Gestern im Café

Gestern saß ich mit Hugo, Sabrina und Leo im 'Café zur krummen Breze'. Gekrümmte Brezeln habe ich dort noch nicht auf der Karte gesehen, aber der Name passt gut zu den Gästen, die überwiegend geistig oder körperlich behindert sind. Bei den Blinden ist der Einäugige König, und da ich zwar nicht behindert bin, mich aber, wenn ich es mir recht überlege, alles andere als normal vorkomme, fühle ich mich in der 'krummen Breze' pudelwohl. Nicht, dass ich mich einem Rollstuhlfahrer überlegen fühle und mich dank seiner Situation umso besser fühle, nein, daran habe ich noch nie gedacht.

Aber Herbert, den ich schon seit meiner Schulzeit kenne, hat mir tatsächlich mal anvertraut, dass er gerne Körperbehinderte sieht, damit er wieder daran erinnert wird, wie schön es ist, nicht körperbehindert zu sein, was ich unsensibel und irgendwie auch blöd fand. Sabrinas Behinderung ist eine seltsame Sprachbehinderung, sie spricht langsam. Das macht sie anscheinend für uns alle so sympathisch, denn zum Beispiel die schnelle Sprechweise von Leo, der im Rollstuhl sitzt, geht nicht nur mir oft ziemlich auf die Nerven.

Leo müsste eigentlich nicht im Rollstuhl sitzen, der Grund dafür ist, dass Leo sich weigert zu gehen, weil er glaubt, dass Gehende leichter von den Gedankenstrahlen böser Menschen beeinflusst werden können und er sich deshalb zu seiner eigenen Sicherheit nur im Rollstuhl fortbewegt. Seine Behinderung ist also nicht körperlicher sondern von einer anderen Art, wie der Leser nun vielleicht verstehen wird.

Ebenso weniger körperlich ist Hugo behindert, denn er glaubt tatsächlich, schwerelos durch den Raum fliegen zu können, hat es uns aber noch nicht vorgeführt, aus Angst, wir könnten uns beim Anblick seiner Herumschweberei so sehr erschrecken, dass mindestens einer von uns einen Herzinfarkt erleiden könnte.

Der eigentliche Hauptgrund für mein Erscheinen in der 'krummen Breze' ist nicht so sehr die illustre Gesellschaft, von der ich guten Gewissens behaupten kann, dass sie mir nicht selten Vergnügen bereitet, sondern vielmehr die exotische Besonderheit in Form der großen Whirlpools, die sich in diesem ungewöhnlichen Kaffeehaus befinden, wo man mit einem trockenen Tisch in der Mitte im sprudelnden Wasser sitzt und die aufsteigenden Luftblasen genießt, die sich wie eine sanfte Massage auf der nackten Haut anfühlen.

Angeregt durch diesen körperlich sinnlich wahrnehmbaren Komfort sind unsere Gespräche dementsprechend auch viel inspirierender und geistreicher, als wenn wir sozusagen auf dem Trockenen säßen und nicht diesen vom warmen Wasser beeinflussten Schwebezustand erleben könnten.