nicht mehr und nicht weniger

Geschichte zum Thema Erwachsen werden

von  redangel

sie war dreizehn, als es ihr erstmals höchstpersönlich passierte. ihre freundinnen erzählten wahre wunderdinge davon, wie schön es doch wäre. aber sie konnte sich nicht vorstellen, was daran schön sein sollte. jedesmal, wenn man sie zwang, es zu tun schüttelte sie sich heimlich hinterher. Überkreuzte die finger, wie sie es in einem theaterstück einmal als allheilmittel gegen den bösen blick gesehen hatte. spuckte dreimal aus, was ihr einen strafenden blick einbrachte. sie versuchte die sache immer möglichst schnell und unbeteiligt über die bühne zu bringen. an garnichts dabei denken, die lippen gespitzt und zack, fertig. sie hatte festgestellt, manchmal, wenn sie nicht wie ein braves mädchen aussah, sondern so richtig schmutzig war, mußte sie es nicht tun. man erließ es ihr kopfschüttelnd mit vorwurfsvollem blick und der bemerkung: du wäschst dir besser erstmal gesicht und hände!
wenn sie offen danach fragte, was das mit den händen denn zu tun habe, erhielt sie die antwort: weil es sich so gehört. doch da hörte sie schon meistens nicht mehr zu. es gab ein paar standardsätze die sie geflissentlich überhörte, worte wie ordentlich, das was sich gehörte und das was man nicht tat, kamen gehäuft darin vor. sie sah nie ordentlich aus, immer die roten haare zerzaust, gerade jetzt wo sie ihr bis zum po gingen. immer war irgendwas zerrissen an ihr oder etwas fehlte ihr.
diese sache, von der alle ihre freundinen redeten fehlter ihr bis dahin nicht. sie brachte es immer mit etwas schmutzigem, aufgezwungenen in verbindung
das sie überhaupt nicht nötig hatte.
dann kam der abend in den schulferien, als es ihr einfach passierte. seinen namen hatte sie längst vergessen, ebenso wie sein gesicht. aber das gefühl dabei und danach vergaß sie ihr leben lang nicht mehr. sie spielte mit einer horde jungs und ein paar mädchen verstecken. es war ein aufregendes kinderspiel in der abenddämmerung und wenn es dunkler wurde. es machte ihr spass unterzutauchen, sich hinter büsche zu verkriechen, auf bäume zu klettern oder in gräben zu liegen. meistens versteckte sie sich alleine.
manchmal auch gemeinsam mit einem der mädels. noch nie hatte sie sich gemeinsam mit einem jungen versteckt. heute waren sie beide weit in das maisfeld hineingerannt. dann duckten sie sich nahe beieinander und warteten ab. sie dachte sich nichts dabei, als er ihr ständig direkt in die augen sah. er nahm plötzlich seine hände aus den hosentaschen und zog grinsend an ihrem langen zopf ihren kopf zu sich heran. sie vermutete, er wollte mit ihr flüstern, deswegen runzelte sie die stirn ein wenig. am zopf gezogen werden tat weh. sie wollte sich gerade aus seinem griff befreien, da tat er es einfach ohne lang zu fragen.
er presste seine lippen fest auf die ihren und drückte sie auseinander, steckte ihr seine zunge in den mund wie eine schlange. sie starrte ihn entsetzt an mit weit aufgerissenen augen, aber er hatte die seinen fest geschlossen. während er sie küsste, sabberte er auch noch und seine hände versuchten sie überall zu betatschen. er sah es nicht, das gefährliche glitzern ihrer augen, als sich die grüne augenfarbe in flüssigen bernstein verwandelte. er sah nicht die gefahr, als sie mit der linken hand ausholte und ihn gleichzeitig heftig auf seine unterlippe biss. ihre hand traf ihn voll im gesicht und hinterließ einen roten fleck dort. er hörte abrupt auf, rieb sich mit dem handrücken die blutende lippe, ließ sie los und schrie laut: spinnst du?
da rannte sie schon los, nur weg von hier und ihm. es war ihr egal entdeckt zu werden, bevor sie am anschlagplatz angekommen war. sie spielte nicht mehr mit. zuhause ging sie ins badezimmer, schüttelte sich und putzte sich stundenlang die zähne. ihn wollte sie in ihrem ganzen leben lang nicht mehr wiedersehen. ihre freundinnen lachten sie alle aus deswegen und nannten sie eine kratzbürste, die nie einen abkriegen würde.
es dauerte auch fast eineinhalb jahre, bis sie soweit war, es nocheinmal zu probieren. sie war ein kleines bißchen verliebt und übte es heimlich auf ihrem eigenen handrücken. plötzlich fand sie es garnicht mehr ganz so ekelig, zu küssen wenn sie dabei an ihn dachte.
alle taten es, also mußte doch irgendetwas daran sein. er war 19 und sehr groß. sie stand dabei auf einer treppe, damit sie auf gleiche höhe kamen. der, dem sie es erlaubte sie zu küssen, mußte ihr versprechen, währenddessen mit seinen beiden händen jeweils ihre ohrläppchen festzuhalten. auf diese weise wußte sie immer, wo seine hände waren. der. der sie richtig küssen durfte, war ein echter glücksfall, jazztrompeter und er konnte es perfekt. sie lernte sehr schnell, die augen schloss sie dabei immer noch nicht. aber sie begann es zu genießen, mehr und mehr vom ersten bis zum letzten kuss, den sie sich gaben. sie wurden kein richtiges liebespaar, es blieb bei den küssen. aber von ihm wußte sie auch heute noch den namen: dirk.
sie war ihm bis heute dankbar dafür, daß er ihr das küssen an und für sich und die technik dazu richtig schmackhaft gemacht hatte. nicht mehr und nicht weniger.


(c) redangel

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