High urgent

Kurzprosa zum Thema Tod

von  Odine


 

Mein neues Herz, kraftvoll hämmert es gegen meine Rippen, dass ich glaubte, sie würden jeden Moment unter der Wucht dieser Energie zerbrechen. Mein neues Herz - als wolle es mir aus der Brust springen, aus der Enge meines Körpers entfliehen.

Vorbei sind die Monate, in denen sich meine Existenz auf knapp 25 Quadratmeters eines sterilen kargen weißen Klinikzimmers beschränkte. Vorbei sind die Monate des Lebenskampfes gegen die eigene Atemlosigkeit. Vorbei sind die Monate, in denen mich alle nur noch „High urgent“ nannten, so dass ich irgendwann fast vergaß, welchen Namen mir meine Eltern eigentlich bei meiner Geburt vor 47 Jahren gegeben hatten. Was geblieben ist, ist ein dünner roter Strich, welcher seit knapp drei Monaten meine Brust ziert. 

Was geblieben ist, ist ein Gefühl der Sinnlosigkeit in mir, welches sich seit dem Tag, an dem mir dieses neue zweite Leben geschenkt wurde, in mir wie ein Parasit eingenistet hat. Es ist der Parasit der Trauer; der Trauer um dich, die Liebe meines Lebens - an jenem Tag durch einen schrecklichen Unfall aus dem Leben gerissen, als meins von Neuem begann.

Was mir geblieben ist, sind die Erinnerungen - Erinnerungen an Abende im Sommerregen, als wir gemeinsam gelacht, geweint und uns schweigend in die Augen blickten - als wir von einer neuen besseren Zukunft träumten. Einer Zukunft, in der wir all die Verrücktheiten und Hirngespinste, welche uns bis dato nicht gegönnt waren, gemeinsam nachholen würden.

Was mir geblieben ist, ist der Trost, dass dein Tod nicht umsonst war, dass ein Teil von dir in irgendjemanden weiterlebt, so wie du es gewollt hast.

Sachte lege ich meine Hände auf den Brustkorb, spüre, wie sich dieser bedächtig auf und ab bewegt, spüre das dumpfe Wummern meines Herzens in mir.  

Dieses Wummern, was mir in seiner Rhythmik und Einzigartigkeit so vertraut vorkommt, als würde ich es bereits seit Jahren kennen. Dieses Wummern, was in mir die Hoffnung am Leben hält, irgendjemand sei ich.



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