Der Schlaf, ein Abbild des Todes

Erörterung zum Thema Tod

von  loslosch

Somnus imago mortis (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr., Tusculanae disputationes). Der Schlaf (ist) ein Abbild des Todes.

In der Antike ein immerwährendes, bewegendes Thema. Auch als Abbild des kalten Todes empfunden ("... somnus gelidae mortis imago" - Traum als Abbild des kalten Todes; Ovid, 43 v. Chr. bis ~17 n. Chr., Amores). In der wenig turbulenten, alles andere als reizüberfluteten, dennoch lebensfeindlicheren Antike war die Beschäftigung mit dem Tod allgegenwärtig, so wie der Tod allgegenwärtig und sichtbar war. Der Anblick eines einzelnen Toten ist heute an den Rand gedrängt, obgleich die Zahl der Todesfälle jährlich die der Antike um einen zweistelligen Faktor übertrifft. Der Tod geistert anonym durch die Medien in Berichten über Unfall-, Attentats- und Bürgerkriegsopfer.

Wer verschwendet noch einen Gedanken an die Affinität von Tod und Schlaf? Ein stimmiges Bild, soweit man sich an Träume der Nacht nicht mehr erinnern kann. Das trifft zu für die weit überwiegende Zahl der Träume. Mit dem spätabendlichen Schwung aufs Nachtlager ist verknüpft der vage wie selbstverständliche Gedanke ans nächste Morgengrauen. Die vom Tod Gezeichneten hingegen verschwenden kaum einen Gedanken, so sie ihn vernünftigerweise fassen können, an das Grauen des nächsten Morgens - an ein Grauen schlechthin.

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Kommentare zu diesem Text


 irakulani (07.10.11)
Eine Überlegung, die zweifellos nahe liegt – und dennoch erschreckt.
In der Psychologie werden massive Schlafstörungen u.U. als Todesfurcht gedeutet. Und ich gestehe – die Vorstellung, dass der Schlaf dem Tode gleicht, hat etwas Beängstigendes.

Umgekehrt nimmt die Vorstellung dass der Tod dem Schlaf gleicht, viel von dem Grauen des Todes. Man sieht, es ist einmal mehr eine Frage der Betrachtungsweise.

L.G.
Ira

 loslosch meinte dazu am 07.10.11:
die führer der weltreligionen lesen meine texte nie und nimmer! merci, madame. lothar

 Bergmann (07.10.11)
Wichtiges Thema.
Ich wünschte mir alle Thesen noch ausführlicher entfaltet.

Tod ist nicht zurückgedrängt heute, er wandelt sich in noch größere, längere Qualen.

Schlaf / Erholung - ist heute derart positiv konnotiert, dass die antiken Gedanken verblassen; leider.

Herzlichst: Uli

 loslosch antwortete darauf am 07.10.11:
immerhin gebe ich denkanstöße, lieber uli. einigen lesern traue ich zu, diese zu entfalten. t.t. lothar

 Bergmann schrieb daraufhin am 07.10.11:
Aber natürlich, doch!
;-)

 Lluviagata (07.10.11)
[In der Antike ein immerwährendes, bewegendes Thema...]

Auch für mich ist der Tod ein solches Thema, ganz ohne ewig traurig oder gar todessehnsüchtig zu sein.
Fest steht für mich, dass nichts grausamer, nichts endgültiger ist als der im wahrsten Sinne des Wortes kalte Tod. Fest steht auch für mich, dass jeder Schlaf ein kleiner Tod ist, aus dem zu erwachen jeden Morgen ein kleines, als zu selbstverständlich angesehenes, Glück ist ...

Ich finde den Aphorismus und deine Auslegung dazu wieder sehr interessant, sehr nennens- und wissenswert. Und trotzdem wüsste nicht nur ich, sondern bestimmt jeder zweite erwachsene Mensch auf dieser Welt, schon gern, was uns denn wartet, da hinter dem Abgrund ...

Großes Lob von mir! ♥

 loslosch äußerte darauf am 07.10.11:
gerade dieser wunsch, es lebendigen leibes zu wissen, hält unorganisierten wie organisierten glauben (religion im heutigen sprachgebrauch) am leben. wir wissen es nicht und werden es nie (nie = eigenes programm) erfahren. lothar, vielmals bedankend

 Irma (07.10.11)
Als Kind hat mir das Gute-Nacht-Lied "Guten Abend, gut' Nacht" immer irgendwie einen Schauer über den Rücken gejagt: "...Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt..." heißt es dort, und ich dachte immer: Und was ist, wenn Gott nicht will? Das "mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlüpf unter die Deck" erschien mir geheimnisvoll, rätselhaft, auch etwas unheimlich.

Heute singe ich das Lied wieder gerne, eben weil es neben dieser vielleicht etwas Angst einflößenden Sichtweise auch etwas sehr Beruhigendes, Zuversichtliches hat, in dem Sinne, dass der Tod nichts Endgültiges ist, sondern man, so Gott will, wieder erweckt wird. Wunderschönes Thema, Lo! LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 07.10.2011)

 loslosch ergänzte dazu am 07.10.11:
ein äußerst schwieriges ... der gedanke, dass man EWIG lebt, hat auch etwas beängstigendes, bedrängendes.

ein kinderlied. die erste und dritte (identische) strophe sind fein, wenn man gott als platzhalter nimmt (aus meiner agnostischen sicht). welche näglein das sind, würde ich auch gern wissen. oder ich googele später mal. danke. und danke, yvonne. lothar

 loslosch meinte dazu am 07.10.11:
guck mal, was ich gefunden hab:

"Die Molukken waren das lange nicht erreichte Ziel des mittelalterlichen Gewürzhandels. Die Nägelchen waren die getrockneten, sehr aromatischen Blütendolden der Gewürznelke. Sie haben in der Tat die Form von kleinen handgeschmiedeten Nägeln. Die Bezeichnung Nägeli war im Mittelalter gängig und findet sich auch in alten Backrezepten." quelle: http://www.kamelien.de/baby.htm

wer hätte das gedacht!

 Irma meinte dazu am 07.10.11:
Ja, diese Interpretation mit den am Bettende aufgehängten Rosen und Gewürznelken als Einschlafhilfe ist mir bekannt. Aber im ersten Moment denkt man schon irgendwie eher an Sargnägel... LG BirmchenIrmchen

 Lala (07.10.11)
Interessantes Thema. Die Bilder der Toten und der beinahe Toten, die ich sah, die vergesse ich auch nicht mehr. Aber wie sollten wir das ändern ...

Guten Tag, das Lothar Losch Gedächtnisinstitut sendet ihnen heute einen Beinahe Toten, dessen voraussichtliches Ableben in den nächsten achtundvierzigstunden eintreten wird. Beim Eintritt des Todes kommt es zur Muskelerschlaffung und zu einer möglichen Entleerung des Darmes. Dies ist ganz normal, aber nutzen sie bitte hierfür unsere mitgeliefert Litter-Box. Prägen sie sich das Bild des Todes bitte gut ein ...

oder:

Das Lothar Losch Gedächtnisinstitut lädt Sie ein, am xx.xx. uns im Losch-Spital auf Station 6 zu besuchen. Wie immer zeigen wir Ihnen einen Todesfall und einen beinahe Abgelebten ...

Diese Körperwelten gibt's ja schon? Aber natürlich sind die Beispiele Unsinn. Was ich aber behaupten möchte bzw. was ich glaube was dringend notwendig wäre, wäre eine Diskussion darüber wie sich das Menschenbild gewandelt hat, bzw. sich vielleicht noch wandeln wird. Ich habe das Gefühl wir machen ein bißchen PID, genetik, Intensivmedizin und, und und aber wir fragen uns nicht, wie wir eigentlich leben und sterben wollen in Zukunft. Das kann ja dann durchaus anders sein als früher.

Gruß

Lala

 loslosch meinte dazu am 07.10.11:
dazu fällt mir nichts mehr ein - außer das hier vllt.:

Senectus insanabilis morbus est. (Aus dem römischen Zwölftafelgesetz.) Das Alter ist eine unheilbare Krankheit. Die moderne Medizin scheint das etwas anders zu sehen und kämpft gegen diese unausrottbare Krankheit an. Spezialgebiet: Kosmetische Chirurgie. Sonderfall: Entgleiste Gesichtszüge.

loslosch-gedächtnisinstitut, abteilung schönheitschirurgie. lothar

 EkkehartMittelberg (07.10.11)
"Wer verschwendet noch einen Gedanken an die Affinität von Tod und Schlaf?" - Genau darüber habe auch ich schon oft nachgedacht, Lothar. Der trostreiche Gedanke liegt doch gerade für Atheisten und Agnostiker, von denen es heute vielleicht mehr gibt als in der Antike, so nahe: der Tod als ein unendlicher Schlaf. Wenn man von dem ebenso so nahe liegenden Gedanken ausgeht, dass nach dem Tode die Hirnzellen abgestorben sind, liegt es auf der Hand, dass dieser Schlaf nicht einmal durch bedrückende Träume belastet wird.
Ekki

 loslosch meinte dazu am 07.10.11:
wie ein ewiger traum, der nicht mehr abgerufen werden kann. noch ein trostpflästerchen: was war eigentlich vor unserer stunde null mit uns, ekki??

das füllhorn war zu groß heute. gratias agens. t.t. lothar
fdöobsah (54)
(07.10.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.10.11:
Dem kann ich nur zustimmen, fdöobsah, obwohl du die oft zitierten 71 Jungfrauen barmherzig auf 40 reduziert hast. Ich stelle mir gerade vor, dass der irdische Leistungsdruck in den ewigen Traum mitgeschleppt würde. Dann wären schon 40 sehr beängstigend.-)))
Ekki

 loslosch meinte dazu am 07.10.11:
@fdöobsah: die wahrscheinlichkeit, nach knapp 8 stunden wieder aufzuwachen, liegt nach meiner schätzung bei "nur" 4.200 zu 1. wie ich rechne? das durchschnittliche alter in D liegt bei etwa 50 jahren, die lebenserwartung bei extrapolierten 85. im jahr werden nächtens ca. 120 tage "verschlafen". in der durchschnittlichen restlebenserwartung wären das 120 x 35 verschlafene tage, also 4.200. somit ist die vorstellung, den nächsten morgen nicht mehr zu er-leben, nicht so irreal. bei dir liegt die wahrscheinlichkeit statistisch mit jetzt 47 lebensalter allerdings leicht günstiger. bei "ordentlicher" gestaltung wohl in der gegend von 4.600 zu 1. naja, sieht auch nicht gerade rosig aus. lo (mit einer relation 1.800 zu 1)

nach koffeinschub korrigiere ich: ein dritttel des jahres verschlafen heißt faktor (nicht divisor) drei, also in etwa die alten zahlen ums zehnfache anheben: 42.000 zu 1 für den durchschnitt, 46.000 für fö. und 18.000 für lo.
(Antwort korrigiert am 07.10.2011)
Karmesin (20) meinte dazu am 07.10.11:
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Graeculus (69) meinte dazu am 04.12.14:
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baerin (53)
(07.10.11)
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 loslosch meinte dazu am 08.10.11:
der herr schlaf und schlafes bruder daneben sehen beide sanftmütig aus. prosperina ist ein römisches eigengewächs. es fehlt noch morpheus, der griechische gott des traumes. danke für die rückbesinnung. lothar

 ViktorVanHynthersin (07.10.11)
HeHe meinte sinngemäß: "Denk ich an den Tod in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht." Also lieber an etwas Schönes denken und vielleicht auch noch davon träumen ))
In diesem Sinne eine gute Nacht wünschend
Viktor

 loslosch meinte dazu am 08.10.11:
HeHe, das hab ich erst beim zweiten lesen kapiert. lothar
Graeculus (69)
(04.12.14)
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 loslosch meinte dazu am 04.12.14:
hast du nicht über schopenhauer promoviert?
Graeculus (69) meinte dazu am 04.12.14:
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 Regina (04.12.14)
Bei den Amthroposophen gilt die Tatsache, dass man am Morgen wieder aufwacht, als Argument für die Annahme der Reinkarnation.

 loslosch meinte dazu am 04.12.14:
die anthroposophen vermögen mich nicht zu überzeugen.

 Regina meinte dazu am 06.12.14:
Mit dem Überzeugen klappt es sowieso meistens nicht. Kein Mensch will sich vom anderen überzeugen lassen. Jeder glaubt, was er möchte. Ich wollte das nur zur Vervollständigung anmerken, welche Sichtweisen man on puncto Schlaf und Tod haben kann.
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