"Subkultur" Eine DDR Geschichte über die Stasi, Punk und einen Mord

Essay zum Thema Lebensweg

von  diestelzie

"Punk in der DDR? Den gab es doch nur im Westen und nicht bei uns."

Doch, gab es. Wir wussten es nur nicht. 

Punk war nicht erlaubt.

In Erfurt gab es in den 80igern eine Szene, deren Anhänger sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sie laut, vulgär, kaputt und ständig betrunken  waren. Anführer dieser Randerscheinung war Dieter Ehrlich, genannt "Otze". Seine Band "Schleimkeim" gilt bis heute als DIE Punkband des Ostens und Dieter Ehrlich ging als Legende in die Geschichte des Ost Punks ein. Es scheint als beginnt die Talfahrt von Dieter Ehrlich nach der Wende. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass seine erste Inhaftierung tiefste Wunden hinterließ.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Stotternheim, einem kleinen Ort am Rande von Erfurt, erlebte er zusammen mit seinen Geschwistern, drei Brüder und einer Schwester eine typische DDR Kindheit. Mit Bruder Klaus gründet er 1980 seine Band. Der Ehrlichhof hatte im Dorf einen guten Ruf. Dieters Vater verdiente sein Geld in einem volkseigenen Betrieb und bewirtschaftete zusätzlich das Gehöft, welches sehr groß, allerdings nicht, wie damals üblich zur LPG gehörte. Die Mutter war das Herz der Familie, bei ihr am Küchentisch trafen sich später auch Otzes Freunde bei Rouladen, thüringer Klößen und Rotkraut.

Dieter Ehrlich war ein mißerabler Schüler, blieb zwei mal sitzen und verließ die Schule nach der 7. Klasse. Danach begann er eine Ausbildung zum Hilfsarbeiter im Stahlbau, sein Chef wird ihn später als labil, arbeitsscheu und "nicht in der Lage, seinen eigenen Namen zu schreiben", beschreiben.

Seine Liebe zum Punk entdeckt Dieter wohl im Westradio, in Sendungen wie "Zündfunk" oder "Pop nach acht" und auf diversen Musikkasetten, die ihm seine Oma aus dem Westen  mitbringt. Es sind Bands wie  die Sex Pistols, No Future und Ramones, die ihn inspirieren, ihn dazu bringen, erst im Kinderzimmer und dann in einer Scheune zu improvisieren und mit selbstgebastelteten Instrumenten aus Schreibtischschubladen, einer ausgedienten Trommel, einem Besenstiel, einem mit Lammfell bezogenem Jazzbecken usw. Musik gegen den Staat, gegen die Norm und für den großen Traum von Freiheit zu machen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht klar, dass er in die Geschichte eingehen wird, als "einer der Schlagzeug gespielt hat, als würde er ein Schwein schlachten". Er sticht sich eine Sicherheitsnadel durch die Wange und tätowiert sich mit einer Stopfnadel "Punk" auf den Unterarm.

1981 kündigt er im VEB Stahlbau.


In der DDR wurde die Kirche vom Staat geduldet und spielte für Jugendliche, die dem Zwang und der Pflicht entfliehen wollten, eine große Rolle. Weil für Punkmusiker öffentliche Auftritte verboten waren, zog es auch die Mitglieder von "Schleimkeim" in das Gotteshaus.  Nicht der Glaube, sondern das Gefühl der Freiwilligkeit brachte die jungen Leute in die Kirche.


1983 kam es zur ersten Razzia auf dem Ehrlichhof, Dieter wurde unter dem dringenden Tatverdacht festgenommen mit seinen Texten den Interessen der DDR zu schaden und musste sich im Stasiknast stundenlangen Verhören aussetzen. Die Stasimitarbeiter gaben sich hier meist väterlich-vertraulich und brachten ihn dazu, als inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit zu arbeiten. Eventuell dachte der junge Mann damals, seine Mitarbeit könnte sich positiv auf die Arbeit seiner Band auswirken, wenn er es schlau genug anstellte und die Stasi "austrickste". Das gelang natürlich nicht, vielmehr begann wohl von diesem Zeitpunkt an die Talfahrt für "Otze". Sein Leben wird von Drogenkonsum und mehreren Aufenthalten in Psychiatrien geprägt.


Im Jahr 1996 beschließt sein Vater die Entmündigung und räumt während eines Psychiatrieaufenthaltes Dieters Zimmer und die Scheune aus. Er entsorgt alles. Dieters Leben landete innerhalb weniger Stunden vollständig auf dem Müll.

Das geschah im Jahr 1999.

In der ersten Nacht wieder zuhause, nimmt Dieter eine Axt und erschlägt im Drogenrausch damit seinen Vater, während dieser schläft.

Dieter wird noch in der Nacht verhaftet und verbringt den Rest seines Lebens in einer forensischen Einrichtung, wo er 2005 im Alter von 41 Jahren an Herzversagen stirbt.


Dieter Ehrlichs größter Feind war die DDR. Damit hatte er gelernt zu leben. Doch irgendwann gab es diesen Staat nicht mehr. Vielleicht war gerade das sein Genickbruch.

Vielleicht konnte er sich nur durch dieses Feindbild identifizieren.


Die Frage: "Wer bist du, wenn dein Feind weg ist?" stand für viele junge Menschen nach der Wende im Raum.















Anmerkung von diestelzie:

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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (24.10.24, 07:07)
Die Frage: "Wer bist du, wenn dein Feind weg ist?" stand für viele junge Menschen nach der Wende im Raum.
Auch für viele ältere, darunter so manchen Schriftsteller, so manche Schriftstellerin.

Ein kluger und sehr lesenswerter Essay, der auch ein Schlaglicht auf die jetzige politische Entwicklung wirft.

Kommentar geändert am 24.10.2024 um 07:07 Uhr

 diestelzie meinte dazu am 24.10.24 um 17:36:
Danke lieber Quoth. Ich freue mich sehr über deine anerkennenden Worte, aber auch über die Empfehlung und Favorisierung.

Liebe Grüße
Kerstin

 ran (24.10.24, 09:48)
Dieter Ehrlichs größter Feind war die DDR. Damit hatte er gelernt zu leben. Doch irgendwann gab es diesen Staat nicht mehr. Vielleicht war gerade das sein Genickbruch.

Vielleicht konnte er sich nur durch dieses Feindbild identifizieren.
Das ist Spekulation. Der war offensichtlich mental schon vor dem Verschwinden der DDR angegriffen. Mehr als andere unter den gleichen Bedingungen. Der Hass auf den Vater könnte schon lange vor der Entmündigung seinen Ursprung haben. Wir wissen es nicht. Stasi und Drogen reichen schon, um jmd. psychisch zu zerstören.

Mit dem Feindbild sehe ich es umgekehrt, die DDR hatte unangepasste Jugendliche zum Feindbild erklärt und entsprechend behandelt. Das kommt im Text ja auch zum Ausdruck.

Kommentar geändert am 24.10.2024 um 09:51 Uhr

 eiskimo (24.10.24, 10:20)
Macht kaputt was euch kaputt macht, das fällt mir dazu ein.
Ein höchst interessanter Bericht, liebe Stelzie!
LG
Eiskimo

 Graeculus (24.10.24, 12:30)
Das zu lesen hat mich sehr interessiert. Von einer Punk-Szene in der DDR kannte ich bisher nur Gerüchte.
"Schleimkeim", spielt das auf die Westberliner Punkband "Slime" an?

 Klemm antwortete darauf am 24.10.24 um 12:31:
Slime sind aus Hamburg!

 Graeculus schrieb daraufhin am 24.10.24 um 12:33:
Oh, ich bitte um Entschuldigung. In Berlin habe ich sie kennengelernt und daraus offenbar einen falschen Schluß gezogen.

 Klemm (24.10.24, 12:39)
Die Oma, die Punk-Kassetten über die Grenze schmuggelt, ist ja allerliebst!

 diestelzie äußerte darauf am 24.10.24 um 17:34:
Genau :) und deswegen musste sie auch mit rein in den Text.

Ich dank dir, auch für deine Empfehlung.
LG Kerstin

 Teichhüpfer (24.10.24, 15:24)
Meine Freundin aus der DDR geflohen und ihre Freundinnen waren die Alternativen. Ich war zu der Zeit auf dem Kolleg 1985/ 86 . Deine Punk Geschichte kannte ich noch nicht, hört sich gruselig an, aber gut geschrieben.

lg Teichi

 EkkehartMittelberg (24.10.24, 16:35)
Hallo Stelzie,
dein Essay besticht durch das Zurückhalten von Wertung.

LG
Ekki
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