gestrenger Herr

Text zum Thema Betrachtung

von  redangel

Er sagte nicht einmal: "Gestatten Sie", als er kam. Sie hatte ihn nicht erwartet. Einfach vergessen, daß es ihn gab.Dafür rächte er sich nun. Er kam letzte Nacht. Sie kannte nur seinen Vornamen noch. Aber sie hatte ihn ganz vergessen gehabt. Kein Wunder, wenn einer alle heilige Zeit einmal auftauchte. Angekündigt, hatte er sich auch nicht bei ihr. Er kam einfach, unangekündigt, spontan.Stand nicht in ihrem Terminkalender, wie die anderen Dates. Er kam und erwartete, dass man ihm Beachtung schenkte,dass man gewisse Vorbereitungen traf am Abend vorher. Früher nannten sie ihn einen von den gestrengen Herren, sie hatte das mal irgendwo gelesen. Aber heute gab es doch fast keine Herren mehr, außer in dieser anderen Szene vielleicht. Außer ihm,der das raue, kalte, harte für sich in Anspruch nahm, beibehielt, gepachtet hatte. Er kannte keine Gnade, nein überhaupt nicht. Schonungslos schlug er zu. Zartes, weiches, empfindliches, verletzliches
hatte keine Chance bei ihm. Er wieß sie zurecht, er warf ihr Leichtsinn vor. Den Leichtsinn ihn vergessen zu haben. Sie gab es lieber gleich zu, daß dies ihr Fehler war. Sie hätte doch ausnahmsweise einmal die Ratschläge ihrer Mutter befolgen sollen. Aber das hatte sie früher auch nicht getan. Noch nie war sie besonders folgsam gewesen. Unnachsichtig, nerbittlich,unbarmherzig, dieser Herr erwartete Dinge von ihr. An diese Dinge hatte sie gestern nicht gedacht. Nun bestrafte er sie schonungslos. Hättest du dich daran gehalten, peinlich genau daran gehalten, wäre es dir nicht passiert, sagte das seine Stimme oder hörte sie diese eiskalten Worte nur in ihrem Kopf? Zurechtweisung, er erteilte ihr damit eine strenge Zurechtweisung,strafte ihren Leichtsinn. Er bestrafte sie. Geknickt, aber warum hatte er das nur getan? Mit hilflosen Blick sah sie, hinunter auf das, was er angerichtet hatte. Ein bißchen mehr Wärme, mehr Schutz, mehr Deckung und er hätte nicht zuschlagen können, keine Chance gehabt. mit seiner rauen, harten Art. Scharf und eiskalt, diese Nacht würde sie so schnell nicht vergessen. Zitternd schloß sie die Terassentür wieder. Soweit sie wußte, kam morgen dann noch so ein Freund von ihm. Auch einer von den gestrengen. Aber das half ihr jetzt nicht. Strenggenommen war er daran schuld, daß sie ihn anmachte. Solange an ihm herumdrehte bis sie sich sicher war, daß er heiß wurde. Sie drückte sich zitternd mit dem ganzen Körper an ihn und wartete darauf, daß sie heißwurde.Sie war froh, daß es ihn gab für sie. Er war immer da, wenn sie wärme brauchte. Er funktionierte einfach perfekt, exakt, tadellos. Das leise glucksende Geräusch das er dabei machte, störte sie im Augenblick nicht. Dieser Heizkörper müßte irgendwann einmal entlüftet werden, dachte sie. Strenggenommen waren diese eisigen Scheinheiligen daran schuld, daß sie ihn heute einfach brauchte. Sie erinnerte sich wieder an ihre Vornamen Pankratius, Servatius, Bonifatius, die gestrengen Herren.

(c) redangel

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