Verständigungsschwierigkeiten

Text zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  tulpenrot

Vom Sehen her kenne ich sie schon länger. Sie läuft oft in derselben Gegend spazieren mit demselben Rollator-Modell wie ich. Sie ist sehr groß, sehr schlank und geht sehr aufrecht. Hin und wieder sitzt sie auf ihrem Rollator, um sich auszuruhen. Wahrscheinlich ist sie verwitwet, vermute ich, weil sie immer alleine unterwegs ist, und ihre Kinder leben vielleicht anderswo. Ich grüße sie immer, sie antwortet kaum. Jedes Mal habe ich das Gefühl, sie erkennt mich nicht oder will mich nicht kennen. So ist sie bei mir in die Kategorie „so sind halt die hiesigen Schwaben“ gefallen. Eben uninteressiert, kontaktscheu, unnahbar.

Doch vor einer Woche gab der örtliche Musikverein ein Konzert vor der Zehntscheuer. Ich war mit meiner Tochter unter den Zuhörern. Man muss sich ja doch hin und wieder unter das Volk mischen, dachten wir, obwohl Blasmusik nicht so unser Fall ist. So trafen wir auch die Rollator-Fahrerin. Wir kamen ins Gespräch mit ihr. Völlig überraschend. Ich wunderte mich, was sie alles wusste über mich. So wusste sie z.B. genau, wo ich wohne und wer mein Vermieter ist. Da erlebte ich sie von einer anderen Seite, gesprächig und mitteilsam.

„Das macht die Musik“, wusste meine schlaue Tochter. 

Wir kamen auf das Haus ihrer Familie in der Ortsmitte zu sprechen, das aber schon vor sehr langer Zeit verkauft wurde, erzählte sie, und jetzt anders genutzt wird. In der einen Hälfte lebt und arbeitet „der Grieche“, ein einfaches Restaurant mit Hotelbetrieb, wie es sich in dieser schwäbisch sparsamen Umgebung gehört. In der anderen Hälfte hat sich ein Imbissbetrieb mit Straßenverkauf etabliert. Wir sind oft Kunden beim Griechen, aber sehr selten beim Imbissbetrieb. Ich wollte nach unserem Gespräch mehr wissen über das Gebäude und die Familie - letztlich wollte ich ja wissen, wer die geheimnisvolle Rollator-Fahrerin ist.

Deshalb fragte ich einige Tage später eine Bekannte, deren Familie schon seit Generationen hier lebt. Ich beschrieb ihr die Rollator-Fahrerin, so gut ich konnte. Sie überlegte sehr lange. Doch meine Beschreibung der Frau sagte ihr nichts.

„Aber das Haus in der Ortsmitte, sagt dir das was? Wer hat darin gewohnt?“

„Meinst du das Haus, in dem der Deehhner drin ist?“, fragte sie zurück.

„Deehhner, Deehhner“ echote es in mir – was ist das für ein Name? So ein unglaublich lang gedehntes Wort! Ich war ratlos. Wen meinte sie damit? Ich kenne nichts und niemanden mit diesem Namen hier. Mir fiel nur ein großes Gartencenter ein, das ich von früher kannte, aber das war ja 80 km entfernt! Das konnte sie nicht gemeint haben. Ich war verwirrt

„Dehner?“, fragte ich zurück.

„Ja, der Deehhner“, antwortete sie - bis es mir dann nach etlichen verzweifelten Suchbewegungen durch mein Gehirn langsam dämmerte.

„Du meinst den ‚Döhner‘?“, fragte ich. „Den Imbissbetrieb und Straßenverkauf?“

„Genau. Der Deehner“, wiederholte sie beharrlich. „Da muss ich mal meinen Eugen fragen. Der weiß sicher mehr.“

Ach, Schwäbisch ist so schwer für mich. Und ich war keinen Schritt weiter gekommen mit meiner Recherche über die Rollator-Bekannte. Ich habe sie seitdem nicht wieder getroffen. Hoffentlich geht es ihr gut.



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Kommentare zu diesem Text


 Redux (08.09.24, 21:13)
Eine schöne Szene mitten aus dem Leben.
Und ja, schwäbisch ist nicht einfach.
Als Westfale war ich in jungen Jahren drei Jahre lang in der tiefsten schwäbischen Provinz. Für beide Seiten nicht ganz einfach.

 tulpenrot meinte dazu am 08.09.24 um 21:26:
Wenigstens EIN Mensch versteht meine Hilflosigkeit! Drei Jahre sind gar nichts - ich bin hier schon seit 13 Jahren und es wird nicht besser. Ich hab zufällig mit der schwäbischen Bekannten vorhin telefoniert, sie ist Bäuerin, beliefert mich mit frischen Kartoffeln, und eigentlich mag ich sie. Aber sie musste mehrere Teile unseres Gespräches wiederholen, weil ich sie einfach nicht verstehen konnte. Ich könnte noch nicht einmal aufschreiben, was ich nicht verstand. So wie in der obigen Geschichte mit dem "Dehner". Ich verstand vorhin rein gar nichts! 
Mit anderen Mundarten erginge es mir ähnlich, denke ich inzwischen. Ich wüsste jetzt auch gar nicht, wie westfälisch klingt, und würde es sicher auch nicht verstehen.
Das war mir bisher alles gar nicht so bewusst.
Ich bin aber sehr froh, dass du meine Schilderung lesen mochtest. Danke für die Empfehlung.

 Redux antwortete darauf am 08.09.24 um 21:32:
Nun ja, das Westfälische ist bei weitem nicht so eigentümlich wie schwäbisch, bayerisch oder sächsisch, aber wenn meine Eltern und Großeltern sprachen, wir Kinder nicht mehr, westfälisches Plattdeutsch. Und das ist für andere Landsleute auch schwer zu verstehen.
Andererseits finde ich es sehr schade, wenn solche Dialekte verschwinden.

 tulpenrot schrieb daraufhin am 09.09.24 um 09:19:
Ich bewundere Menschen, die ein solch gutes Sprachempfinden haben und in Nullkommanix eine neue Sprache oder sogar eine Mundart lernen!
Ich finde Dialekte gut, ich mag sie hören (sogar bayrisch oder mecklenburgisch! - aber das ist eine eigene Geschichte). Nur mit dem Sprechen und Verstehen habe ich große Mühe. Leider.

 Teo (09.09.24, 08:01)
Moin tulpenrot,
mein letzter Arbeitgeber hatte seinen Hauptsitz in Backnang, im tiefen Schwabenland. Ja, es war nicht immer einfach mit der Verständigung. Nach 30 Jahren konnte ich tatsächlich etwas schwäbeln. Aber wenn ich da an sächsisch denke... 
Lieben Gruß 
Teo

 tulpenrot äußerte darauf am 09.09.24 um 09:12:
Guten Morgen Teo,
vielleicht kann ich es nach 30 Jahren auch, das Schwäbeln - aber ich will nicht. Ich bin da irgendwie resistent (oder renitent?). Ich will es ja nur verstehen, nicht sprechen, weil es sich aus meinem Mund dann albern anhört! 
Ich hab mal vor Jahrzehnten Auszüge aus "D Gschicht' von dr Schepfong" von Thaddäus Troll vorgelesen. Außer mir fand das niemand lustig.
Und 30 Jahre - ob ich das noch erlebe? Könnte sein - eine noch lebende Tante ist vor ein paar Tagen immerhin 101 Jahre alt geworden! Also bitte ...
Deine Empfehlung aber hat mich sehr gefreut!
Auch lieben Gruß
tulpenrot
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