Die Frage

Kommentar zum Thema Missbrauch

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Tiefenpsychologie

„Wie kann ich leben nach dem, was ich getan habe?“ ist die Frage, die ich mir niemals stellen wollte. Ich habe mich selbst gegeißelt und andere geschont. Ich muss mir diese Frage nicht stellen, immerhin. Nein, da ist mehr: die lebenswierige moralische Bewährungsprobe bestanden zu haben, ist eine Grundvoraussetzung für das Seelenheil.


Aber es gibt noch eine andere Frage: „Wie kann ich nach dem, was ich erlitten habe, weiterleben?“ Diese Frage zielt auf die „normative Kraft des Faktischen“ angesichts der Zerstörung der eigenen Persönlichkeit: Was haben sie mir genommen? Was bin ich jetzt noch?


Diese Frage ist gefährlich: die eigene Ohnmacht einzugestehen, auch wenn sie nicht mehr real ist, fühlt zur Selbstablehnung: Mein Leben gehört nicht mir! Natürlich wird auch der Suizid erwägt, die im Vergleich zu Rache unschuldige Option. „You broke it, you owe it!“, gibst du dein zerstörtes Leben an die narzisstischen Täter zurück.


Wie hat der Narzisst selbst die zweite Frage beantwortet? Narzissmus entsteht durch schweres Kindheitstrauma. Der Narzisst hat sich selbst weggeworfen und mit einer Scheinpersönlichkeit ersetzt. Er ist eine leere Maske geworden.


Wer also noch leidet, wer sich selbst noch spürt, im Schmerz, in der Verzweiflung, in der Lebensverneinung, war stärker als der Narzisst, denn er hat letztlich durchgehalten, und seine Frage an sich selbst ist, ob der Preis dafür nicht zu hoch war.


Was ist meine Würde wert, wenn meine persönlichen Grenzen überschritten, missachtet, ja nicht einmal erlaubt waren? Wie kann ich mich für liebenswert halten, wenn ich nie mehr als ein emotionaler Mülleimer war, ein Blitzableiter für Frust, Scham und Schuld, und mich nicht verweigern durfte? Allein dafür, dass ich mich verweigern wollte, trug ich einen Schuldkomplex davon, als hätte ich unverzeihliche Gräuel begangen.


Was ist rein geblieben? Was ist unbeschmutzt? Was haben sie in mir nicht erreichen können? Was ist noch heil? Was bin noch ich? Wenn ich nichts derartiges finde, wozu soll ich noch leben, oder, wer in mir soll noch leben? Und da macht der Überlebensinstinkt manch einen selbst zum Narzissten: man wirft sein wahres, zerstörtes Selbst weg, und ersetzt es mit einer Maske. Und wenn das keine Option für dich ist? Wenn noch so viel Leben in dir ist, dass du nicht als innerlich tote Phantsiefigur leben kannst und willst?


Dann trägst du in deinem Leben den Kampf aus, den der Narzisst verloren hat. Durch deine bloße Existenz erinnerst du ihn fortwährend daran. Das wird er dir nie verzeihen, vielmehr projiziert er auf dich all das Böse, dem er sich ergeben hat, vor dem er einst kapituliert hat, um weiterleben zu können. 


Der Narzisst hat nicht nur einen zu hohen Preis für sein Überleben bezahlt, er hat sich selbst verkauft. Dein Kampf, dein Leid, mag für dich wie Schwäche erscheinen (und der Narzisst will, dass du das so empfindest bzw. daran glaubst), aber in Wahrheit erinnerst du ihn ständig daran, dass Widerstand möglich war, und dass auch er eine Wahl hatte. Deshalb will er dich schwach, leidend und schuldig sehen. 


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Kommentare zu diesem Text


 Antagonist (23.10.25, 20:35)
Wir sind ein Nichts, lieber Jack, selbst jede kleine Eigenheit wird bestraft.

 Jack meinte dazu am 23.10.25 um 20:37:
Das wollen sie uns glauben machen.

 Antagonist antwortete darauf am 23.10.25 um 20:39:
Volker, Wolfgang und Andrea und all die anderen ....

 Jack schrieb daraufhin am 23.10.25 um 20:48:
Nennst du die üblichen Namen der „Flying Monkeys“ im deutschen Sprachraum?

 S4SCH4 äußerte darauf am 23.10.25 um 20:50:
Mein Kommentar bis zur Überarbeitung des Textes, der mit dem Teil der "leeren Maske" endete:

Ist der Schlüssel gedreht, die Tür einmal offen, beantwortet die zweite Frage die erste mit: Du hast es dir selbst angetan. Es gibt niemanden mehr der Geburtstagskuchen vorbei bringt und gerade da kommt – richtig erkannt – die Selbstablehnung (und die vielleicht vergebliche Sorge eine „initialen“ Gönners?) ins Spiel. 

Das Leben gehört dir /uns, die Umtriebe dazu und daraus teilen wir uns (alle). 

Die Leere hinter der Maske als versprochene Fülle eines Gönners der uns zum Bahnhif / auf den Berg / etc. führt. Eine Maske geprägt von einem versprochenem Gesicht…wer versprach es? Das Negativ der Maske? Das passt es hinein, das ist es dunkel und keine Luftzug weht, anders geht es der Seite die sich dem Leben stellt, sie ist zum „fake“ degradiert, nur damit sie erhoben wird, doch will man da hin. Stellen wir uns beiden Seiten. Auf biegen und auf brechen. „…show must go on…. (Queen)“

 Antagonist ergänzte dazu am 23.10.25 um 21:01:
Um nur noch von Intellektuellen kommentiert zu werden?

 Jack meinte dazu am 23.10.25 um 21:10:
Was lebt hinter der leeren Maske? Der Narzisst ist ein lebender Mensch, er ist nicht tot; er trifft Entscheidungen, führt Beziehungen. Wer durch narzisstischen Missbrauch nicht zugrunde ging, dessen Schmerz ist nicht betäubt, er „spürt sich noch“. Der Narzisst hält die Maske für sein wahres Selbst, weil er sein wahres Selbst nicht spürt. Aber existiert es? Wenn nicht, was ist das Subjekt in ihm, was erzeugt sein Ich-Gefühl?

 S4SCH4 meinte dazu am 23.10.25 um 21:23:
Ich fürchte ein wenig es so zu sagen, aber es ist zumindest mal: alles was sein ich nicht will, sich dagegen stemmt. Er (die Maske, der Narzisst) ist das Negativ geworden, von einem Positiv das, (dass) ich nicht will. Vielleicht ist es noch mehr... vielleicht. DIe Zeit des Positiven "ich machens" sind im Großen und Ganzen vorbei. Der Wind weht dagegen, nicht immer aber öfter.

Antwort geändert am 23.10.2025 um 21:24 Uhr

 Jack meinte dazu am 23.10.25 um 22:04:
Ich denke, das ursprüngliche Selbst des Narzissten ist immer noch da, aber es hat sich gegen das Leben gestellt: Sein Leben ist (und wie er Beziehungen führt, zeigt es) Herrschaft und Unterwerfung, Belohnung und Strafe, Kontrolle. Er identifiziert sich mit dem Thanatos, nicht mit dem Eros (wie ein „normales“ Lebewesen).

 S4SCH4 meinte dazu am 23.10.25 um 22:12:
Ja, genau. Er hält an seinem schwarz-weiß fest, es verschafft ihm das Qnäntchen (maschinellem) Leben, dass er braucht, bevor es ihm durch die Finger gleitet / auch genommen scheint. Im Leben hat er kaum Chancen, er sucht sie im Tod zu ergründen und findet diese Gegennwart nur auf der dünnen Schwelle zwischen Leben und Tod (ein Kounterfeit, eine Maske, sein Anlitz) aber das Wahrste, was sich (für ihn) nun einmal findet.

 Jack meinte dazu am 23.10.25 um 22:21:
Er hält den Tod für das Leben; er lebt das Leben nicht, er stellt es dar wie ein Schauspieler, kontrolliert es wie ein Gefängniswärter, konsumiert es, saugt es aus, parasitiert daran. 

Raphael Bonelli hat das Wort "Selbstimmanenz" für das Leben des Narzissten geprägt (oder popularisiert): die Unfähigkeit zu lieben, und zugleich das Bedürfnis, Ursache von allem im Leben anderer zu sein: "Du tust das, weil ich...", "Hätte ich dir/dich nicht/bloß..." usw.

 S4SCH4 meinte dazu am 23.10.25 um 22:26:
Seine einzige Chance ist aus dem Grab herauszusteigen und veruschen zu leben. Er ist gescheitert vor dem Spiegel der Realität. Niemand außer ihm selbst kann ihn befreien, es sei denn er opfert sein Leben erneut, vergisst es und kann hoffen das sein früheres ich ihm zur Hilfe kommt. Aber nach der großen "Freiheit" seines Lebensgefängnisses ist es schwer sich selbst odere jemanden zu finden, der ihm den "Spiegel führt" und tlws. (Licht) bricht. EIne Unfähigkeit zu lieben, sehe ich ja, im mangelnden Lebensbezug, in der mangelnden Lebensfähigkeit seines ichs und er sucht unermüdlich (auch im Leben anderer) nach dieser Fähigkeit.
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