wir drei nachmittags

Text

von  tulpenrot

Wir sind drei alte Frauen. Babette, Adele und ich.

Babette hat ein Haus und einen Garten. Mit Obst, Gemüse und Sonnenblumen.

Adele besitzt auch ein Haus und einen Garten mit Gemüse und Sonnenblumen und Hühnern.

Ich wohne zur Miete, hab aber auch einen großen Garten: Im Frühjahr mit vielen Schneeglöckchen und Maiglöckchen, dann blühen Tulpen und Narzissen, später Forsythien, Flieder und Jasmin. Im Sommer bis in den späten Herbst duften die Kletter-Rosen und zwischendrin blühen ja auch die Pfingstrosen und mein Apfelbäumchen.

Adele und Babette sind weit über 80 Jahre alt, seit kurzem verwitwet. Ich bin die mit Abstand jüngste, aber schon seit Jahrzehnten verwitwet.

 

Sie haben mich in ihre Mitte genommen. Babette geht voraus mit ihrem Rollator, ich folge ihr, auch mit Rollator, und Adele macht das Schlusslicht. Sie schiebt ihr Fahrrad, das ihr Stütze und Halt gibt. Wir waren nicht verabredet. Ich ging zufällig an Adeles Haus vorbei, wie so oft. Meist sitzt sie am Fenster und stickt. Manchmal steht sie auf, öffnet das Fenster und wir plaudern ein wenig. So auch heute. Das Außergewöhnliche: Sie lädt mich ganz überraschend ein, zu ihr hereinzukommen, Babette sei auch da. Sie würden zusammen singen. Ja, das wollte ich auch, so ganz spontan. Da ich aber die Treppen zu ihrer Wohnung nicht hochsteigen kann, beschließen die Beiden „Wir gehen zu Babette.“ Da gibt es keine Treppen zu ihrem Wohnzimmer.

 

Wir gehen nun also zu dritt zu Babette. Im Gänsemarsch. Babette geht selbstbewusst mit forschen Schritten vor mir her, immer darauf bedacht, dass ich mit ihrem Tempo mithalten kann. Ich kann, selbst mit einem Rollator nur langsam gehen. Adele folgt uns. Jetzt gehöre ich also dazu, zu den Alten, die mit schiefgelaufenen Schuhsohlen ihre Einkäufe machen oder zur Gebetsstunde schlurfen. Deren Haare dünn geworden sind und kahle Stellen auf der Kopfhaut hinterlassen. Die zu ungelenke Hände und zu steife Arme haben, um noch eine ordentliche Hochsteckfrisur zustande zu bringen. Die nicht mehr sehen, dass der eismeerfarbene Anorak nicht zu dem Blau der Jeanshose passt. Alle frühere Schönheit und Attraktivität ist dahin.

 

Zwar seh ich diese etwas trostlosen Unvollkommenheiten, aber all das zählt nicht für mich. Heute nicht. Denn ich bin so sehr erfreut und angetan davon, dass sie mich einfach einladen, an ihrem Zusammensein teilhaben zu lassen. Das habe ich in den 14 Jahren, seitdem ich hier im Ort wohne, nie erlebt. Babette und Adele wohnen schon immer hier und gehören zu der Generation von dörflichen Bewohnern, die auch mit Fremden wie mir keine Probleme haben. Als ich in diesen Ort zog, waren Babette und vier andere diejenigen, die mir das Gefühl gaben, in diesem Ort willkommen zu sein. Zwei von ihnen leben nicht mehr.

 

Wir sitzen nun zu dritt in Babettes Wohnzimmer. Babette ist schon mehrfache Urgroßmutter. Stolz weist sie auf einen digitalen Bilderrahmen, der in angemessener Geschwindigkeit eine Fotofolge zeigt: ihr verstorbener Mann ist zu sehen, ihre Kinder, Enkelkinder, die Urenkel und auch Bekannte. Sie erzählt und erklärt wortreich, Adele ist derweilen still. Ich höre auch gerne zu – es interessiert mich wirklich - und ich staune, wie verwoben die Familien untereinander sind, auch Babette und Adele sind weitläufig verwandt miteinander.

 

Babette bricht nach einer Weile die Bildershow ab - wir wollten ja singen - und teilt kleine Liederbüchlein aus mit Chorälen und Erweckungsliedern. Sie stammen noch aus einer Zeit vor mehr als 50 Jahren, als es hier immer wieder große Erweckungsversammlungen gab. Damals war Bewegung im Ort. Die Aufbruchstimmung ist jedoch längst eingeschlafen. Aber die Beiden singen die Lieder von damals immer noch. Ich singe einfach mit.

 

Warum ich das erzähle? Weil mich Babette und Adele beeindruckt haben. Obwohl ich aus einer anderen Generation stamme, in anderen Gegenden aufgewachsen bin, aus ganz anderen Familienverhältnissen komme und auch meine religiöse Sozialisation ganz anders als ihre verlaufen ist, ist das alles für sie kein Hindernis: Sie geben mir mit großer Selbstverständlichkeit für einen kleinen Moment das Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Das ist etwas Besonderes, ein Geschenk. Einfach so. Im Vorbeigehen. Und ich bin glücklich.



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Kommentare zu diesem Text


 GastIltis (25.02.25, 14:49)
Liebe Angelika,
ein nachdenklich machender Text. Gestern hatte ich mit einem Cousin telefoniert, der vorgestern Geburtstag hatte, und den ich immer zu seinen Geburtstagen angerufen hatte, seit er uns damals zu seinem fünfzigsten kurz nach der Wende in den Schwarzwald eingeladen hatte. Nun ist er ins Heim gekommen, seit gestern hat er ein Telefon und am Nachmittag konnte ich ihn endlich erreichen. Er ist sehr einsam und traurig. Alle Insassen sind auch alt und sprechen Schwäbisch. Er war Lehrer und kommt nun nicht mehr mit. Nach zwei Schlaganfällen fällt es ihm schwer, sich zurecht zu finden. Ich werde ihn nun wohl öfter als zuvor anrufen. Vielleicht nützt es.
Du hast es ja, deinen Zeilen nach, gut getroffen. Glück und Geborgenheit sind wohl Verwandte.
Sei herzlich gegrüßt von Gil.

 tulpenrot meinte dazu am 25.02.25 um 18:08:
Lieber Gil,
vom Schwarzwald ins Schwäbische zu ziehen, und das im Alter, ist ein ziemlicher Schritt. Ich kann die Traurigkeit und die Einsamkeit deines Cousins so gut nachvollziehen! Mir geht es ja genauso - ich kam vom Schwarzwald auch ins Schwäbische. Diese von mir beschriebene Episode mit den beiden Frauen aus unserem Ort war nach 14 Jahren die erste erfreuliche Begegnung dieser Art! Ich musste zum Teil heimlich ein wenig weinen, so bewegt war ich an diesem Nachmittag! Das wird (leider) in dem Text nicht richtig deutlich - aber ich konnte es nicht besser schreiben. Du musst unbedingt deinen Cousin öfter anrufen - es tut ihm gut! Bestimmt!
Alles Liebe
Angelika
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