Traditionen – Rituale, die man fortpflegt und fort und fort. Bis sie irgendwann zu etwas Grässlicherem geworden sein werden, etwas Abstoßendem und einer Absonderlichkeit, einer Touristenattraktion, einer Konsumindolenz, tot und begraben gehörig, abseitig und wiedergängerisch, jenseits einer wie auch immer gearteten verlogenen gefühligen Identität.
Und der Baum ist immergrün und selbst geschlagen im heimischen Forst unter Schneewehen und Sägengeraspel und fröhlichem Kinderlachen.
Die blinkenden LED-Lichter funkeln bunt strahlend, dass die Sterne erblinden. Die Kleinen sitzen dann vor der Spielekonsole, später nach Bescherung, populäre Weihnachtsmusik spielt elektronisch, und die von Alkoholabusus und strengem erfolglosem Nachdenken zerfurchten Stirne der aus dem Küchendampf Erwachsenen senken sich ergeben auf die Reste der toten Gans nachhaltigen polnischen Anbaus des blauschimmernden, plüschschneeflockengeschmückten Normtiefkühlschranks von Lidl. Vor der automatischen Schiebetür unter der Einkaufsschlange von Menschen hatte es noch Gratispunsch, mit Schuss 3,95€, aus zerbröselnden Chinaplastikbecherchen gegeben, die quer über zwei oder drei Ozeane aufgeschifft worden sind. Die Ausschankkulis waren missmutige Schlitzaugen, vermutlich aus Nordkorea an die Schneefront von Europa verschickt, ohne dass ihre Familien benachrichtigt worden wären. Jedenfalls waren die nicht von hier. Aber mit roten Zipfelmützen mit weißem Plastikbesatz. Manche hatten blinkende PVC-Geweihe auf dem Kopf, ich weiß nicht wieso.
Ich hatte noch so einen lauwarmen Becher genommen.
© Rainer M. Scholz