Blätterregen 11

Erzählung

von  minze

Meine Tante reagiert auf mein Kompliment zur Deko. Sie rechtfertigt sich für den Preis, benennt ihn gleich und dass es aus dem Penny oder so natürlich günstiger gewesen wäre. Sie meint meine Mutter. Es ist schon seit fünfundzwanzig Jahren Helga, Mamas Schwägerin, die sich um die Dekoration kümmert. Oma sagt mal, dass Helga beleidigt wäre, wenn das anders wäre und mal, wie schön sie das mache und zu beiden Möglichkeiten, die mir bekannt sind, ergänzt sie, dass es alles selbst gemacht sei und weist auf die Details hin. Helga hat in den ersten Jahren selbst die Details benannt, sie hat erklärt, mit welchen Ausstanzern und welchem Tonpapier man das alles macht, oft sagte sie das Papier hat eine Faltrichtung.

Die Technik hat sich nicht geändert, Oma bennent sie immer noch. Es braucht, glaube ich, einen Kommentar, um Helga einzuordnen, worum es geht. Schon im Erklären ergibt sich der Zuschlag an sie. Nur in unserer Familie hat Mama das Dekorieren gemacht, dann hat sie allen anderen gesagt, wieviel was gekostet hat. Wo ihr Talent liegt.


Eigentlich meine ich, dass Helga frei über die Kosten entscheiden darf, auch wenn es Mamas und Georgs Eltern sind. Aber Georg steht nicht immer sicher hinter Helga, er strauchelt, gegenüber meinem ältesten Cousin sagte er, dass Helga deren ganze Kindheit über überfordert gewesen sei. Vielleicht lässt Georg deswegen Mamas Kommentare an Helga zu, vielleicht chauffiert er sie sogar hin, er gibt ihr eine Vorladung und beziffert die Blumen, den Tischläufer, ohne dass meine Mutter nachgefragt hat.

Ich finde es alles schön, dieses Mal, mir fällt die Abwesenheit von ausgestanzten Motiven und diesen heuartigen Banderolen auf. Da sind nur Blumen in würfelartigen Glastöpfen, man kann darin die Blumenzwiebeln erkennen. Also sage ich ihr, dass alles sehr schön sei, dass es gut sei, dass sie sich darum gekümmert hat.


Wir feiern gleichzeitig Omas siebenundachtzigsten Geburtstag und Opas Neunziger. Ich denke später an seinen sechzigsten Geburtstag. Wie ich das als Kind als hohes Alter sah, wir alle unseren Text für den Sketch auswendig gelernt haben und in der Halle gefeiert haben. Es wird danach nie wieder so ein Fest gegeben haben, der feierliche Moment um die Sechzig hat sich bestätigt, ohne, dass ich hätte wissen können, dass kurz darauf mein Bruder sterben würde und alle anderen Geburtstage sich an diesem messen würden oder bedauert werden würden, als niemals wieder so feierlich wie damals der Sechziger. Was kochet mir jetzt? I däd sage Brei, des kann dr Chrischtian essa und au dr Opa no beißa.


Oma will mir ihre alte Theaterkleidung hinterlassen, sie macht es manchmal schon in Teilen heimlich, damit es keine Neider gibt. Ich habe eine Tracht im Schrank, die ich noch nicht einmal probeweise angezogen habe. Kurz vor dem Geburtstag habe ich einmal überlegt, ob ich was damit machen sollte, aber ich kann es mit keinem der Cousins, meinen Bruder brauche ich gar nicht fragen und alleine würde es vielleicht niemand verstehen. Meine Oma könnte sich freuen, aber vordergründig danach fragen, warum die anderen nicht mitgemacht haben. Vielleicht hat sie die Momente auf der Bühne immer besonders gemocht, in denen mein Opa kein großer Part spielte. Ich glaube nicht, dass sie ihn wirklich gebraucht hat fürs Spielen.


Seit kurzer Zeit spreche ich wieder mit Hannes, meinem Cousin, der nur einen Monat älter ist als ich. Es ist nicht mehr so klar, wie es weitergeht in seiner zweiten Beziehung, die auch schon gebrochen war. Während die restliche Familie sehr bestürzt oder erleichtert ist, solange er ohne oder mit seiner Freundin zu den Familienfesten kommt, ist er einmal im Advent zu uns gefahren und hat mir mir gesprochen.


Jetzt hat mein Auto einen reparierten Kratzer, der wieder rostet und ich will ihn nur um Rat fragen, aber er sagt, er wird das mit seinen Kumpels machen, ohne Rechnung. Ich solle einen Nachmittag zu ihm kommen und dann machten sie alles klar, auch die Kratzer am Plastik, auch wenn die nur ein kosmetisches Problem sind.


Er ist an Opas Geburtstag wieder mit seiner Freundin da, sie erzählt vom Skifahren, aber ich merke, dass er sich unsicher ist, ob sie bleibt. Dass er sich unsicher ist, ob sie seinen Sohn akzeptiert. Dass er seinen Sohn über sie stellen muss. Ich weiß, dass es die Möglichkeit gibt, dass wir darüber wieder sprechen, wenn sie wieder weg ist. Dass er mich zu sich einlädt, habe ich erst einmal nicht kommen sehen, weil wir weit weg wohnen, dachte ich auch, er wird so schnell nicht wieder auf Besuch kommen, erst einmal. Es ist schön, dass das Auto jetzt mitspielt.


Als wir Kinder waren, haben wir beide am liebsten geschauspielert, Hannes und ich. Wir haben die Rollenspiele angeführt auf dem Dachboden, Prinzessin und Quatschhund, aber eigentlich habe ich mich immer vom Quatsch umblödeln lassen und diesen auch angestachelt. Die anderen waren unsere Belegschaft. Auch wenn Simon der Prinz war, waren Quatschhund und Prinzessin der Motor aller Geschichten.


Hannes kommt zu spät und geht früh, auch heute, ich sehe ihn gar nicht mehr mit seinem Vater sprechen. Anders als Simon redet er nicht so deutlich und auch nicht so überzogen von seiner Kindheit. Er zeigt beiläufig, warum er über so vieles schweigt. Meine Großeltern sahen in den letzten zehn Jahren dieses Schweigen unberechtigt auf sich übertragen. Sie lagen damit falsch. Er hat sich immer wieder um Vieles gekümmert. Wasserkisten, Altglas, Wertstoffhof.


Wie unangenehm es ihm wäre, noch einmal was zu spielen, frage ich mich jetzt. Bevor der Geburtstag ist, habe ich an die Tracht gedacht. Und jetzt, drei Wochen nach dem Geburtstag, wie Hannes sagt, wir machen das mit dem Auto, denke ich, wir könnten miteinander spielen. Ich will mit ihm spielen. Ich sehne mich plötzlich danach, dass ich stumm werde, stumm vor den abzuwartenden drei Jahren, bis Oma neunzig wird. Wie werden wir in den drei Jahren uns zueinander verhalten. Welche Kleider gäbe es für ihn. Er hat niemals die Statur von Opa. Wird Oma vorher sterben. Diese Frage verneine ich und ich muss mich um die anderen Fragen kümmern.


Wir haben vermutet, dass Opa nicht lange an seinem Geburtstag bleibt. Marija würde ihn nach Hause bringen, den Fernseher einschalten und selbst ein bisschen spazieren gehen. Ich habe die Torte gebacken, die Opa früher immer gemacht hat- Allerdings war die Idee so stark, dass ich nur das ausreichend fand, ich habe ein Rezept aus einem geschenkten Kochbuch genutzt und nicht das Rezept meiner Großeltern, Oma zählt mir alles auf, was ich eigentlich hätte machen sollen. Ich finde meine Version besser, sie schmeckt richtig gut. Dass wir die Torte so stark thematisieren und ein paar auch darauf reagieren, bindet Opa ein, nicht von sich aus, aber ich sage Marija, dass wir die Torte gleich anschneiden und die Kaffeekannen, das Kaffeegeschirr und meine Ankündigung schwirren so um ihn herum, dass sie nicht zum Aufbruch kommt, nicht so schnell.

Ich glaube, es wird ihr leicht zu viel, aber es wird nur noch dreißig Minunten dauern, dann hat Opa auch Kaffe und Kuchen bekommen.


Bei den früheren Geburtstagen gab es oft Ansprachen, in denen meine Großeltern sich sagten, dass sie einander der größte Reichtum seien, in den letzten hat sich Oma nur noch bei den Gästen bedankt. Heute sagt sie etwas Neues, sie schaut auf die acht Urenkel und alles bewegt sich, meine Nichte liegt auf einer Decke an der Seite und dreht sich noch kaum. Oma sagt, dass sie es immer bedauert habe, als Einzelkind aufgewachsen zu sein, sie benennt den nach der Geburt gestorbenen und von ihrer Mutter immer beklagten Bruder nicht. Sie sei so dankbar dafür, wie groß ihre Familie jetzt sei.



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