Michail Karmanov

Theaterstück zum Thema Fremde/ Fremdheit

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Fuguratively speaking

Flüchtlingslager.



- Name?

- Michail.

- Nachname?

- Nach Name Sie schon gefragt.

- Michail und weiter...?

- Weiter? Kann ich weiter?

- Nein. Wie heißen Sie?

- Michail.

- Und wie heißen Sie weiter?

- Ah, Sie wollen meine Familie?

- Niemand will Ihre Familie, keine Sorge. Wo ist Ihre Familie?

- In Passport.

- Wo ist das? In Russland?

- Hier in Passport meine Familie, Sie lesen: Karmanov.

- Sie heißen also Michail Karmanov? Und was sind Sie von Beruf?

- A wie heißt das... Wor, wor, wor, wie ist wor auf Deutsch...

- Beschreiben Sie es.

- A wie kann man... Steht Gitler. Hat in Hand Mein Kampf. Ich komme, Mein Kampf weg.

- "Mein Kampf" ist in Deutschland verboten.

- Ah, Sie verstehen? Das ist verboten, was ich von Beruf bin.

- Nein, das Buch "Mein Kampf" ist verboten. Wenn Sie eins dabei haben, muss ich es Ihnen entziehen.

- Sie nicht müssen ziehen, ziehen ich mache, was verboten ist. Steht Gitler, hat Mein Kampf, ich ziehen aus Hand, wenn hat in Tasche, ich ziehen aus Tasche.

- Aus der Tasche ziehen... Sind sie ein Dieb?

- Dip, was ist Dip? Ich weiß nicht, ich kann aus Tasche ziehen, ich kann aus Tresor ziehen...

- Sie stehlen also? Dann sind Sie ein Dieb.

- Nicht ich stelle. Steht Gitler, stellt Mein Kampf auf Tisch. Ich komme, Mein Kampf weg.

- Ja, das ist Diebstahl, kommen Sie, Sie sind also ein Dieb?

- Ah, Dieb ist Wor! Ja, ich bin Dieb. Wohin komme ich? In Diebstall? Ich will nicht in Diebstall, darum ich hier.

- Sie wollen nicht mehr Dieb sein, und sind deshalb nach Deutschland gekommen?

- Nein, ich will nicht in Diebstall. Polizei kommt und bringt mich in Diebstall, aber ich nach Deutschland, Polizei findet nicht.

- Sie sind vor der Polizei geflohen? Dann sind Sie kein Flüchtling, sondern ein Krimineller.

- A warum gleich wie Gitler? Kriminäääler, Kriminäääler, das ist wie Änpädä: "Kriminelle Ausländer raus!" Sie Änpädä?

- Nein, ich bin nicht in der NPD.

- A dann wo Probläm? Ich komme, ich krimineller Ausländer. Sie müssen rein lassen.

- Nein, ich muss Sie nicht reinlassen!

- A dann Änpädä, Faschisten. Ich denken, Deutschland gut, mein Kusän mir schreiben, Gitler kaputt, Deutschland schön, alles bezahlt Sozial.

- Ihr Cousin lebt in Deutschland? Ist er auch ein Dieb?

- Naaaaain. Wozu Dieb? Alles bezahlt Sozial.

- Was? Denken Sie, dass alle in Deutschland von der Sozialhilfe leben? Und wo soll das Geld dann herkommen?

- Deutschland erste kultiviert, Deutschland zweite zvilisiert, Deutschland dritte reich.

- Hören Sie auf mit Ihrem Dritten Reich! Sie waren also Dieb, und kommen nach Deutschland, um von der Sozialhilfe zu leben? Ihnen hilft jetzt nur ein Wunder, wenn Sie rein wollen.

- Wunder? Bitte. So, kann ich Gamburg? Dort lebt Kusän.

- Nein, Sie dürfen nirgendwohin.

- Warum? Ich Wunder-Wort gesagt: Bitte.

- Das ist mir egal.

- Geht auch Mirigal, wenn ist in Deutschland. A weit von Gamburg Mirigal?

- Herr Karmanov, wir müssen Ihren Antrag auf Asyl leider ablehnen.

- A wollen Sie ich wieder Dieb? Das Anstiftung ist zu Verbrechen!

- Na gut. Fahren Sie nach Hamburg zu Ihrem Cousin.

- Danke. Weil Sie so nett, ich ehrlich zu Sie: ich 100 Mark aus Tasche ziehen.

- Was?? Sie haben mir 100 Mark aus der Tasche gezogen? Geben Sie sie sofort zurück!

- Warum? Ich doch ehrlich gesagt, dass ich ziehen... A das war Spaaaaß, hier 100 Mark. Alfiedersähn.

- Auf Wiedersehen.



Anmerkung von Jack:

2011

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Kommentare zu diesem Text


 niemand (31.03.25, 12:21)
Das Theaterstück ist echt herrlich :D 
Zu diesem Umkehren des Diebstahls, wegen Freundlichkeit [im Text die 1oo Mark] kann ich auch eine Kleinigkeit sagen, auch wenn es sich vom Text etwas entfernt, aber es passt zum Ende des Textes. Mein Mann fährt mit dem Rad immer ins Konzert. Wenn das Konzert zu Ende ist, stehen am Ausgang immer die gleichen Schnorrer. Mein Mann gab dem einen also 5 Euro [kann er ja nur manchmal] und dann sagt derjenige: "Weil sie so nett sind, kann ich ihnen gleich die Fahrradlampe zurückgeben, die ich grade gestohlen habe" ... und gab sie ihm tatsächlich zurück. Da ist man echt platt  :O
LG niemand

 Jack meinte dazu am 31.03.25 um 22:38:
Mir fallen in letzter Zeit Unhorden russischsprechender Bettler auf. Das oft mit Mühe zurückgehaltene Schmunzeln hat nicht mit der Belustigung über ihre Armut zu tun, sondern mit fehlender Sprachbarriere: ich höre nun oft Muttersprache in diesem ungewohnten Kontext.

 niemand antwortete darauf am 01.04.25 um 09:54:
Ich habe das Schmunzeln nicht als Belustigung empfunden. Man kann auch liebevoll schmunzeln. Auf der Welt gibt es genug Beispiele.
Es ist ja kein Auslachen, wenn man über etwas schmunzelt.  Es gibt ja so etwas wie Tragik-Komik. Da ist ein Schmunzeln voll berechtigt.
Die Doppeldeutigkeit des "Deutschland dritte reich" fand ich besonders gelungen :D LG niemand
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