Widerstand im Dritten Reich?

Erzählung zum Thema Unterdrückung

von  hehnerdreck

Er saß vor einem Blatt Papier und wusste nicht, was er schreiben sollte, da er mit seinen regierungskritischen Beiträgen in seinem sozialen Umfeld aneckte und in seinem Freundeskreis niemand mehr bereit war, auch nur ein Wort von ihm zu lesen. Er mochte die Juden und wollte sie gegen die Schmähungen von Julius Streicher, dem Chefredakteur des Stürmers, verteidigen. Ausgerechnet die Juden, sagten einige seiner ehemals engsten Freunde, die seien doch an allem schuld, an der Weltkrise, am Ersten Weltkrieg, - so zum Beispiel Huber, ein ehemaliger Mitschüler, den er bei Schulprüfungen manchmal bei sich abschreiben ließ, um ihm die Prügel seines Vaters wegen schlechter Noten zu ersparen.

Und heute, als glühender Anhänger Hitlers, nach dem mit Begeisterung gelesenen Buch 'Mein Kampf', hat er endlich begriffen, wie er sagte, dass das Heil von den Deutschen ausgeht, und zwar von den Ariern, der edelsten aller Menschenrassen, und dass die Gebiete Russlands eigentlich nach dem uralten Gesetz der bevorrechtigten Rasse, der Arier, zu Deutschland gehören sollten, denn nur die überlegene Rasse soll nach dem Naturgesetz überleben, während die minderwertigen Rassen nur dazu da sind, durch ihre Vernichtung und Versklavung die überlegene Rasse ihrer Bestimmung zuzuführen.

Die Vernichtung des lebensunwerten Lebens bezieht sich nicht nur auf die scheußlichen Missgeburten oder die geistig Behinderten, sondern auch auf die minderwertigen Rassen und insbesondere auf die charakterlich widerwärtigste Rasse, die durch all ihre Bosheit und Gemeinheit in ihren Genen für die Weltkrise und den Weltkrieg verantwortlich sind. Alles andere wäre eine krankhafte Perversion der Natur - die überlegene Rasse muss die unterlegene entweder unterwerfen oder vernichten, damit den gesunden Genen mehr Raum gegeben wird und nicht die ungesunden Gene sich wie Krebsgeschwüre über die Welt ausbreiten und damit die Zukunft der Menschheit in den Abgrund stürzen.

Nur der abgrundtiefe Hass gegen alles Minderwertige kann die Menschheit vor ihrem eigenen Untergang retten!, so Huber, der alles nachplapperte, was er am Stammtisch von anderen NSDAP-Mitgliedern mit begeisterter Aufmerksamkeit aufgeschnappt hatte. Huber schimpfte auch über Künstler wie Nolde, Marc, Dix und Kokoschka mit ihrer, wie er sagte, abscheulichen Verfälschung der Natur und lobte dagegen Hitlers Lieblingskünstler Willy Meller und Arno Breker mit Tränen der Rührung und Bewunderung angesichts der von ihnen in Stein gemeißelten herrlichen Heroen, der gelungenen Verkörperung des Ariers, den Werke wie die von Nolde und Dix mit ihrer entarteten Kunst indirekt schon durch ihre bloße Existenz besudelten!, so Huber.

Ja, so sprechen, denken und fühlen offensichtlich seine ehemaligen Weggefährten, denen er nicht mehr zu folgen bereit ist. Zwar hatte er auch von einer gewissen Sophie Scholl und ihrem Bruder vom Widerstand gehört, aber den Gedanken, zu ihnen zu gehen, verwarf er bald wieder, zum einen aus Angst vor möglichen Repressalien durch die SS und, schlimmer noch, im Keller der Gestapo zu landen, wovon er schon öfter gehört hatte.


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Kommentare zu diesem Text


 Citronella (11.10.24, 18:44)
Zum Widerstand gehört eben nicht nur profundes Wissen um die vorherrschenden Verhältnisse, sondern auch eine gehörige Portion Mut. Aber eben nur so lange man sich definitiv Überlebenschancen ausrechnen kann. Sonst ist jeder Widerstand vergebens.
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