Knötchen
Erzählung
von minze
Die Stimme ist sanft, was daran eindrücklich ist, kann ich nicht akustisch festmachen, der Eindruck geht aber von der Art des Lächelns aus, die Art den Mundwinkel, nur einen, hochzuziehen, hinterlässt etwas bei mir – es ist sowohl gutmütig als auch schnippisch, irgendeinen Hintersinn, eine Botschaft ist schon darin, auch wenn nicht klar ist, wer genau angesprochen ist. Vielleicht ist es auch so, dass er erst einmal die meisten ruhig halten will und dann einen feineren Sinn, ein tieferliegendes Anliegen hat. Oder unterschwellig liegt sein wacher Geist, unter den Worten, die jeder sagen könnte. Oder die zumindest so manche auf die gehörte Art zusammen fügen könnten, seine Ansprache ist gut. Sie fasst alle zusammen, die ihm zuhören, versammelt sie. Ich finde ihn nicht beschwichtigend, ich finde ihn auf eine gute Art versteckt. Ich höre ihm sehr gerne zu in seiner Sanftheit und gebe mich gerne dem Eindruck hin, dass das Sanfte sich in seinem Gesicht erschließt und noch nicht ganz in dem, was er sagt, zumindest nicht einem größeren Publikum, vielleicht doch kurz, als ich ihm später gratuliere und zu ihm hin gehe. Ich mag seinen Händedruck. Er ist mir bewusst angenehm und haftet als Bekräftigung an mir, als konkrete Wahrnehmung, so klar, dass ich kein Wort zu viel mehr mit ihm wechsele und nachdem ich ihm mein kleines Geschenk gegeben habe, wieder gehe. Ich trinke noch einen Wein mit den anderen Gästen und scanne etwas die Stimmung, aber irgendwann muss ich meine Müdigkeit zugeben und gehen. Erst am nächsten Tag bin ich aufgekratzt und fertig, weil diese Abendveranstaltung und eigentlich auch der volle Nachmittag zu viel waren, nur beruhigt mich, auch am Tag danach, der für die Katz ist, immernoch sein Gesicht.
Ich hangele mich durch und denke um 10:30 Uhr, dass ich einschlafen könnte, ich setze mich auch kurz auf den Sessel, den es meist unberührt in meinem Büro gibt. Immerhin, in den Momenten, in denen ich etwas sacken lassen muss, ein schwieriges Telefonat – ein persönliches – am Handy führe oder kurz nachdenke, bevor ich in ein Gespräch gehe – in diesen Momenten nehme ich mir den Sessel bewusst her. Nur weil er so selten genutzt wird, entfaltet er seinen umfangenden Charakter, kann ich mich darin besonders entspannen – eher besinnen. Im Gedankenspiel, ob ich auch darin einnicken könnte, setze ich mich hinein, aber ich kann vor allem ein paar Gedanken, ein paar Knoten in meinem Kopf loslassen und ausatmen. Ich bin beruhigt, von einer stressigen Müdigkeit Knötchen um Knötchen befreiter und ein alter Geist – eigentlich ist es einfach die Gewohnheit - ringt sich zu dem Vorschlag nach einem Kaffee durch. Oft, wenn ich so müde bin, möchte ich ihn auslassen, um nach dem Mittagessen richtig schlafen zu können. Aber ich trinke den Kaffee und bin danach wiederhergestellt für zwei Stunden, die ich noch arbeiten sollte.
Als ich nach Hause komme und mich trotz des Kaffees hinlege, denke ich an die Nacht zurück, die tief und voller Träume war. Ich habe Jonas und Herr Thiene ineinandergelegt, ich habe, weil ich die Treffen mit Jonas auch vermisse, mit ihm Sprachnachrichten ausgetauscht im Traum und darum gebeten, dass wir uns sehen und in der nächsten Sequenz ist sein Gesicht nah an meinem und es ist auch das von Herrn Thiene und es sind Jonas Lippen, ich finde sie auf einmal wieder sehr sinnlich, das ist mir verloren gegangen in der Entwicklung unserer Freundschaft, aber es spielt dieser bemerkenswerte Zug von Herr Thiene noch mit und ich kann nicht ausmachen – einmal ist es Jonas Stimme, einmal Herr Thienes, vielleicht ist es auch Herr Thienes Ton, seine Lautstärke, aber die Melodie von Jonas, weil sie mir vertrauter ist und weil er mich im vertraulich anspricht, weil er mir ohne Umschweife erzählt, sich öffnet und irgendwann geht das Weiche von beiden in eine doppelbödige Weichheit über und ich drängele mich an ihn, wer auch immer das genau ist und ich drücke mich an seinen Po und greife ihn, weil ich nicht weiß, was ich mir nehmen darf, was ich aufnehmen darf, will ich auf einmal nur zu ihm zärtlich sein, erst einmal die Hoden kraulen, spüren, wie frei oder weich die Haare sind. Vielleicht will ich neu spüren, wie seine Landschaft ist, mich antasten in der Annahme des Weichen im Weichen.