht ja in dieser toten Sprache nur um das richtige Übersetzen, Aussprache egal.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 23:28:
Die Grammatiken, die ich hier habe, enthalten ein solches leider Kapitel nicht.

Angelsachsen sprechen Latein nach englischen Regeln aus. Italiener nach italienischen. Das klingt für uns seltsam. Aber ich nehme an, daß die unsere Aussprache seltsam finden.

Hast Du mal Nachhilfe in Latein erteilt?

 Regina meinte dazu am 12.07.24 um 15:39:
Ja. Recht erfolgreich. Das war einfach. Wenn die Schüler eine oder zwei Lektionen nicht gelernt hatten, haben sie schnell ihre Fünfer und Sechser kassiert, anders als beim Englisch, wo sie sich oft mit Halbwissen lange auf Note 4 halten. Dann musste ich nur von rückwärts durch das Buch arbeiten, Vokabeln nachlernen lassen, nicht verstandene Grammatik erklären und üben, sowie beim Übersetzen auf Konjugation und Deklination achten und schwupp, waren sie auf besseren Noten.

 Graeculus meinte dazu am 13.07.24 um 16:17:
Das ist ein interessantes und, wie Du Dir vorstellen kannst, mir sympathisches Detail Deines Lebens. Vielleicht hast Du sogar mit den besseren Noten eine größere Sympathie für das Fach geweckt. Der Aspekt der Motivation lag damals bei vielen Lateinlehrern im Argen.

 Regina meinte dazu am 13.07.24 um 16:32:
Mit den Nachhilfeschülern hatte ich kaum Probleme der Motivation. sie wussten, dass und was sie lernen sollten. Über bessere Noten freuten sie sich natürlich, auch deren Eltern.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.24 um 14:15:
War das die sog. extrinsische Motivation (Noten)? Leider erlischt die mit dem Latinum. Die intrinsische Motivation hält länger: Das ist ein großartig geschriebener Text! Das könnte man im Deutschen gar nicht so perfekt ausdrücken! usw.

Wenn ich darf, stelle ich dir gerne einmal meinen lateinischen Lieblingssatz vor. Da ist alles dran und drin.

 Olove (11.07.24, 01:26)
Ich kann nicht wirklich erahnen, ob es dir völlig schnuppe oder eine Freude ist, doch Aleister Crowley zumindest scheint Mithras innerhalb seiner EGC noch direkt mit Christos in Verbindung gebracht zu haben:


Das Ziel der Gnostisch-Katholischen Kirche sei es, das reine Urchristentum in einer der Gegenwart angepassten Form wiederherzustellen. Nach eigenen Aussagen will die Gruppe die geheimen Heilswunder des Sakraments der Eucharistie enthüllen und die Heilsbotschaft des wahren Christos, des Gesalbten, verkünden. [19] F. W. Haack weist auf den Unterschied zwischen dem „Christus“ der Bibel und dem „Christos“ der GKK hin und erläutert, dass Crowley den Glauben an Jesus Christus als eine lebensverneinende und weltfeindliche Religion betrachtete und stattdessen als Gegenpart den so genannten „Mithras-Christos“ propagierte, den er auch „Siegenden Horus“ nannte. Im „Liber OZ: sub figura LXXVII“ heißt es zum Gottverständnis: „Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.“ Die christliche Lehre der Erbsünde und deren Rechtfertigung durch den zentralen christlichen Schlüsselbegriff der Gnade ist in der GKK verpönt, da es des Menschen Bestimmung sei, schon zu Lebzeiten sein Schicksal auf Basis des Gesetzes von Ursache und Wirkung zu lenken, um gottähnlich zu werden. Die Gottähnlichkeit des Menschen komme auf Grundlage des bewussten Erlebens der Einheit mit Gott durch ein Aufrechterhalten der Willenskontrolle während des Zeugungsaktes zustande, weil daraus die Erkenntnis erwachse, dass der vollzogene Liebesakt gleichzeitig als Parallelakt des göttlichen Zeugungsaktes begriffen werden könne. [24]
Wikipedia, O. T. O.


Ob Crowley tatsächlich wie es Haack geschrieben zu haben scheint, so dachte oder Haack ihn lediglich missverstand, keine Ahnung, doch dass Crowley für ihn zumindest sichtbare Parallelen erwähnt haben dürfte, bezweifle ich nicht.

Insofern hätte wohl auch Crowley diesen Essay mutmaßlich gern gelesen.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 23:33:
Vom Mithras-Christos habe ich noch nie gehört; und dann wird er auch noch mit dem Horus-Knaben in Verbindung gebracht!
Da haben wir ja die drei in der Spätantike so populären Götter, auf welche die oben erwähnte Karlsruher Ausstellung Bezug nahm, beisammen: Isis - Mithras - Christus.

Ob es damals auch eine solche Verschmelzung hätte geben können? Aber das wäre wohl heidnisch gedacht und für Christen ein Verstoß gegen das 1. Gebot.

 Olove meinte dazu am 12.07.24 um 02:06:
Vom Mithras-Christos habe ich noch nie gehört; und dann wird er auch noch mit dem Horus-Knaben in Verbindung gebracht!

Da haben wir ja die drei in der Spätantike so populären Götter, auf welche die oben erwähnte Karlsruher Ausstellung Bezug nahm, beisammen: Isis - Mithras - Christus.

Wie soll ich sagen? Für Crowley (1875-1947), der mit seinen Lebensdaten ein Zeitgenosse ziemlich vieler recht interessanter Intellektueller war, kam Biblizismus definitiv nicht in Frage als spirituelle Lebensform, weil er ein offensichtlich äußerst abschreckendes Beispiel dafür im eigenen Elternhaus erlebte. Als sehr junger Mann und innerhalb einer Eliteschule begann er, sich für Okkultismus zu interessieren, der damals zumindest in GB gerade groß in Mode kam und in England eh nie als etwas Negatives, sondern höchst Anziehendes von zahlreichen Menschen angesehen wird. Daher wurden für ihn Vorstellungen im Lauf der Jahrzehnte immer interessanter, die ein Religiosum nicht in dogmatisch engen Begriffen fanden, sondern ganz im Gegenteil im Rahmen weitest möglich denkbarer Vergleiche mit anderen religiösen Phänomenen, die er in antiken Religionen  und anderen Weltreligionen studierte.

Ihm ging es nicht um christlichen Glauben in Dogmen, sondern um eigene spirituelle Erfahrungen. Ähnlich C. G. Jung auf völlig andere Weisen.

Den Horus-Knaben als Parallele zum Christus könnte man nachvollziehen, wenn man den Isis-Osiris-Mythos, also die spirituelle Verneigung des altägyptischen Nord-Reiches mit dem Süd-Reich, vergleichend heranzieht und mit Josef, Maria und Jesus vergleicht. Vergleiche hinken selbstverständlich, doch ging es Crowley eh nie um Trennschärfe und Abgrenzungen bei religiösen Mythen, sondern um Verwischung von Grenzen und Zusammenschau.

Die Mithras-Mysterien sind noch einfacher. Hier wird der Grund-Mythos des Stieropfers mit dem Grund-Mythos von Tod und Auferstehung Jesu gleichgesetzt und für seine gnostisch-altäpyptische Religion vereinnahmt. Was Crowley mit der Gnostischen Messe auf Englisch und in anderen Landessprachen als religiöse Zeremonie erschuf, lässt sich nur inhaltlich in ihren einmaligen ästhetischen, zeremoniellen Schönheiten und Tiefsinn nachvollziehen, wenn man es selbst als Teilnehmer mit erlebte.

Muss man dann an irgend etwas darin glauben? Sicher nicht. Sie ist völlig frei nach dem jeweiligen Verständnis der Teilnehmer interpretabel.

Antwort geändert am 12.07.2024 um 02:11 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 13.07.24 um 16:20:
Danke für die Informationen über Aleister Crowley. Ich habe nie etwas von ihm gelesen, aber einmal den schönen Satz "Selig sind die Hoffnungslosen, denn sie können nicht enttäuscht werden" aufgeschnappt. Da hatte er, so dachte ich mir, den Wortlaut der Bibel gegen den Sinn der Bibel gewendet.
Geist von etwas (99)
(11.07.24, 07:53)
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 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 23:35:
Ich bin nicht sicher, ob ich Deinen Gedanken verstehe. Selbstverständlich gab es noch ganz andere Elemente Europas, auf die ich mich nicht bezogen habe; mein Text sollte kein Roman werden ... sowas geht hier nicht gut.

 Augustus (11.07.24, 12:27)
Man könnte auch hier Nietzches „Willen zur Macht“ bemühen. 
Die Christen wurden von Juden, von Muslimen von Römern verfolgt: vergeblich! Als sie mächtiger wurden im 4 Jahrhundert demütigten sie die anderen Kulte. Sie zerstörten bspw. die Nasen von Götterstatuen und demütigten so die römischen götter. Oder sie zerstachen die Augen der Statuen. Oder enthaupteten die Statue. Viele Statuen wurden  als Steine für den Hausbau verwendet. 
In der Antike war der christliche Glaube fundamental exzentrisch und bereit mit allen Mitteln sich zu behaupten. 
Freiwillige ließen sich unter allen Augen verbrennen, um als Märtyrer in den Himmel aufzusteigen. Der christliche Glaube versprach im Kampf für die Sache den herrlichen Aufstieg in den Himmel -> Heilsversprechen. 

Der Islam kopierte brav aus der Bibel; ersetzte das Heilsversprechen im Himmel gegen Jungfrauen; was Männern natürlich noch lieber ist. 

Welche Vorteile oder heilsversprechungen gab der Mithraskult der armen Bevölkerung?

 Regina meinte dazu am 11.07.24 um 12:54:
Sieben aufsteigende Initiationsstufen sollten das ewige Leben bringen. Wie diese Riten aussahen, ist nicht bekannt. Der Mithraskult war nur für Männer, das Christentum bezog auch Frauen ein.

 Graeculus meinte dazu am 11.07.24 um 23:38:
Deiner Auskunft, Regina, kann ich mich anschließen. Über die Initiationsstufen haben wir Informationen, über die Inhalte der Riten nicht. Das Leben  nach dem Tod galt in der Spätantike als zentrales Thema; die Religionen waren Erlösungsreligionen. Das gilt wohl für den Mithras-Kult ebenso wie für das Christentum.

 Olove meinte dazu am 12.07.24 um 14:20:
Augustus: 

1. Mithras-Kult entstand vor dem Christentum.

2. Es war ein römischer Soldaten-Kult. 

3. Wie auch bei anderen griechischen und römischen Mysterienreligionen basierte der Effekt auf Initiationen, durch die tiefe Verbindungen zwischen den thematisierten Göttern und ihren Initianden gestiftet wurden. 

4. Es wurden meines Wissens keine Zivilisten und schon gar keine Frauen aufgenommen.

5. Aus 4. erklärt sich der Sieg des aufkommenden Christentums. Dort durften Sklaven, Frauen und alle möglichen Menschen teilnehmen, die ein naiver Erlösungsglaube und nicht zuletzt eine gesellschaftliche Utopie miteinander verbanden.

6. Mithras-Kultteilnehmer waren zu Verschwiegenheit über interne Angelegenheiten verpflichtet.

7. Christen missionierten.

 Augustus meinte dazu am 12.07.24 um 15:23:
Danke Olove für die Infos. 

Der Mithraskult verschwand im 4/5 Jahrhundert in der römischen Kultur; wieso verließen die Männer/Soldaten den Mithraskult? 

Hat es was mit den Niederlagen in Schlachten zu tun? Fühlten sich die Soldaten von Mithras verlassen? Was führte zum Untergang des Mithraskultes? 

Die Fragen sind auch an jeden Kundigen gerichtet.

 Olove meinte dazu am 12.07.24 um 19:00:
Der Wikipedia-Artikel über „In hoc signo vinces“ unter Konstantin dem Großen ist gar nicht mal so schlecht. 

Mit ihm begann das Christentum als Staatsreligion. An der Authentizität der dort erwähnten Zeichen und des Traumes des Kaisers ist meinerseits nicht wirklich zu zweifeln.

Damit begann nicht einzig der Sieg des Christentumes, sondern auch still und leise der traurige Untergang des Mithras-Kultes.

Direkt neben dem Kölner Dom wurde ein Mithräum ausgegraben. Irgendwie logisch, dass gerade an solchen Orten tausend Jahre später eine Kathedrale errichtet wurde.

Religionen entstehen und vergehen zusammen mit ihnen gemeinsamen Kulturen. Das ist in meinen Augen zumindest nicht unbedingt ein Ausdruck absoluter Wahrheiten, von denen bei Mythen und Religionen eh höchstens bedingt gesprochen werden sollte, Religionen und Kulturen sind eng miteinander verbunden. Hat viel mit Identität und Gemeinschaft zu tun. 

Mithras lebt wie auch andere Götter auf ihre verborgenen Arten „leben“. Spiritualität. Ein weites Feld.

Antwort geändert am 12.07.2024 um 19:02 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 13.07.24 um 16:31:
Ich stimme Olove zu - mit einer Ausnahme: Im Mithras-Kult waren nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten zugelassen, zumindest Magistrate bzw. Honoratioren. Allerdings mögen diese, wie die übliche Karriere in Rom aussah, zuvor Soldaten gewesen sein.

Der Mithras-Kult sprach also diejenigen an, welche die Macht im Reich hatten, das Christentum eher die, auf welche das nicht zutraf: Frauen und Sklaven. Denen klang die Verheißung "Die Letzten werden die Ersten sein" sicher gut in den Ohren. So sprach jede der beiden Religionen ihre Klientel an.

Ob allein dies, wie Olove annimmt, schon den letztlichen Sieg des Christentums erklärt? Wie konnten denn die Ohnmächtigen es schaffen, an die Macht zu gelangen?
Regina hat schon darauf hingewiesen, daß die wesentlichen Entscheidungen (das Toleranz-Edikt des Kaisers Konstantin und die Erklärung des Christentums zur einzigen zugelassenen Religion durch Kaiser Theodosius) von mächtigen Männern getroffen werden mußten.

Diese Frage ist schwer zu beantworten, und mein Ansatz dazu ist der, daß Frauen Mütter sind - auch Mütter von Kaisern.

Meine Geschichte lebt davon, daß dieses letztliche Ergebnis nicht zwangsläufig war, daß es - ein paar kleine, zufällige Faktoren geändert - auch anders hätte ausgehen können. Was wäre dann aus Europa geworden?

 Olove meinte dazu am 13.07.24 um 18:31:
@Augustus: 

Meine gestrige Behauptung, 14:20 Uhr, (1.), der Mithras-Kult sei vor Aufkommen des Christentums entstanden, ist leider falsch. 

Er entstand im ersten Jahrhundert nach Christus. 

Sorry.

 Regina meinte dazu am 13.07.24 um 18:39:
Wenn er auf Rigveda und/oder Zend-Avesta zurückgeht, sind seine indischen und persischen Formen viel älter. 
Woher stammt deine Information?

 Olove meinte dazu am 13.07.24 um 19:04:
Ich stimme Olove zu - mit einer Ausnahme: Im Mithras-Kult waren nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten zugelassen, zumindest Magistrate bzw. Honoratioren. Allerdings mögen diese, wie die übliche Karriere in Rom aussah, zuvor Soldaten gewesen sein.

@Graeculus: Das solltest du lieber nicht. Denn ich argumentierte aus vermeintlichem Wissen, ohne unmittelbar ein Buch darüber in die Hand genommen  oder im Internet vorher wenigstens Texte überflogen zu haben.

Dass sie Honaratioren zuließen, ist wahrscheinlich.

Dass römische Männer, die beispielsweise politische Karrieren erstrebten, vorher in einer Legion gedient hätten, wäre mir neu. War dies tatsächlich so? Dass gehobene Bildung dafür von Vorteil war, keine Frage.


Der Mithras-Kult sprach also diejenigen an, welche die Macht im Reich hatten, das Christentum eher die, auf welche das nicht zutraf: Frauen und Sklaven.
Davon gehe ich weniger aus. Es ging beim Mithras-Kult offenbar nicht um Macht im gesellschaftlichen Sinn, sondern um Transzendierung der Legionäre in einer Zeit, welche religiöse und gesellschaftliche Umwälzungen im römischen Weltreich erlebte.

Dadurch wurden Legionäre umso treuere Staatsdiener und erlebten als Mitglieder der Mithräen fortschreitende geistig-seelische Erweiterungen ihrer Persönlichkeiten und Hebungen ihrer jeweiligen Bildungen.

Mit Aufkommen der Caesaren begann eine zunehmende Dekadenz im römischen Weltreich. Solcher indirekt entgegenzuwirken, scheint  der Mithras-Kult entwickelt worden zu sein, wobei man sich bei vorhandenen römischen und griechischen Mysterienreligionen bedient zu haben scheint.

Man weiß leider nur sehr wenig über die sieben Weihegrade. Doch immerhin deren Bezeichnungen und kennt ihre Hauptsymbole.


Die sieben Initiationsstufen oder Weihegrade des Mithraismus sind:

  1. Corax (Rabe); Merkur
  2. Nymphus (Bräutigam); Venus
  3. Miles (Soldat); Mars
  4. Leo (Löwe); Jupiter
  5. Perses (Perser); Luna
  6. Heliodromus (Sonnenläufer); Sol
  7. Pater (Vater); Saturn
Diese Weihegrade wurden auch den sieben Wandelgestirnen Merkur, Venus, Mars, Jupiter,  Mond,  Sonne und Saturn zugeordnet und waren nach  Kelsos eine Metapher für die Reise der Seele durch die Planetensphären zum Licht, zu den Fixsternen.
Wikipedia, Mithraismus


Mit Pater, Papa, Vater, wurde der Priester oder Vorsitzende des jeweiligen Mithräums bezeichnet. Es gab in der Regel zur Sicherheit mehrere Gradinhaber des Pater-Grades, jedoch immer nur einen aktiven Vorsitzenden.

Die Initianten wurden demnach im Lauf ihrer Mitgliedschaft mit mehreren griechisch-römischen Gottheiten in direkte Verbindungen gebracht. Insgesamt sieben sind für eine Mysterienreligion erstaunlich viele. Gewöhnlich standen bei sonstigen Mysterienreligionen höchstens drei im Zentrum.

Antwort geändert am 13.07.2024 um 19:06 Uhr

Antwort geändert am 13.07.2024 um 21:28 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 14.07.24 um 14:18:
An Regina:
Zweifellos hängt der Mithras-Kult im Römischen Reich irgendwie mit älteren, aus Persien stammenden Kulten zusammen. Man weiß nur nicht wie, weil es eine Lücke von mehreren Jahrhunderten gibt, in denen dieser Kult des Sonnengottes nicht faßbar ist.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.24 um 14:27:
An Olove:
Ich möchte das nicht simplifizieren, meine aber, daß die Anhänger des Mithras-Glaubens zu den Entscheidungsträgern gehörten - was auch immer sie sich von diesem Kult versprochen haben mögen.
Bei den Christen hingegen waren es zunächst Nichtrömer (Juden), Frauen und eben Sklaven - Leute, die sich von ihrem Glauben eine Aufwertung erhoffen durften. Das ist ja ein recht natürlicher Instinkt.

Die Karriere eines Römers spielte sich traditionell im Wechsel zwischen militärischen und politischen Funktionen ab.
Ich bin der Meinung, daß man das sogar noch für die Zeit der Soldatenkaiser des 3. Jhdts. u.Z. sagen kann: Zwar stammte der Kaiser aus der Armee, aber als Kaiser übernahm er auch hin und wieder das Konsulat. Aber abnehmend: ein Militärtribun ersparte sich das Amt des Aedils oder Prätors.

Erst Diocletian hat militärische und zivile Ämter strikt getrennt.
Geist von etwas (99)
(12.07.24, 02:49)
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 Graeculus meinte dazu am 14.07.24 um 14:30:
Ach so, das stimmt natürlich. Bis zurück nach Ägypten und seinen Apisstier.

 Regina (12.07.24, 21:53)
Graeculus hat es wieder mal geschafft, ein sehr interessantes Thema aufzutischen.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.24 um 14:28:
Jedenfalls interessant für uns.

 Graeculus meinte dazu am 03.08.24 um 23:14:
Es ist möglich, so habe ich gerade gelesen, daß die Jesiden, die vom IS so grauenhaft behandelte religiöse Gruppe, auf den Mithras-Kult und den Zoroastrismus zurückgehen.
Geist von etwas (99)
(15.07.24, 13:38)
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 Graeculus meinte dazu am 03.08.24 um 23:16:
Über Laktose-Intoleranz in diesem Zusammenhang weiß ich überhaupt nichts.

P.S.:
Über eingehende Kommentaren von Gästen werde ich nicht, wie sonst, per E-Mail informiert; daher kann es mit den Antworten schonmal dauern ... wie in diesem Falle.
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