unsere Milchfrau

Text

von  tulpenrot

Wir hatten eine Milchfrau, keinen Milchmann. Natürlich hatte sie einen Mann, der ließ sich allerdings selten im Geschäft blicken. Ich sehe sie noch vor mir,  wie sie täglich meist allein in ihrem Milchladen stand, jedenfalls immer dann, wenn ich als Kind bei ihr einkaufte: 2 Liter Voll-Milch zum Beispiel, dazu einen halben Liter Vorzugsmilch für die kleinen Schwestern.

Ihr Laden war eigentlich nichts anderes als eine umfunktionierte Garage mit Glasbausteinen als Fenster. An den Wänden standen Milchkannen. Es war kalt in dem Raum und ungemütlich. In einem Kühlschrank hatte sie Butter, Sahne und Milch in Flaschen im Vorrat. Meist kaufte man die Milch jedoch als lose Milch, seltener in der Flasche. Ich brachte unsere eigene blecherne Milchkanne mit, die Milchfrau schöpfte die Milch aus der großen Kanne in meine kleine Kanne um. Ihre Schöpfgefäße hatten einen langen Griff, der am Ende umgebogen war, sodass sie sie anschließend am Rand der großen Milch-Kanne einhängen konnte.

Was mich aber immer beeindruckte, war, dass sie ihre Arbeit mit großer Ruhe machte, ohne Hektik, ja fast andächtig und ernst. Sie hantierte zügig, aber nie unüberlegt einfach drauf los. Groß war sie, etwas knochig, ein stilles längliches Gesicht, die hellen lockigen Haare hinten als Knoten zusammenfasst. Sie trug eine tadellos weiße Schürze mit langen Bändern. Ob sie jemals gelacht hat?

Hin und wieder kauften wir bei ihr auch geschlagene Sahne zum Nachmittagskaffee. Ich weiß nicht mehr, ob sie dazu am Sonntagvormittag oder-nachmittag ihre Verkaufsstelle öffnete. Jedenfalls war es wiederum für mich erstaunlich, mit welcher Bedachtsamkeit sie die Sahne von Hand mit einem riesigen Schneebesen schlug oder eher rührte. Man kannte damals keine elektrischen Rührgeräte oder solche, die mit einem Druck-Luftgebläse arbeiteten. Ganz still standen wir in ihrem Laden und auch sie sprach nicht, während sie arbeitete. Dieses wortlose Warten dauerte unendlich lange, viel zu lange für mich als Kind, bis ich an der Reihe war, und mir die Schlagsahne in meiner mitgebrachten Glasschale abgewogen wurde. Es war eine regelrechte Kostbarkeit, und ich war jedes Mal erleichtert, wenn ich sie heil nach Hause brachte. Das war schon so ein Unternehmen! Und schwer erarbeitet, fand ich.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (07.10.24, 08:10)
In Berlin gab es ebenfalls solche Milchgeschäfte, doch auf dem neuesten Stand der Technik!
In "meinem" wurde die Milch durch einen Weißbekittelten gezapft (wie anderswo das Bier) und in die mitgebrachte Kanne gefüllt.

Jetzt nur nix verschütten oder gar fünf Pfennige verlieren ... :ermm:

 tulpenrot meinte dazu am 07.10.24 um 17:02:
Ja, das stimmt - die Sorge, etwas zu verschütten oder Geld zu verlieren. Da ward ihr in Berlin also technisch weiter, mit euren Milchtankstellen - ich lebte damals im Ruhrgebiet in Essen. Ende der 50er Jahre.
Wie die Zeit vergeht...

 TassoTuwas (07.10.24, 13:06)
Hallo Angelika,

ich erinnere mich noch an die Zeit, als es den kleinen Laden "Molkereiprodukte" noch gab.
Heutzutage ist so ein Geschäft wegen Verstoßes gegen die Hygiene- und Gesundheitsregeln unmöglich.
Hurra, wir haben es überlebt  :)  !

Herzliche Grüße
TT

 tulpenrot antwortete darauf am 07.10.24 um 17:14:
Hallo TT,

ich bin mir sicher, dass unsere Milchfrau die damaligen Hygienestandards penibel genau eingehalten hat. Ihre blütenweiße Schürze war ein Indiz dafür. Die Vorzugsmilch allerdings wurde nur in Flaschen verkauft und irre teuer - sie war ja nicht pasteurisiert und von daher leicht mit krankmachenden Keimen belastet. Ich glaube, dass ihr Verkauf dann bald verboten wurde.

Später dann während meines Studiums in Hessen ging ich oft in einen solchen Molkereiladen, in dem auch Käse verkauft wurde. Ich erinnere mich, dass meine aus Korea stammende Kommilitonin einmal fluchtartig den Laden verließ, weil sie den Käsegeruch nicht ertragen konnte.

Mir fallen gerade eine Menge solcher Begebenheiten ein ... Seltsam - oder das Altwerden hat bei mir begonnen und damit das Geschichtenerzählen von damals.

Liebe Grüße
Angelika

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 07.10.24 um 17:58:
Hach,
und dann gab es ja noch die Kolonialwarenläden ... :ermm:

 tulpenrot äußerte darauf am 07.10.24 um 21:47:
und welche Erinnerungen  hast du daran?
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