Wolfgang Weimer: Fragen an die Antike

Kommentar zum Thema Historisches

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Wer öfter liest, ist schneller tot

In der Springer-Ausgabe fehlt im Titel die Zahl 50. Davon ausgehend, dass Spranghold Springer nicht auch im Buch selbst ein paar Stellen umgedichtet hat, stelle ich die nullte Frage:


Hat Julius Caesar, als beim Kampf um Alexandria versehentlich die Bibliothek angezündet wurde, seinen Soldaten befohlen:


    Öl ins Feuer zu gießen
    Beim Löschen mitzuhelfen
    Den Christen die Schuld zu geben


Das war mein ironisches Vorwort. Ich werde das Buch ausführlich diskutieren, diese Rezension ist Work in progress. Zunächst merke einmal an, dass der Anspruch des Autors an sich selbst sehr hoch ist und das Werk seinem Gegenstand gerecht wird: die Weite, Fülle und Komplexität der Antike kommt zur Geltung.

1. Äpfel und Dirnen

Die Wahl des Paris war nicht ein bloßes Produkt seines Sexualtriebs, der aber auch eine Rolle gespielt haben mag. Doch die Antike war eine Zeit vor Ockhams Rasiermesser und Freuds Psychoanalyse. Es gibt nicht immer nur einen, nur „den“ Grund für eine schicksalhafte Entscheidung, und so lässt der Autor auch Stimmen erklingen, die in der Heirat Helenas vor allem die Verwandtschaft zum Göttervater Zeus als größten Vorteil betrachteten, oder auch die Konsequenzen der beiden anderen Entscheidungen (für Athene oder Hera statt Aphrodite) für noch schrecklicher. Dass Paris notgedrungen zwischen drei Übeln wählen musste und vielleicht sogar angesichts der Umstände die beste Entscheidung traf, ist in der heutigen Unkenntnis der Antike als Option untergegangen.

2. Legendenentstehung

„Dher Mharathonlauf. Eine Leghende“: so oder ähnlich bedeutungsschwanger würde eine tiefe kaspareichelnde Stimme heute in der Werbung sprechen. Doch damit eine Schwangerschaft bedeutende Legende entsteht, müssen Jahrhunderte vergehen und aufeinanderfolgende Überlieferungen das Ereignis immer legendenträchtiger erzählen. Da die Antike selbst viele Jahrhunderte gedauert hat, musste die Legende nicht auf das Mittelalter warten. Wahrscheinlich ist keiner nach der Schlacht Marathon gelaufen, und die Sieger haben sich erst einmal ausgeruht, sich einen Lagavulin gegönnt, und sind erst am nächsten (oder übernächsten) Tag wieder nach Athen gegangen.

3. Gute Frage, keine Frage...

...und in der Serie "Rom" vor ca. 20 Jahren vertmutlich korrekt beantwortet.

4. Das Leben als Krankheit

Das ist eines Sokrates würdig: dem Gott der Gesundheit ein Opfer bringen zu lassen, bevor er in den Tod geht. Hat er, hat er nicht, wann, wo und wen darum gebeten: ich sollte jedenfalls eine fünfte jährliche Spende tätigen, und zwar für eine Gesundheitsorganisation, denn was dieses Leben angeht, kann ich Sokrates nicht widersprechen.

5. Der Superstar der Antike

Es wurde um seine Lebenserwartung gestritten, um sein Geschlecht eher nicht: der Phönix war männlich. Je älter die Legende, umso schöner, erhabener, weniger naturalistisch. Als er aus der Asche kam, wurde der Vogelsohn vom Vogelvater geboren, auf eine magische, nicht biologische Art. Dann wurde der Mythos naturalistisch korrekter aufgefasst und verlor an Strahlkraft, wobei die Ultradekadenz der Antike bald endete und für die Nachwelt nur die Quintessenz übrigblieb: der Phönix halt aus der Asche eben.

6. Irre sind menschlich

Das heutige "Dann ist es so", die kleine Schwerster des "Weil ich das kann", hieß früher "Irren ist menschlich", wobei nicht ganz. So wie es statt "Bitte um Entschuldigung" nunmehr lapidar "Entschuldigung" heißt, und ein "Sorry" als Wiedergutmachung gilt, war das elegantere "Irren ist menschlich" nicht gemeint, denn es war nur ein Halbsatz, und die zweite Hälfte hieß, hier mit christlichem Anstrich vervollständigt: "Im Irrtum verharren ist teuflisch".

Ein Unterschied wie Tag und Nacht, denn klingt die Verkürzung wie eine Rechtfertigung des Falschen, zeigt der ganze Satz die Konsequenz der Erkenntnis des Falschen als Falschen an. Im moralischen Kontext wäre es Reue. Aber wo kommen wir da hin? Etwa noch zur Buße oder gar Sühne? Ist das nicht mittelalterlich!? Nein, das ist antik.

7. Papier brennt

Wenn du in der Antike um eine Stadt in Ägypten mit einer großen Bibliothek kämpfst, steigt ein wenig die Brandgefahr. Wenn es viele Bücher nur in einer einzigen Ausgabe gibt, geht dann Wissen unwiederbringlich verloren, oder bloße Literatur? Damals wurde selbst die Naturphilosophie in literarischer Form verfasst, also wohl beides.

Die falsche Frage ist: Wer war schuld? Die richtige wäre: Was hat der Beschuldigte getan? Ich habe Geheimdienstinformationen, denen zufolge Gaius Julius Caesar, als die Große Bibliothek beim Kampf um Alexandria Feuer fing, seinen Soldaten befahl, beim Löschen mitzuhelfen. Das wäscht sein Andenken rein, denn hätte nicht auch Vercingetorix sich dafür feiern lassen, wenn er eine Million Römer abgeschlachtet hätte? Andere Zeiten, andere Sitten, und unsere sind die Besten, das muss man schon sagen (siehe 6).


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (02.10.25, 11:02)
Eine originelle und gute Art der Besprechung eines Buches. Da sieht man, was passieren kann, wenn ein Buch auf ein Gehirn trifft.

 Augustus meinte dazu am 02.10.25 um 12:55:
… auf ein (denkendes) Gehirn. 
Denn es existieren auch etliche Gehirne, die nicht Denken.

 Jack antwortete darauf am 02.10.25 um 20:49:
Ich habe meinen Gehirn ja Zeit gelassen, Stromleitungen vom Limbischen System getrennt und wieder der Großhirnrinde zugeführt. Erst ans Denken denken, dann denken, und dann über das Denken denken.

 Augustus (02.10.25, 12:56)
Ich hoffe, Du leihst es mir im Anschluss aus, würde es auch gern lesen wollen.

 Jack schrieb daraufhin am 02.10.25 um 20:50:
„Würden Sie sich wünschen, entkommen zu wollenn?“ Der Dschinn. 

„Ja.“ Johnny Valentine.

 Graeculus (02.10.25, 15:22)
Zu 3.:
Jeder, der Caesars Leben verfilmt, muß sich natürlich entscheiden, ob er ihn bei seiner Ermordung etwas ausrufen läß, und wenn ja, dann was. Das Rätsel um die verschiedenen Überlieferungen und daß dazu eben nicht "Auch du, mein Sohn Brutus?" gehört, wird dadurch nicht gelöst.

 Jack äußerte darauf am 02.10.25 um 20:44:
Zu Beginn etwas in Kultusprache empört auszurufen, wäre nicht nur narrativ nachvollziehbarer, es wäre auch physiologisch noch möglich, aber eben nicht mehr, wenn der Körper schon mit einer zweistelligen Zahl an Messerstichen durchlöchert ist.
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