Das Böse ist nicht überall

Szene zum Thema Momente

von  Citronella

Die erste Mahd duftet auf den Wiesen. Zwei Störche folgten schon dem Mähdrescher, denn sie wissen, hier wird jetzt einiges Fressbare aufgescheucht. Im nahen Storchennest hockt die Störchin, noch ist nicht erkennbar, wie viele Schnäbel zu stopfen sein werden. Vater Storch kommt gerade von der Futtersuche zurück, sein Gefieder ist auffallend verschmutzt. Es müsste längst mal wieder regnen.

Dafür ist der Himmel außergewöhnlich strahlend blau. Kein Wölkchen weit und breit. In den Vorgärten duftet der Flieder, und Blauregen rankt üppig an der einen oder anderen Pergola. Noch ist alles sattgrün. Pfingstrosen und Mohnblumen sind kurz vor dem Aufblühen.

Auf einer noch ungemähten Wiese toben mehrere Hasen. Ob es sich um eine Familie handelt? Neulich saßen fünf von ihnen mit hoch aufgestellten Ohren andächtig in einer Reihe da, als der sechste, größte (der Familienvater?) erschien und sich vor die Gruppe platzierte. Eine Hasenschule? Ab und zu verirrt sich einer in den Garten, auch die Rehe kommen jetzt wieder bis ans Haus. Es duftet momentan halt zu vieles sehr verführerisch, und die Rosenblüte kommt erst noch.

Nachts schnuffelt ein Mecki über den Rasen, neulich hatte er einen kleineren im Schlepptau. Mutter und Kind oder Männchen und ein kleineres Weibchen?

In der Ferne ruft lautstark der Kuckuck. Ob er wohl ein Nest findet, das für ihn interessant ist? Es gibt nur noch wenige Vögel in der Gegend, außer den Spatzen, die sich vermehren … wie die Karnickel? Frühmorgens, wenn eigentlich um diese Jahreszeit Vogelgeträller zu hören sein müsste, herrscht beängstigende Stille. Wie überhaupt manchmal im Viertel, seitdem die Bewohner älter und die Kinder allmählich erwachsen geworden sind. Selbst die Windräder stehen still, es gibt ja derzeit genügend Sonnenenergie.

Vieles Böse bleibt hier so fern. Kann man in der heutigen Zeit mehr verlangen?



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (12.05.25, 18:54)
Da stößt etwas aufeinander in diesem Text: "Das Böse ist nicht überall" [also: hier nicht] und "Vieles Böse bleibt hier so fern" [also: nicht alles].

Ich denke an Schopenhauers Wort:

Ein Optimist heißt mich die Augen öffnen und sehn wie schön die Welt ist an Bergen, Pflanzen, Luft, Thieren – u.s.f. – Diese Dinge sind freilich schön zu sehn; aber [sie] zu seyn ist ganz etwas andres.
Ist denn die Welt ein Kuckkasten?
[Handschriftlicher Nachlaß III S. 172]


Der Storch sucht Beute, die Igel brauchen Beute, und der junge Kuckuck wirft seine "Geschwister" aus dem Nest. Und auch die Karnickel müssen sich vor dem Fuchs hüten.

Ich glaube, eine Idylle gibt es nur auf kurze Zeit, wenn Streit und Konkurrenz einmal eine Pause einlegen.
Und vielleicht gilt auch - trotz aller Probleme, welche die anderen Tiere miteinander haben - das rheinische Sprichwort: "Es jibt kein größer Leid / als wat der Mensch sich selbst andeit."

 Saudade meinte dazu am 12.05.25 um 18:57:
Ja, Graeculus, aber Tiere folgen Instinkten und Trieben. Im Tierreich gibt es das Böse nicht. Auch, wenn wir es so vielleicht sehen möchten.

 Graeculus antwortete darauf am 12.05.25 um 19:48:
Ich weiß ja nicht, was Citronella und "böse" versteht. Aber zu den Störchen, Igeln und Kuckucken gehören halt auch deren Opfer. Idyllisch ist die Natur nicht. Irgendwie fehlt mir dieser Aspekt im Text.

Bist Du der Meinung, daß es zwischen Tieren und Menschen eine strikte Grenze gibt? Ich gehe eher von Menschen und anderen Tieren aus, sehe die Grenze als fließend. Wenn Schimpansen einem Rivalen die Genitalien abreißen, wirkt das auf mich doch schon ziemlich böse.

 Citronella schrieb daraufhin am 12.05.25 um 20:00:
Niemals würde es mir in den Sinn kommen, ein Tier mit dem Begriff böse in Zusammenhang zu bringen. Ein Tier muss überleben, und auch der Seeadler, der ein Storchenküken zerfleddert (wie hier schon geschehen), braucht für seine Jungen etwas zum Fressen – deswegen ist er aber nicht böse, auch wenn der Mensch im Angesicht einer solchen "Tat" heulen könnte.

Den Titel wählte ich, weil mir heute Nachmittag beim Spaziergang das Musikvideo von EAV „Das Böse ist immer und überall“ wieder einfiel. Das unerträglich Böse, dem wir jetzt täglich in dieser Welt ausgesetzt sind und wogegen wir uns nicht einmal wehren können, wurde da mal für eine Weile ausgeblendet. Und somit bleibt inmitten der Natur "das Böse hier so fern".

 diestelzie (13.05.25, 00:13)
Nirgendwo sonst kann ich das Böse so gut ausblenden wie in der Natur. 
Bin froh, sie vor der Haustür zu haben. 

Liebe Grüße 
Kerstin ☀️
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