Ist die Seele unsterblich?

Essay

von  Quoth

Manchmal möchte ich es annehmen, manchmal nicht. Annehmen möchte ich es, wenn ein geliebter Mensch stirbt, weil das Vermissen so brennt und die Hoffnung auf ein Wiedersehen zu tröstlich ist, als dass ich auf sie verzichten kann. Aber beim kühlen Betrachten der Lebenswirklichkeit kommt mir die Annahme nicht nur unwahrscheinlich vor, sondern absurd, wenn nicht gar lügenhaft, und Institutionen, die die Unsterblichkeit der Seele zum Kern ihrer Lehre gemacht haben, sind fragwürdig, und oft genug heucheln sie diesen Glauben nur, weil er ihre Ziele unterstützt. Wir betreten hier das spiegelglatte Parkett der Religion, die oft genug den überlebenden Seelen den Prozess macht und sie einem Gericht unterzieht, das die Schafe von den Böcken scheidet und die einen in die Hölle, die anderen in den Himmel bugsiert. Das sind für mich ebenso märchenhaft imposante, wie abzulehnende Annahmen, auf die ich mich in keiner Weise einlasse. Sie haben eindrucksvolle Gemälde und Dichtungen hervorgebracht, mit deren Verstehen und Deuten ich mich gern einmal befasse – aber dann ziehe ich mich daraus auch wieder zurück und erfreue mich eines Lebens ohne Höllenangst – aber auch ohne die Hoffnung darauf, mir durch Gutestun einen Himmel verdienen zu können. Hat nicht das Erbarmen mit einem oder einer Gestrauchelten seinen Lohn in sich? Und schleppt sich nicht auch der Mörder lebenslang mit einem schlechten Gewissen ab? Er mag es durch weitere Morde betäuben, aber sein Lebensglück ist dahin. Als Kugelschreiber noch eine vielbestaunte Neuerung waren – wir stippten zum Schreiben noch den Federhalter ins Tintenfass – hatte mein Banknachbar ein solches tolles Ding, um das ich ihn höllisch beneidete. Er vergaß einmal, es ins Etui und dann in den Ranzen zu stecken und ließ es auf der Bank liegen. Ich konnte nicht widerstehen und nahm das Teil an mich, nahm es mit nach Hause und schrieb mich auf sofort wieder vernichteten Blättern satt daran. Er vermisste es, tröstete sich aber damit, dass er von seinem Onkel bestimmt ein neues bekomme. Trotzdem plagte mich das schlechte Gewissen und ich legte den Kuli in das Fach unter der Bank. Dort fand er ihn, schlug sich vor die Stirn und rief: „Warum habe ich nicht gleich dahin geschaut?“ Mein Diebstahl, nein, meine Unterschlagung war unentdeckt geblieben. Aber die Erinnerung daran quält mich noch heute. Was ich damit sagen will: Auch ohne Unsterblichkeit der Seele lässt es sich leiden und leben. Und haben denn nur Menschen eine Seele, die unsterblich sein möchte? Unser Wotan hat auch eine, treu und lieb, wie er mich oft anschaut! Wenn es im Jenseits Hunde gibt, lasse ich mit mir reden und wünsche mir wenigstens schon mal eine Unsterblichkeit der Seele!



Anmerkung von Quoth:

Gehört zur Sammlung Jahrgang 1941

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (10.07.25, 12:19)
Ein schöner Text zum Thema. Was für die Unsterblichkeit spricht, nennst Du gleich zu Anfang: Wunsch und Hoffnung.

Mir fällt noch ein Gedanke zur Entstehung des Glaubens an ein Fortleben nach dem Tode ein: In Träumen erscheinen uns Verstorbene und sprechen zu uns. Das mögen frühe Menschen so gedeutet haben, daß sie - als Geister - noch existieren. Ist diese Deutung nicht sogar sehr naheliegend, auch wenn wir aufgeklärten Menschen heute eine andere bevorzugen?

 Quoth meinte dazu am 10.07.25 um 16:02:
Lebhaft erinnere ich mich aus meinen Schuljahren, wie ein von mir geschriebener Aufsatz über die Unsterblichkeit der Seele von dem Lehrer ausserordentlich gerühmt und vorgelesen wurde, und zwar ebenso sehr der Vortrefflichkeit des Inhalts wie der Sprache wegen. Ach! ach! ach! Diesen Aufsatz habe ich schon längst fortgeworfen. Welch ein Unglück! Viel­leicht würde meine zweifelnde Seele durch denselben zur Festigkeit gebracht worden sein, sowohl durch die vortreffliche Sprache als auch durch den Inhalt. Daher ist es eben mein wohlgemeinter Rat an Eltern, Vorgesetzte und Lehrer, den ihnen anvertrauten Jungen einzu­schärfen, die im fünfzehnten Jahre abgefassten Aufsätze ja aufzubewahren. Diesen Rat zu er­teilen, ist das Einzige, was ich zum Besten der Menschheit zu tun vermag.           Sören Kierkegaard
Als ich das las, erinnerte ich mich, dass auch ich in der Obersekunda mal einen "Besinnungsaufsatz" über dies Thema schreiben musste, und habe versucht, ihn zu rekonstruieren. 
Vielen Dank für die vielen Kommentare! Saudade sagt: "Ich weiß nicht recht ..." Dem schließe ich mich an!

 dubdidu (10.07.25, 12:33)
Gerade bei aufgeklärten Menschen ist es merkwürdig, dass sie dann doch wieder bei wortgetreuen (Nicht)auslegungen und Volksglaube hängenbleiben. 

Warum nicht die Seele als die Einzigartigkeit des Individuum auslegen (so z.B. bei Hannah Arendt gelesen)? Wenn das Individuum stirbt, bleibt die Tatsache, dass es einzigartig gewesen ist und der Einfluss den diese Einzigartigkeit auf andere genommen hat, bestehen. Und warum nicht die Hölle als Zustand der totalen Abwesenheit von Liebe auslegen? Sünde als Entfremdung?

 Graeculus antwortete darauf am 10.07.25 um 12:39:
Warum nicht die Seele als die Einzigartigkeit des Individuum auslegen?

Warum die Seele als die Einzigartigkeit des Individuum auslegen?
Dafür gibt es doch schon ein Wort: Individuum. Und mit dem üblichen, traditionellen Sinn von Seele, der eben mit der Hoffnung auf Unterblichkeit verknüpft ist, hat es nichts zu tun.
Warum nehmen so viele Menschen ein so starkes Interesse an der Existenz der Seele? Doch nicht, weil jedes Individuum einzigartig ist.

Das mit der Hölle: anderes Thema.

 dubdidu schrieb daraufhin am 10.07.25 um 13:07:
Rein sprachlich ergibt es für mich wenig Sinn, die Einzigartigkeit des Individdums mit dem Individuum gleichzusetzen. Das Individuum bezeichnet eine physische Person, die gekennzeichnet ist durch eine Einzigartigkeit, die mehr ist als die Summe ihrer (natur-, sozial-, kulturwissenschaftlichen Teile). Das Festhalten an überlieferten (traditionellen) Auslegungen bei gleichzeitiger Ablehnung dieser Tradition dreht sich im Kreis. Ich sehe keinen Grund dafür an einer Überlieferung festzuhalten, wenn es doch zahlreiche Auslegungen von klugen Menschen gibt die dies nicht tun. 

Selbstverständlich besteht ein großes Interesse an der Einzigartigkeit als Phänomen, welches jeden einzelnen Menschen und seine Beziehungen und Dynamiken zu einzelnen Anderen wie auch zur Gesellschaft intim betrifft. 

Einzigartigkeit ist anregend, weil sie sich gängigen Erklärungsmodellen entzieht, nicht berechenbar ist, die Menschen dazu bringt, sich zu wundern. Niemand braucht einem kindischen Volksgottglaube anzuhängen und Rituale zu wiederholen, um ein Interesse an Metaphysik zu haben. Ignoranz der Einzigartigkeit führt häufig zu einseitigen Aussagen über den Menschen, die sehr viel weniger interessant sind.

 Graeculus äußerte darauf am 10.07.25 um 13:16:
Dann nimm doch das Wort "Einzigartigkeit". Was mich stört, ist, einem bereits eingeführten Wort wie "Seele" vom Thron der Philosophie herab einen neuen Sinn zu geben. Das führt zu Irritiationen und Mißverständnissen.

 Augustus (10.07.25, 12:38)
Es ist noch keiner von den Toten auferstanden und konnte darüber berichten. 

Ein Gedankenexperiment: wenn man die Menschen 1000 Jahre später, die kyrokonserviert wurde, wiederbeleben würde; spräche das für die Unsterblichkeit der Seele oder dafür, dass der Mensch gar keine Seele besitzt?

 Saudade (10.07.25, 12:42)
Ich weiß nicht recht... habe ein ambivalentes Verhältnis zu dem Thema. Einerseits glaube ich nicht daran, andererseits, wenn ich beim Grab stehe, spüre ich eine Art "Aura", so nenne ich es. Kann nicht abstreiten, dass da was ist. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass auf mich aufgepasst wird. Diese Gedanken widersprechen sich mit meinem rationalen Verstand und ich wehre mich dagegen.
Andererseits, mit Gott geht es mir genauso.

Kommentar geändert am 10.07.2025 um 12:46 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 10.07.25 um 13:19:
Interessant finde ich ja, daß die Themen (Seele, Gott, Suizid) offenbar etwas tief in uns berühren und deshalb immer wieder "zünden".

 Saudade meinte dazu am 10.07.25 um 13:29:
Ich glaube, DESHALB. Hochintelligente Menschen und Frömmigkeit - auch ein Phänomen. Meine Ex-Chefin, eine Koryphäe im Job, schwer fromm. Das ist wirklich seltsam.

 Jack (10.07.25, 13:01)
Kann das Bewusstsein, einmal seiner selbst bewusst, aufhören, Bewusstsein zu sein?

Kann das Sein nichtsein?


Das ist die der Frage angemessene Höhe. Ob die Seele (etwas, ein Objekt) unsterblich ist, ist bereits arbiträr vorbeantwortet.

 Graeculus meinte dazu am 10.07.25 um 13:22:
Ich dachte, daß Bewußtsein hört jede Nacht auf., Bewußtsein zu sein. Manchmal hilft auch ein Schlag auf den Kopf.
Daß Bewußtsein erlischt, ist doch eine alltägliche bzw. -nächtliche Erfahrung. Die ich sogar genieße.

"Der glücklichste Moment eines glücklichen Menschen ist der des Einschlafens. Der unglücklichste Moment eines unglücklichen Menschen ist der des Aufwachens." (Schopenhauer)

 LotharAtzert meinte dazu am 10.07.25 um 14:07:
Das Folgende wurde von Donald Trump so sinngemäß erzählt: Er selbst hätte Putin damit gedroht, falls dieser die Ukraine überfällt, Moskau in Schutt und Asche zu zerlegen, worauf dieser sachlich kurz geantwortet haben soll: „Ich glaube Ihnen nicht“.

 Jack meinte dazu am 10.07.25 um 14:39:
Wenn das Bewusstsein mal kurz oder lang weg ist, vergeht für ebendieses keine Zeit. Da war Schopenhauer zu optimistisch, falls das Glück sein soll.

 LotharAtzert meinte dazu am 10.07.25 um 14:49:
... und mit der Unglücksvermutung beim Aufwachen entsprechend pessimistisch.

 LotharAtzert (10.07.25, 13:28)
Geistig sind nicht nur die Religiösen, sondern praktischerweise ihre Kritiker gleich mit im Bewußtsein des 18. Jh. steckengeblieben.
Mit Euch ( den weiter oben Diskutierenden) kann man nicht offen diskutieren.
Teyata OM bekandze bekandze maha bekadze radza samungathe so ha

Kommentar geändert am 10.07.2025 um 13:38 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 10.07.25 um 15:36:
Mit Euch (den weiter oben Diskutierenden) kann man nicht offen diskutieren.

!?

 DanceWith1Life meinte dazu am 10.07.25 um 16:50:
Was heißt 
Teyata OM bekandze bekandze maha bekadze radza samungathe so ha
Google erkennt als Sprache Sisvati und kann nicht alles übersetzen, wenn ich auf Sanskrit gehe noch weniger

 DanceWith1Life meinte dazu am 10.07.25 um 16:58:
Ferner müsste es eigentlich im Verständnis dessen was Bewusstsein genannt wird, heißen, denn meines Erachtens ist das Bewusstsein doch etwas über das man gar nicht diskutieren kann, weil es entweder sowieso jeder Äußerung zu Grunde liegt oder eben gar nicht erfasst werden kann, oder so ähnlich…. Grinsekatze Garfield oberschlau

 Graeculus meinte dazu am 10.07.25 um 18:17:
Bewußtsein ist etwas, von dem man sagen kann: "Ich bin bei ...", aber nicht: "Ich bin nicht bei ... - ich bin bewußtlos."
(Ähnlich wie bei Leben und Tod; man kann sinnvollerweise nicht sagen: "Ich bin tot.")

Aber was man unter "Seele" zu verstehen hat, wäre für eine Diskussion erst zu klären.

 DanceWith1Life meinte dazu am 10.07.25 um 19:09:
Guter Ausgangspunkt, ist es nicht so, dass irgendwann jemand nicht fassen konnte, als ein nahestehender Mensch plötzlich tot neben ihm/ihr lag, sich fragte wo jetzt alles was er kannte hin ist.

 klausKuckuck (10.07.25, 18:21)
Wir alle hier (mich eingeschlossen) können über die Vorstellung einer unsterblichen Seele so gescheit, so fantasievoll, so ablehnend schreiben, denken, reden, wie es unsere Begabung zulässt – am Ende bleibt uns nur mit Goethes Faust zu bilanzieren: «Und bin so klug als wie zuvor.» Es gibt bei diesem Thema nichts zu enträtseln. Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder hat dazu ein Theaterstück geschrieben: «Unsere kleine Stadt» – der letzte Akt spielt irgendwo zwischen Jüngstem Gericht und endgültigem Jenseits, und er lässt mit den Möglichkeiten des Theaters die Lebenden und die Gestorbenen aufeinander treffen. Es stellt sich heraus: Die Gestorbenen wollen mit den Lebenden keinerlei Bekanntschaft mehr und umgekehrt. Es gibt keine Verbindungen mehr untereinander. Und beide Seiten sind am Ende erleichtert, dass sie nichts mehr miteinander zu tun haben müssen. (Was keinen Menschen irdischerseits daran hindern soll (mich eingeschlossen), weiter zu spekulieren.
KK
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