DER SARG DES LICHTS

Gedicht

von  Drita

Entfernt diesen Leichnam aus meinem Körper.
Meine Stimme ist weder im Zimmer zu hören,
noch auf der Straße, noch im Himmel.
Diese Stimme steigt aus der Tiefe einer Seele,
die seit Jahrhunderten eingeschlossen ist.
Entfernt diesen Leichnam aus meiner Haut.
Sie ist zu einer Mauer geworden,
in die alte Namen geritzt sind,
vergessene Frauen, unausgesprochene Klagen,
Träume, Wünsche - getötet.
Halb Rozafa, halb Ajkuna,
dieser Leichnam - Anne Frank mit kalten, zitternden Händen,
und doch reichte ihr Licht nicht, um die Kriege zu beenden.
Entfernt diesen Leichnam aus weißen, unbeschriebenen Blättern,
aus meinem Körper.
Dort liegen die Schweigen von Millionen Frauen:
eine aus Gaza, eine andere aus Kabul,
eine aus Afrika, eine aus Asien -
alle eingemauert in mir.
Oh, löscht diesen Leichnam in mir aus.
Ich will Licht sein, Traum, Hoffnung.
Macht aus dem Sarg einen Fluss,
lasst Frösche, Kröten,
alle Kriechtiere darin schwimmen,
bis zur letzten Tropfen Blut.
Entfernt diesen Leichnam aus meinem Körper,
damit selbst der Himmel erbebe!
Hört ihr, wie Ajkuna ruft, Nabu, Silvia, Anna, Rozafa -
ihre Stimmen aus dem offenen Grab in mir?
Ich will das Licht sein, die Luft, der Segen -
nicht ihr Grab.
Entfernt diesen eingemauerten Leichnam aus meinen Träumen.
Dort sind eure blutigen Hände,
eure unterdrückende Stimme,
euer Fuß, der auf den Schrei, das Weinen, das Klagen tritt.
Dort seid ihr -
die mich mit Ironie ansehen,
nur weil ich in meinem Körper
einen Leichnam trage, der schmerzt,
der mir den Atem nimmt, sooft er sich in mir bewegt,
sooft er ans Licht will,
ausbrechen will wie ein Vulkan,
der seit Jahrhunderten in sich selbst brennt.

Entfernt diesen Leichnam ich will allein sterben.


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (13.11.25, 07:51)
Grandios!

Mehr gibt es für mich nicht zu sagen.

 Drita meinte dazu am 13.11.25 um 09:10:
Herzlichen Dank.

Liebe Grüsse
Drita

 Saira (13.11.25, 11:38)
Liebe Drita,

dein Gedicht ist sehr berührend. Es klingt wie die Stimme einer Frau, die nicht nur ihren eigenen Schmerz trägt, sondern den vieler anderer Frauen mit sich führt. Besonders stark finde ich, wie du persönliche Gefühle mit alten Geschichten, Mythen und aktuellen Kriegen verbindest. 

Der wiederholte Ruf „Entfernt diesen Leichnam“ wirkt wie ein Versuch, etwas Loszuwerden, das nicht zur Protagonistin gehört: Traumata, Erwartungen, alte Verletzungen, die an dir haften wie eine zweite Haut. Die Figuren Rozafa, Ajkuna und auch Anne Frank zeigen, dass LyrIch nicht allein ist – sie steht in einer langen Reihe von Frauen, die geopfert, eingesperrt oder zum Schweigen gebracht wurden.

Sehr eindrucksvoll ist auch, dass du Frauen aus Gaza, Kabul, Afrika und Asien nennst. Damit machst du klar: Diese Schmerzen gehören vielen. Sie sind weltweit verteilt und doch finden sie sich in einem einzigen Körper wieder.

Besonders schön ist das Bild vom Sarg, der zu einem Fluss wird: Der Tod soll sich verwandeln, wieder fließen, wieder Leben bringen. Das wirkt wie ein starkes Hoffnungssignal mitten in all der Dunkelheit.

Auch deine letzten Zeilen tragen viel Kraft. Sie zeigen Wut, Schmerz, aber auch Selbstbestimmung. Du sagst klar: „Ich will Licht sein – nicht der Ort, an dem andere sterben.“ Dein Gedicht spricht mit vielen Stimmen, aber im Kern bleibt eine:
Eine Frau, die endlich frei sein will.


Liebe Grüße
Saira
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