1965

Kurzprosa

von  BeBa

Weihnachten 1965. Als endlich das Glöckchen klingelt und er ins Wohnzimmer darf, steht da diese Fallerbahn: mit Brücken und Bächen und die Kreuzung in der Mitte mit einer richtigen Ampel, die regelmäßig von Rot auf Grün wechselt. Und zwei Autos, ein dunkelgrüner VW-Käfer und ein weißer Krankenwagen-Bulli drehen ihre Runden.
Vater zeigt ihm, wie man mit der Fernbedienung die Autos steuert, sie an der Ampel stoppt und bei Grün wieder anfahren lässt. Und dann, es ist ja schon dunkel, sagt er lächelnd: „Und jetzt pass mal gut auf!“ Drückt einen Schalter neben der Bahn und in all den Häusern um die Fallerstraße herum geht das Licht an. Leben in der Stadt!

Und der Junge fährt den Käfer und den Bulli, wartet an der Ampel brav auf Grün, schaltet in den Häusern das Licht an und aus, wechselt zwischen Tag und Nacht.

Dann schaut er zu den Eltern. Mutter lächelt und er fühlt, es ist ein wunderschönes Weihnachten.
Vater hat wieder ein Glas Wein in der Hand, er ist müde. Irgendwie schaut er über die Fallerbahn hinweg oder durch sie hindurch. Der Junge sagt leise „Vater“. Vielleicht will er ja auch noch mal die Autos fahren lassen.
Seine Mutter lächelt ihm zu. Er lässt die Fernbedienung los, die Autos stehen und legt sich in Mutters Arme. Von da aus beobachtet er, wie die Ampel immer wieder von rot auf grün wechselt und zurück. Und er hört Mutters Du weißt doch.

So sitzt er da, an Weihnachten 2023. Seine Mutter hat er vor ein paar Minuten angerufen, doch er ist sich nicht sicher, ob sie ihn am Telefon erkannt hat. Im neuen Jahr wird er wieder mal nach Hause fahren.
Die Flasche Rotwein ist mittlerweile leer. Und am Ende ist er froh wie jedes Jahr, nicht geheiratet zu haben.


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Kommentare zu diesem Text


 Mondscheinsonate (13.08.24, 00:52)
Du, ich kenne nur deine Gedichte, kurzen Zeilen, bin aber sehr begeistert von deiner Geschichte.
Weißt du, was ich schade finde? Hier sind sehr viele Menschen, die schon länger auf der Welt sind und mir fehlen ihre Geschichten sehr. Selbst wenn alles fiktiv ist, war ich sofort in der Zeit.

 BeBa meinte dazu am 14.08.24 um 09:44:
Hallo Mondscheinsonate, danke dir. Ja, mit den älteren Geschichten hast du wohl Recht.

LG
Beba

 Teo (13.08.24, 08:05)
Mensch BeBa,
Weihnachten 64 habe ich meine Eisenbahn bekommen. Ich habe den Abend heute noch vor Augen. Ein Jahr später starb mein Vater. Tja, die letzte Zeile. Trauriger geht's nicht.
Meine Güte....wie mich dein Text berührt.
Danke.
Lieben Gruß 
Teo

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 13.08.24 um 11:19:
Hast du die Eisenbahn noch?

 Teo schrieb daraufhin am 13.08.24 um 11:45:
Ach Cori...ich bin 1990 bei meiner 1. Frau ausgezogen und hatte in meiner neuen Wohnung weniger Platz. Da habe ich meine Eisenbahn auf dem Trödelmarkt verkauft. Glaube mir....ich bereue es heute noch...

 BeBa äußerte darauf am 14.08.24 um 09:47:
Ja, eine Eisenbahn hatten wir auch. Fast alle hatten Märklin, unser Vater hat sich für Fleischmann entschieden.

Schöne Erinnerung.

LG
BEBA

 Teo ergänzte dazu am 14.08.24 um 09:52:
Moin BeBa,
jau,  Fleischmann hatte ich auch. Da waren die Schienen auch viel realitischer. Ach man...ich hab die fast verschenkt.....
Gruß 
Teo

 Mondscheinsonate meinte dazu am 14.08.24 um 10:21:
Ich fragte auch, weil mich das sehr berührte. Die Merklin war die einzige Sache, die mein Papa, meine Schwester und ich zusammen Familie sein ließ. Papa und sie bastelten Berge und Häuser und ich fuhr mit dem Zug. Ich habe sie auch nicht mehr :( Mutter hat sie verkauft und ging mit dem Geld... eh schon wissen.

 BeBa meinte dazu am 15.08.24 um 11:07:

Moin BeBa,
jau,  Fleischmann hatte ich auch. Da waren die Schienen auch viel realitischer. Ach man...ich hab die fast verschenkt.....
Gruß 
Teo


Ja, sie war bodenständiger, genau das Richtige für uns aus'm Pott

 BeBa meinte dazu am 15.08.24 um 11:10:
Ich fragte auch, weil mich das sehr berührte. Die Merklin war die einzige Sache, die mein Papa, meine Schwester und ich zusammen Familie sein ließ. Papa und sie bastelten Berge und Häuser und ich fuhr mit dem Zug. Ich habe sie auch nicht mehr  Mutter hat sie verkauft und ging mit dem Geld... eh schon wissen.

moin Mondscheinsonate,

deine Worte kommen mir bekannt vor. Ja, bei Märklin, Fleischmann und Faller wurde wieder die ganze Familie Kind ...

LG
BEBA

 eiskimo (14.08.24, 10:11)
Sehr berührend. Ich hatte Trix... und Wiking-Autos.
LG
Eiskimo

 BeBa meinte dazu am 15.08.24 um 11:12:
Moin Eiskimo,

danke dir und freut mich, dass der Text dich berührt. 
Trix und Wiking? Ich glaube, das schon gehört zu haben,  muss mal googeln. 

LG
Beba

 Teo meinte dazu am 15.08.24 um 11:28:
Jau...Winking Auto!
Da ging mitunter mein ganzes Taschengeld für drauf.

 tulpenrot (15.08.24, 11:49)
Dein Text ruft so viele Erinnerungen und Gefühle in mir wach - er ist wirklich überaus berührend. Und geheimnisvoll.
Dieses "Du weißt doch" - das weiß ich nicht recht zu deuten. Aber es soll geheimnisvoll bleiben, finde ich.
Abgesehen davon - den Gedanken, aus der Vergangenheit zu erzählen, finde ich sehr gut - ich fang gleich damit an und hoffe, es wird etwas daraus.
Bis später.
LG tulpenrot

 BeBa meinte dazu am 17.08.24 um 01:45:
Danke, Tulpenrot. Ja, ich würde ungern dieses "Du weißt doch" weiter erklären, denn das ist genau die entscheidende Stelle des Textes für mich. Und ja, etwas geheimnisvoll soll sie schon bleiben. Nur so viel: der Text spielt in einer Zeit, wo es bergauf ging im "Land", aber die Erinnerungen und Erfahrungen der Eltern zu der Zeit sind geblieben und wurden selten verarbeitet, geschweige denn verkraftet.

Ich habe gerade "Dein Schweigen, Vater" von Susanne Benda gelesen (Unbedingt empfehlenswert übrigens!) und sehr viel Ähnlichkeiten mit unserer Familiengeschichte gefunden (Prag statt Brünn, aber fürchterliche Schicksale und Folgen für die Betroffenen). Daraus musste zwangsläufig so etwas wie dieser Text entstehen, obwohl er schon weit früher im Kopf herumschwirrte.

LG
BeBa
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