Der Drehorgelspieler

Text

von  Saudade

Als ich klein war, stand immer nachmittags, bei schönem Wetter, ein Drehorgelspieler Am Lugeck im Ersten Bezirk. Der Lugeck ist ein Platz vor der Bäckerstraße (rechts) und der Sonnenfelsgasse (links) und quer davor liegt die Rotenturmstraße und in der Mitte des Platzes ist das Gutenbergdenkmal. Dies, damit man Bescheid weiß, aber eigentlich tut es nichts zur Sache.

Wir Kinder bettelten immer die Eltern im Vorbeigehen an, sie mögen uns doch ein paar Schilling für ihn geben, denn wir fanden den richtig toll, er entschleunigte stets das "das Kind an der Hand durch die Straßen ziehen, weil sie es immer eilig hatten", in Wahrheit machten sie (die Eltern) die Menschenmassen nervös und auch das Kind. 

Aber, der Drehorgelspieler war wie der Rattenfänger von Hameln, er zog alle Kinder in seinen Bann, sodass manche Eltern sogar Umwege gingen, zumeist über ganze Straßenzüge, damit sie dem Drehorgelspieler nicht begegnen mussten, das Problem war nur, in der Tuchlauben war die Künstlerin, das Ex-Model, der gehörte ein berühmtes Kaffeehaus und die hatte (damals war das noch erlaubt) einen Geparden, der saß mit ihr oft im Schanigarten und wartete brav, vor dem hatten die Eltern Angst, wir Kinder quietschten "Katzi!" wollten auch stehenbleiben, das ging also auch nicht, so blieben nur die langweiligen Gassen hinter dem Hohen Markt, die nichts boten, was die Eltern brauchten. Aber, zumeist zogen sie uns dort durch, um zum Stephansplatz zu gelangen. 


Aber, manchmal vergaßen sie den Drehorgelspieler in ihrer Hektik, die Erwachsene eigen haben, dann waren sie in der Falle, denn wir alle, ausnahmslos alle Kinder in der Umgebung, zogen an den Händen, stemmten uns mitten auf der Straße gegen die Erwachsenen und zogen unsere größte Waffe, das Plärren. 

Und weil das Plärren laut war und die Aufmerksamkeit auf sich zog, nach wahrer Kinderschändung wirkte, gaben sie gleich nach und öffneten ihre Brieftaschen, dies resignierend, gaben 10 Schilling, nicht nur 5 Schilling, sondern gleich 10 Schilling und es schien auch, dass der Drehorgelspieler diese Schauspiele genoß, denn er zog den Hut vor Eltern noch tiefer als vor sonstigen Spendern, lächelte noch intensiver und spielte sogar noch ein Extralied. 

Ja, der Drehorgelspieler war alt, hatte im Hochsommer immer eine Anzughose an, Hosenträger und ein aufgekrempeltes Hemd sowie einen Hut auf. Seine Drehorgelplatten spielten Walzer, Wiener Walzer, auch Wiener Lieder, aber so lieblich und nett, dass wir, waren wir Kinder zu Zweit, uns bei den Händen nahmen und im Kreis tanzten, dies, obwohl wir gar keinen Wiener Walzer konnten, drehten uns einfach und es machte so eine Freude, dass unser Glück auf die Vorbeigehenden sprang, die auch stehenblieben und fotografierten. Der Mann kurbelte und wir drehten uns, lachten, waren rundum glücklich.

Wir tanzten in unseren Sommerkleidchen aber auch alleine, bis die Backen ganz rot waren vor Glück. 

Dann hörten wir: "Komm jetzt, es ist genug!" Es waren die Stimmen der Eltern, aller Eltern, immer, das war grausam, aber da wir versprochen hatten, danach artig zu sein, folgten wir, das widerwillig. 

Irgendwann, da war der Drehorgelspieler plötzlich weg und dort wo er immer stand, war plötzlich eine Leere, die wir Kinder spürten, gingen den Kopf gesenkt vorbei an der Leere und fragten: "Wo ist der Mann?" Da sagten sie: "Der ist gestorben." Man merkte aber an ihren Stimmen, dass es ihnen auch leid tat, trotz Widerstände. Papa sagte: "Der war immer da. Schade." 




Anmerkung von Saudade:

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Kommentare zu diesem Text


 lugarex (13.03.25, 15:28)
Künstlers Schicksal, wie immer...

 Saudade meinte dazu am 13.03.25 um 17:39:
Stimmt.

 Citronella (13.03.25, 16:12)
Schön, wenn einem solche Episoden nach Jahren wieder einfallen. Bei mir war es der Eismann, als wir neulich an anderer Stelle von Süßigkeiten sprachen und du schriebst „Eis!“.
Wenn wir in meiner Kindheit zu Besorgungen in die Stadt fuhren, freute ich mich an der Busendhaltestelle am Bahnhof auf den Eismann. Er trug eine weiße Jacke und Schiffchenmütze. In seinen kleinen Ziehwagen passten gerade drei Eisbehälter – mehr Sorten als Vanille, Erdbeere und Schoko kannte man damals wohl auch gar nicht.
Ich glaube, die kleine Kugel kostete 10 Pfennige einschließlich Tüte. Ich bekam sie (auch ohne Quengeln) aber erst auf dem Heimweg, während wir auf den Bus warteten.
Sehr zu meinem Bedauern war der Eismann eines Tages einfach verschwunden.

 Saudade antwortete darauf am 13.03.25 um 17:42:
Eismänner kenne ich auch, aber die waren mir nicht so lieb und wert. Am Stephansplatz verkaufte Tichy immer, aber der ist gestorben und hinterließ das berühmteste Eisgeschäft Wiens am Reumannplatz.
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