Es ist der erste warme Tag, ich meine Sommertag im meteorologischen Sinne, im Mai. Im Städtchen findet die jährliche Kirmes statt mit Popcornbuden, Selbstgehäkeltem und Kleinstfahrgeschäften, von denen zu elektronisch geplärrter Stimmungsmusik auf abblätternden Sitzen Kinder gelangweilter Eltern entweder Runden fahren oder aber eintönig vor und zurückschaukeln, während Blaulicht leuchtet und durch die gequälte Musik hin und wieder eine vermeintliche Polizeisirene oder ein Martinshorn trötet.
Von der unverhofften Wärme sichtlich überlastete Kellner suchen ihren Weg durch die randvoll besetzten Austischungen vor den Lokalen und lassen mit ihrer schnippischen Art die Gäste sehr wohl wissen, dass sie der Bewirtung jener bei diesem Wetter nur äußerst ungern nachgehen und dennoch nach Trinkgeld heischen. Sonderwünsche – wie etwa der Austausch einer Nudelart gegen eine andere - werden mit „nur, was auf der Karte steht“ aalglatt abgewimmelt, halbe Bestellungen bleiben auf der Strecke und anderes kommt kalt an, obwohl es kein Dessert ist.
Die grelle Sonne schiebt gleißende Strahlen durch das noch hellgrüne aber schon dichte Blätterdach, in dem kleine Lücken darauf hindeuten, dass die Frühjahrsstürme an den Bäumen Spuren hinterlassen haben. Über allem liegt eine Stimmung, bei der man deutlich eine Anspannung spürt, ohne sagen zu können, worauf diese beruht, jedoch mit einer Gewissheit, dass bald etwas passieren müsste, ohne zu wissen, was, vielleicht ein Gewitter, ein Anschlag oder Überfall.
Vor den Tischen spielt ein Duo aus Geige und Akkordeon Walzer und ähnliches auf. Nach einer Weile wird man gewahr, dass alles Playback ist, wenn der Geiger eine zehntel Sekunde nach dem Beginn der Melodie erst anfängt, seinen Bogen zu streichen, während man beim Akkordeonisten bei etwas längerer Beobachtung sehen kann, dass er immer dieselben zwei Griffe spielt, die jedoch unmöglich zur Melodie passen können.
Das Eis im zu spät gebrachten Aperol Spritz ist schon zur Hälfte geschmolzen und sinkt in kalten Schlieren auf den Boden des Glases. Am Nachbartisch sitzen zwei blondierte Damen, deren verlebte Gesichter mühsam eine dicke Schickt Schminke zusammenhält, die aber nicht müde werden, mit dem übellauigen Kellner zu flirten, nicht merken wollend, dass alle seine Bemühungen nur auf den Erhalt des zu erwartenden Trinkgeldes ausgerichtet sind. Schrilles Lachen aus roten Mündern unter unbewegten, fast schon toten Augen unterstreicht, dass sie wissen, dass er weiß, dass sie wissen; aber der Schein bleibt gewahrt, sozusagen, bis er den Besitzer wechselt.
Mit der langsam sinkenden Sonne legen sich längere Schatten auf den Platz, die Kellner werden langsamer, verwischen fast mit der Szenerie, das Murmeln an den Tischen und das zunehmende Geschrei von Kindern, die ohne Mittagsschlaf mit den Eltern den Nachmittag im Lokal verbringen und bisher still sein mussten verschwimmt in einem weißen Rauschen. Noch auf dem Rückweg will das entfernte süßliche Plätschern des Musikduos nicht zu den Bildern passen. Abend, endlich!