Der rechte Weg nach oben

Kommentar

von  Isensee

Warum Wandern mehr mit Faschismus zu tun hat, als uns lieb sein kann


Es beginnt harmlos. Ein Paar gut geschnürter Schuhe, eine Flasche aus nachhaltigem Edelstahl, vielleicht ein veganer Riegel aus gepressten Datteln. Der Weg ist markiert, die Richtung klar, der Gipfel vorgezeichnet. Doch schon auf dem ersten Kilometer wird aus Bewegung Bekenntnis, aus Naturverbundenheit Weltanschauung. Denn Wandern ist nicht neutral. Nie gewesen. Und schon gar nicht in Deutschland.

Wer wandert, wählt: die Abgrenzung zur Stadt, zur Unübersichtlichkeit, zur Migration, zur Durchmischung. Der Wald ist kein Ort der Vielfalt, sondern ein Raum der Sortierung. Buchen stehen neben Buchen, Fichten neben Fichten, alles ist geordnet. Der Wanderer schreitet hindurch, einsam, stolz, funktional gekleidet, schweigend oder mit Stöcken bewaffnet. Es ist die performative Rückkehr in eine imaginierte Homogenität. Wer wandert, will raus. Aber raus aus was?

Schon die Symbolik ist beunruhigend: Der Berg als zu überwindendes Hindernis, das Tal als Gefallensein. Die Sprache des Wanderns ist durchsetzt mit Begriffen aus dem Glauben, dem Militarismus, der Reinigung. Man "erklimmt", "bezwingt", "bewältigt". Selbst in seiner Erschöpfung bleibt der Wanderer Sieger. Sein Blick schweift über das Tal, das ihm zu Füßen liegt. Oben ist immer besser als unten. Wer hätte gedacht, dass ein Jutebeutel voller Mandeln so tief in die Ideologie führt?

Historisch ist das Wandern natürlich aufgeladen. Turnvater Jahn, die Jugendbewegung, der "Reichsarbeitsdienst". Alles bewegte sich. Alles marschierte. Der Volkskörper sollte stärker werden, durch die Natur, durch die Reinheit des Weges. Was heute mit Komoot geplant wird, wurde damals mit Führerkarte begangen. Und doch: der Habitus ähnelt sich verdächtig.

Man denke nur an das Geraune, das man auf Gipfeln häufiger vernimmt: "Hier oben ist es noch sauber", "kein Empfang, keine Idioten" oder "endlich mal wieder unter seinesgleichen". Die Ekstase der Aussicht ist immer auch die Lust am Entkommen: vor Pluralismus, vor Komplexität, vor Widerspruch.

Das Selfie am Gipfelkreuz (warum eigentlich Kreuz?) ist weniger ein Erinnerungsfoto als ein Siegel: Ich habe mich über euch erhoben. Ich bin auf der richtigen Höhe. Und während man auf dem Rückweg über Rentenpunkte spricht, bleibt die Frage offen, warum in kaum einem Hobby so wenig Diversität sichtbar ist wie im Wandern. Keine Hautfarben. Keine Körperformen. Keine Barrierefreiheit. Wer wandert, ist fit. Und wer nicht mitkommt, hat halt Pech.

Aber das wird man ja wohl noch sagen dürfen.




Anmerkung von Isensee:

Anmerkung Gibt es auf Anfrage

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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (30.04.25, 15:46)
Das Erfolgsrezept von Heino, der unser Unglück vorausahnte, lieber Easy.

 Isensee meinte dazu am 30.04.25 um 16:07:

 Aron Manfeld antwortete darauf am 30.04.25 um 16:15:
Es gibt auf YouTube ein Konzert in Dresden von ihm, welches ich immer wieder aufsuche. Mich fasziniert dort seine Stimmigkeit, die zeigt: Auch wenn Ihr Intellektuellen Euch über mich lustig macht, habe ich doch am Ende gesiegt.

 Isensee schrieb daraufhin am 30.04.25 um 16:26:
Merkt man an seiner Haltung. Irgendwie immer. Denke, der lebt noch 40 Jahre

 Aron Manfeld äußerte darauf am 30.04.25 um 16:35:
Glaube ich nicht, nach dem Tod seiner Hannelore hält ihn hier nicht viel.

Heino 1990 in Dresden.

 Isensee ergänzte dazu am 30.04.25 um 16:59:
Stimmt, habe ich nicht bedacht.

Soll er sich gönnen.
KarambaKarachoEin Whisky


 Jack (01.05.25, 08:08)
Faschismus ist lediglich Mittelgebirge. Erst wo die aristokratische Höhe beginnt, ist Distanz zu den Massen, zum Dreck, zur Vermischung, zum als "Komplexität" verklärten Wusel-Chaos, und letztlich auch zum Faschismus wirklich erreicht.

 Jack meinte dazu am 01.05.25 um 22:51:
Und da ich dich für integer halte:
Schon die Symbolik ist beunruhigend: Der Berg als zu überwindendes Hindernis, das Tal als Gefallensein. Die Sprache des Wanderns ist durchsetzt mit Begriffen aus dem Glauben, dem Militarismus, der Reinigung. Man "erklimmt", "bezwingt", "bewältigt". Selbst in seiner Erschöpfung bleibt der Wanderer Sieger. Sein Blick schweift über das Tal, das ihm zu Füßen liegt. Oben ist immer besser als unten.
Ja, aber lies das mal für dich selbst nicht (gesellschafts-)kritisch, sondern affirmativ. Dann lies Ernst Jünger affirmativ, Ortega y Gattet (Der Aufstand der Massen).


Nur für wen "links" automatisch "gut" bedeutet, der sollte eine intellektuelle Quarantäne halten, und zwar lebenslang. Gerade die sind es, deren "Kampf gegen Rechts" zu Stalinismus und nach Nordkorea führt.

 AchterZwerg (01.05.25, 08:09)
Der "rechte Weg" nach oben ist ganz besonders in kleinstädtischen Sportvereinen, die viele Wanderungen anhand sog. Vortouren organisieren, fest verankert.
Bis heute wird dort von "verpflichtenden Arbeitseinsätzen" gesprochen.
Und wehe, wehe ...

 S4SCH4 (05.05.25, 10:48)
Wer wirklich bewandert ist im Wandern, wandert sich natürlich den braunen Matsch ungesehen ab, oder aber, er überlässt den Schmodder den Rillen der Schuhe, welche ihn eine Weile forttragen und dann dem Wetter gemäß fallen ließen.
Der Text ist originell. Das gefällt mir!
Aber: er bietet mir als leidgeprüften und in Schwulitäten gekommenen Leser, der einen langen Weg hinter und vor sich hat und an die Hand genommen werden will in dieser wander... äh wunderlichen Misere, keinen fazittauglichen Umgang mit dem Gegehe (oder Gegängel), er lässt mich auf der Strecke und das Pech schreit in mir vor Ungerechtigkeit. Na toll!
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