Alle 526 Textkommentare von Habakuk

21.07.19 - Kommentar zum Text  Hoffnung von  Artname: "Als Gedicht ist es mir ein wenig zu trivial, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Als Songtext finde ich es in Ordnung. BG H."

17.07.19 - Kommentar zum Text  begrenzt von  juttavon: "Feines Gedicht, liebe Jutta, sowohl von der sprachlichen als auch der stilistischen Umsetzung her. Der Titel gibt mir einen ersten Hinweis. „Begrenzt“, will sagen, das lyrische Ich befindet sich in einer befristeten, beschränkten, eingeschränkten, eingeengten Situation. Welche das auch immer sein mag. Da kommen mir verschiedene Assoziationen in den Sinn, mag sein, dass es sich um eine Beziehung handelt. Aber auch jedwede andere einschränkende Lebenssituation wäre denkbar. „was wenn es ganz geliebt / mein Herz ergriffen / sich erkannt wüsste / verrückt nach Leben“ Das spirituelle Herz ist der Haupteingang zur inneren Welt, der Treffpunkt von zwei Welten: der äußeren Welt, der Welt des Körpers, und der inneren Welt, der Welt der Seele. Das lyr. Ich spricht im Konjunktiv, der Möglichkeitsform. Die Sehnsucht ist spürbar. Die Ambivalenz dieser einengenden Situation wird bereits in der ersten Stophe verdeutlicht, einerseits durch die weichen, stimmhaften Konsonanten n, w, g, l, die Assoziationen von Harmonie, Weichheit, Sanftheit, Leichtigkeit, Helle, und auch Weiblichkeit avozieren, andererseits durch die harten, scharfen Konsonnanten r, z, k, bzw. den Reibelaut f als Doppelkonsonant in „ergriffen, das doppelte s (Reibelaut) in „wüsste“ in Verbindung mit dem harten t, in „verrückt“ den Reibelaut v sowie das scharfe doppelte r, das harte t und scharfe ck, welche allesamt eher Disarmonie, Dunkelheit, Schwere, Härte, Unruhe, Distanziertheit, Kälte, Wut, Verspanntheit, Verengung, Drückendes avozieren. Analog den obigen Ausführungen haben die hellen Vokale e und i in “wenn es ganz geliebt / mein Herz ergriffen“, etc. pp., die gleiche Wirkung. Das a sehe ich häufig in der ersten Strophe, es zählt einerseits zu den dunklen Vokalen, steht aber auch für Ruhe im gegenwärtigen Augenblick, für Anfang und Neubeginn. Ein Wort noch zu dem Umlaut ü in „wüsste / verrückt“. Er zählt zu den dunklen Vokalen, ist aber ein Zwischenlaut zwischen einem u (dunkler Vokal) und einem e (heller Vokal), erkennbar daran, dass wir für ein ü ab und an ein ue schreiben, und vermittelt den Einruck der Ambiguität, will sagen, das lyrische Ich befindet sich im Übergangsbereich von zwei verschiedenen Gefühlen. Die Alliterationen in „was wenn / ganz geliebt“ sehe ich. Auch verschiedene Assonanzen und Konsonanzen, die allesamt für die Sprachmelodie mit verantwortlich zeichnen. „wissend / der Weg strahlt weiter / unter dem Boden den ich begehe / wissend / deine Hand berührt mich“ Auffallend in dieser Strophe der Wechsel von der Möglichkeitsform zum Wissen, inneren Wissen. Überwiegend wird diese Strophe von hellen Vokalen, e, i, dominiert. Dem Vokal a weise ich hier besonders die Bedeutung eines Neubeginns, Anfangs zu. Die gesamte Strophe drückt dies ja aus. Auch überwiegen weiche Konsonanten, wenngleich das harte, scharfe t sowie der Reibelaut s in „strahlt weiter“ auf eine immer noch vorhandene Ambivalenz hindeuten. Ganz besonders tritt dies in der Anapfer (Repetitio) „wissend“ durch die Schärfe des Doppelkonsonanten ss zutage. Schön die Alliteration in „wissend / Weg / weiter“ sowie „Boden / begehe / berührt“. Wessen Hand in der Strophe gemeint sein könnte, lässt sich schwer sagen. Eine menschliche Hand wäre denkbar. Auch eine metaphysische. Tod entspringt den Klüften /weist mich weiter /Sinn und Durst / zerreiben mich / unter zarten Schleiern „Klüfte“ assoziiere ich hier mit unüberwindlichen Gegensätzen, die den Tod der bisherigen Umstände nach sich ziehen. Das innere Bedürfnis nach etwas Neuem, einer radikalen Veränderung, kommt gut in dem Bild „Sinn und Durst“ zum Ausdruck. Insgesamt ist diese Strophe dunkeler als die vorherige. Zwar gibt es die hellen diphthongischen Vokale ei in „weist / weite / zerreiben, gleichzeitig in diesen Wörtern aber das harte, scharfe t, den Reibelaut s in „weist“, das harte z in „zerreiben“ sowie an gleicher Stelle den harten Doppelkonsonant r, zudem das dunkle o in „Tod“, in „entspringt“ das reibende, scharfe, harte spr, auch noch das harte ch in „mich“, der harte Trigraph rst mit dem dunklen u in „Durst“. Ingesamt drückt die Strophe das Zerreiben gut aus, da hilft „unter zarten Schleiern“ nur bedingt, da auch in „zarten Schleiern“ Härte und Reibung demonstriert wird. (harte z, r, t, Reibe-Zisch-Trigraph sch. Allenfalls ein Unentschieden sehe ich, da der weiche Diphthong ei in „Schleiern“ noch ein wenig gegensteuert. der Stein im Herzen / ist / nicht zu tragen / allein Das Resümee bedarf keiner weiteren Erklärung. Allein auf diesem Weg ist es äußerst schwierig. Das drückt sich auch in diesem Abschlussvers vokalisch und konsonantisch aus, da nicht nur helle, sondern auch dunkle, nicht nur weiche, sondern auch harte Elemente zum Tragen kommen. Gefällt mir, dein Gedicht, liebe Jutta. HG H. PS: Evtl. Rechtschreibfehler wurden absichtlich eingefügt! Kommentar geändert am 18.07.2019 um 07:41 Uhr Kommentar geändert am 18.07.2019 um 07:43 Uhr"

17.07.19 - Kommentar zum Text  Der monotone Ruf von Tauben von  Artname: "Mir gefällt der Songtext. Kann ich gut nachempfinden. BG H."

13.07.19 - Kommentar zum Text  Kunst von  juttavon: "Liebe Jutta, ich reiche noch einige Gedanken zu deinem schönen Gedicht nach. Sprachliche Besonderheiten spare ich mal aus, da sie sich eh wiederholen. Aber sehr melodisch, dein Gedicht. „das Fremde sind wir / staunen an unseren Rändern“ „Tat twam Asi – das bist du!“ stammt aus dem vedantischen Hinduismus. „Du bist das“- was durch dich wahrgenommen wird. Du bist all das. Das alles ist deine wahre Natur. Du bist die Gesamtheit deiner Erfahrungen. Du bist nichts anderes als das, was gerade ist. Das Absolute ist identisch mit Dir und dem was durch Dich erfahren und erkannt wird. Das bist Du. Tat twam Asi. “Wenn die eine innere Substanz aller Dinge im eigenen Innern erkannt ist, dann werden die verschiedenen Masken, die sie annimmt, transparent. Jedes Verstehen, jede Sympathie und jede Liebe beruht auf der wesenhaften Identität des Erkenners und des Erkannten. Hass entsteht nur aus der Illusion der Verschiedenheit.“ „unsere Nacht hat ihr Recht / tastet nach Tod und Schönheit / weckt den Traum / den wir in die Wüste schickten / lichte Momente erklingen / durch die Nacht des Anderen“ Ohne jetzt an dieser Stelle jedes einzelne Bild deines Gedichts zu interpretieren, einige Anmerkungen, die den Zusammenhang mit deinen Versen deutlich machen sollen und hoffentlich erkennbar sind. Um mit Oscar Wilde zu sprechen: „Ein wirklicher Künstler glaubt an sich, weil er ganz und gar er selbst ist. Die Musik schafft uns eine Vergangenheit, von der wir nichts wussten und erfüllt uns mit dem Gefühl von Leiden, die unseren Tränen verborgen geblieben waren. Wir erkranken an den gleichen Leiden wie die Dichter, und der Sänger leiht uns seinen Schmerz“. Ein Maler, den Namen habe ich nicht sicher parat, ich glaube Ismet Polatli, sagte einmal: „Aus der Dunkelheit entsteht das Licht. Ich kann schreien und diese Schreie mit Farbe bedecken! Ein Gedanke, der m. E. auf jegliche Kunst, die diesen Namen verdient, zutrifft. Und zum Schluss noch ein kurzer Auszug aus Borcherts großartigem Text „Das ist unser Manifest“, welches er 26-jährig schrieb, im gleichen Jahr, in dem er viel zu jung verstarb. Für mich immer noch maßgebend, was Kunst im Allgemeinen und Literatur/Lyrik im Besonderen anbelangt. „Wer schreibt für uns eine neue Harmonielehre? Wir brauchen keine wohltemperierten Klaviere mehr. Wir selbst sind zu viel Dissonanz. Wer macht für uns ein lilanes Geschrei? Eine lilane Erlösung? Wir brauchen keine Stilleben mehr. Unser Leben ist laut. Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns Geduld. Wir brauchen die mit dem heißen heiser geschluchzten Gefühl. Die zu Baum Baum und zu Weib Weib sagen und ja sagen und nein sagen: laut und deutlich und dreifach und ohne Konjunktiv. Für Semikolons haben wir keine Zeit und Harmonien machen uns weich und die Stilleben überwältigen uns: Denn lila sind nachts unsere Himmel. Und das Lila gibt keine Zeit für Grammatik, das Lila ist schrill und ununterbrochen und toll. Über den Schornsteinen, über den Dächern: die Welt: lila. Über unseren hingeworfenen Leibern die schattigen Mulden: die blaubeschneiten Augenhöhlen der Toten im Eissturm, die violettwütigen Schlünde der kalten Kanonen - und die lilane Haut unserer Mädchen am Hals und etwas unter der Brust. Lila ist nachts das Gestöhn der Verhungernden und das Gestammel der Küssenden. Und die Stadt steht so lila am nächtlich lilanen Strom. Und die Nacht ist voll Tod: Unsere Nacht. Denn unser Schlaf ist voll Schlacht. Unsere Nacht ist im Traumtod voller Gefechtslärm. Und die nachts bei uns bleiben, die lilanen Mädchen, die wissen das und morgens sind sie noch blass von der Not unserer Nacht. Und unser Morgen ist voller Alleinsein. Und unser Alleinsein ist dann morgens wie Glas. Zerbrechlich und kühl. Und ganz klar. Es ist das Alleinsein des Mannes. Denn wir haben unsere Mütter bei den wütenden Kanonen verloren. Nur unsere Katzen und Kühe und die Läuse und die Regenwürmer, die ertragen das große eisige Alleinsein. Vielleicht sind sie nicht so nebeneinander wie wir. Vielleicht sind sie mehr mit der Welt. Mit dieser maßlosen Welt. In der unser Herz fast erfriert. Dann versuche zu sein über deinen lilanen Abgründen. Denn der Morgen, der hinter den Grasdeichen und Teerdächern aufsteht, kommt nur aus dir selbst. Und hinter allem? Hinter allem, was du Gott, Strom und Stern, Nacht, Spiegel oder Kosmos und Hilde oder Evelyn nennst - hinter allem stehst immer du selbst. Eisig einsam. Erbärmlich. Groß. Dein Gelächter. Deine Not. Deine Frage. Deine Antwort. Hinter allem, uniformiert, nackt oder sonst wie kostümiert, schattenhaft verschwankt, in fremder fast scheuer ungeahnt grandioser Dimension: Du selbst. Deine Liebe. Deine Angst. Deine Hoffnung“. Ein wenig lang geworden, aber Du kennst das ja. Meine ausufernden Interpretations-Fantasien. ;-) HG H."

13.07.19 - Kommentar zum Text  morgengrauen von  Artname: "Retourkutschen sind nicht mein präferiertes Beförderungsmittel. Nichtsdestotrotz habe ich mich auch mit deinen Texten ein wenig beschäftigt. ;-) Durchaus inspirierend. Ein Gedicht greife ich mal heraus. Stellvertretend. Dies kurze, lakonische, kondensierte, pointierte Gedicht gefällt mir gut. Rhythmik und Sprachmusikalität sprechen mich nebst Sinnhaftigkeit an. Erinnert mich ein wenig an den expressionistischen Nachkriegs-Lakonismus mit seiner prägnanten Kürze der Rede und seiner Konzentration auf das Wichtigste. Ein gewisses Maß an kryptischer Dunkelheit und Mehrdeutigkeit war diesem ja durchaus auch zu eigen. Den Titel interpretiere ich als eine Wortkomposition aus „morgen“ und „grauen (Entsetzen)“. Ich verfasse ja eher Langgedichte. Aber es gibt viele lyrische Spielarten, die alle ihre eigene Schönheit besitzen. BG H."

13.07.19 - Kommentar zum Text  urzeitgemäss von  Artname: "Hätte mir persönlich noch besser gefallen, wenn du es auf noch mehr Verse umgebrochen hättest. Ein rhythmisch tanzendes Klanggebilde voller Klangfiguren. Sehr schön. Ein Auszug von meiner Profilseite: „und das wort diese lausige zufallshure die an unserem mund hängt um mit jedem von der treue zu flüstern“ – Said: ruf zurück die vögel; 110 Seiten; C.H. Beck Verlag, München – „Ein edler Mensch beurteilt niemanden nur nach seinen Worten. In einer kultivierten Welt blühen Taten, in einer unkultivierten Welt Worte“. (Konfuzius) BG H."

12.07.19 - Kommentar zum Text  Kunst von  juttavon: "Gefällt mir, liebe Jutta. Ich werde mich aber noch eingehender mit dem Gedicht beschäftigen. ;-) HG H."

01.07.19 - Kommentar zum Text  "du musst dein Leben ändern" von  juttavon: "Ein beeindruckendes Gedicht, liebe Jutta, was Sinnhaftigkeit, Sprachrhythmus und Musikalität anbelangt. Auf Stilmittel, die ich durchaus sehe, wie Assonanz und Konsonanz, auch Alliteration stellenweise, gehe ich nicht extra ein, da mir der Versuch einer Deutung wichtiger erscheint. Du musst dein Leben ändern! So lautet die Aufforderung des Titels. Was ist Leben? Das Leben ist kein Konglomerat von vagen, nicht genauen, nicht klar umrissenen, unbestimmten Ereignissen oder Zufällen. Das Leben ist ein Spiegelbild unserer Meinungen, Ansichten, Überzeugungen, Vorstellungen, Wahrnehmungen, Einbildungen, Glaubenssätze, unserer Betrachtungen, unserer Anschauungen. Wenn ich das Leben als unzuverlässig, als böse, gefährlich, als hinterhältig, als nicht vertrauenswürdig, als unkalkulierbar ansehe, werde ich es so erleben. Wenn ich von schamhaften Gedanken beherrscht werde, werde ich beschämt werden, bei schuldhaften Gedanken beschuldigt, etc. pp. Das Leben als Spiegel unserer selbst, wenngleich verzerrt durch unsere Projektionen. Das Problem ist, viele unserer Überzeugungen schlummern im Unbewussten. „ich stoße ja nicht an dich / wenn Glas an Glas wir seufzen“ Nein, du stößt nicht an mich, ich stoße stets an mich selber. Und umgekehrt. Was zusammenstößt und das Glas u. U. zersplittern lässt, sind unsere Projektionen, unser Projizieren auf andere. Ein gemeinsames Seufzen sollte nie aus dem Auge verlieren, dass es zuallererst ein Seufzen über sich selbst ist. „das Glas so rissig ist / Gefahr für überschwemmte Sinne / fliehenden Sinn“ Glas als Sinnbild der Transparenz und des himmlischen Elements, will sagen, der Aufhebung aller Grenzen, aller vermeintlich unvereinbaren Gegensätze, ein Bild für eine metaphysische Dimension, aber durchaus auch ein Bild für den tieferen, wahren Zustand des Menschen. Das Glas ist nicht rissig. Wir spiegeln uns nur darin. Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Teilen: der eine Teil symbolisiert Gefahr oder Risiko, der andere Chance. D.h. eine Krise ist eine gefährliche Chance. Wenn wir die Chancen von Krisen erkennen und nutzen, dann können wir uns weiterentwickeln und wachsen. Zufälle sind Illusion. Alles hat potenziell Sinn und kann wachstumsfördernd sein. Aber nicht alles Tun ist zwangsläufig sinnvoll. Um den „fliehenden Sinn“ zu erkennen, bedarf es Achtsamkeit, Selbsterkenntnis, Bewusstwerdung. Die Sinne sind die Pforten unserer Wahrnehmung. Wahrnehmung erschafft u. a. die Welt. Unsere Sinne können überschwemmt sein, überflutet, sowohl von geistigen wie materiellen Belangen. Der unsachgemäßen Umgang damit birgt Gefahr. Eine Saite, die zu straff gespannt ist, reißt. Eine Seite, die zu schlaff gespannt ist, klingt nicht. Der Weg der Mitte ist anzuraten. Im Folgenden möchte ich etwas zum Titel sagen: Wenn ihr euch (selbst) erkennt, dann werdet ihr erkannt werden. Wenn ihr euch aber nicht erkennt, so seid ihr in Armut und ihr selbst seid die Armut. Das steht im apokryphen Thomasevangelium. Ähnlich die einstige Inschrift am Apollotempel von Delphi: Erkenne dich selbst. Konkreter der Ausspruch Jesu im NT: Auf Griechisch lautet diese Aufforderung "Metanoiete!" Damit ist wörtlich „Umkehr" gemeint. Wenn Jesus also Menschen zur Umkehr aufruft, dann will er, dass seine Zuhörer zunächst erkennen, wie ihr Leben verläuft. Sie sollen sich selbst erkennen. Wer umkehren soll, soll etwas Bestimmtes an sich erkennen, nämlich, dass das eigene Leben in eine falsche Richtung verläuft. Sonst macht die Aufforderung keinen Sinn. Hier schließt sich der Ring zu deinem Gedichttitel. „Du musst dein Leben ändern“. das neuzeitlich entdeckte Ich / taucht in die Stärke des Du oder Wir / oder fremd Du nimmst Bezug auf S. Freuds „ICH“. Näher darauf einzugehen, sprengt hier den Rahmen. Der Weg kann nur sein: Vom ICH zum DU zum WIR. Das Ich ist nur eine vorübergehende Chimäre, die aber für unsere Entwickelung notwendig ist. „was bleibt dass wir uns trauen können / einfach für manche Tiere zu schreien / oder schreiben oder überschreiten“ Tiere stehen allgemein für Triebe, Instinkte, Leidenschaften und Begierden, für alles das also, was man als primitiv ablehnt, aber doch nicht übermäßig unterdrücken darf. Grob gesagt ist es das „ES“ in Freuds Strukturmodell der Psyche. „Zu schreien“ interpretiere ich mit akzeptieren, als zu sich gehörend wahrnehmen, als ein nicht verdrängen bzw. unterdrücken. Das Unterdrückte, Verdrängte schreit sinnbildlich. Tiere stellen Energiefelder aus den Tiefen der Seele dar und repräsentieren unsere Triebe und Instinkte, die von unserem Über-Ich, jene durch die Erziehung entwickelte und als eine Art Richtschnur der Kontrolle dienende, regulierende Instanz der Persönlichkeit verurteilt und durch Selbstbestrafung sogar sanktioniert werden können (S. Freud). Hier rede ich nicht einem zügellosen Ausleben das Wort, vielmehr einer Umgestaltung bzw. Transformierung. Dass das nicht von heute auf morgen geht, dürfte klar sein. Zu Beginn steht auch hier das Erkennen. „was bleibt dass wir uns trauen können / Eine Umkehr am Grunde unseres Bewusstseins ist vonnöten. Wir können uns nicht nur trauen, wir müssen uns trauen, wenn wir uns bewusstseinsmäßig entwickeln wollen. Durch unsere Schatten zum Selbst zu gelangen im Sinne von Jungs Individuation. Eine Veränderung unserer Überzeugungen und Glaubenssätze, aber auch unserer Worte, unseres Denkens ist notwendig. Unsere Gedanken haben mehr Macht, als wir uns vorstellen wollen. Transformation ist der Weg, das Gedicht nennt es „überschreiten“. Dein Gedicht enthält eine Fülle von in die Tiefe reichenden Gedanken, liebe Jutta. So lese ich es zumindest. Für mich ist es ein sehr starkes Gedicht. Ich habe mal einen gewagten Interpretationsversuch gemacht. HG H."

01.07.19 - Kommentar zum Text  erinnern von  juttavon: "Gefällt mir sehr gut, liebe Jutta. Da du die Interpretation vorweggenommen hast, bleibt mir diese Arbeit diesmal erspart. Ich wäre allerdings zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt. ;-) Was die Sprachmusikalität und den Rhythmus anbelangt, habe ich nicht das Geringste auszusetzen. Feiner Sprachfluss, hervorgerufen durch die assonantischen und konsonantischen Klangfiguren. Fein. HG H."

25.06.19 - Kommentar zum Text  aufgeben von  juttavon: "Starkes Gedicht, liebe Jutta. Bild- und sprachmächtig. An wen sich das lyr. Ich auch immer wenden mag, womöglich an sich selbst, festzuhalten bleibt: "Alles Fleisch ist Gras, das Gras ist verdorrt, fürwahr, das Volk ist Gras! Der Mensch, wie Gras sind seine Tage; wie die Blume des Feldes, also blüht er. Denn ein Wind fährt darüber, und sie ist nicht mehr, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. Menschen blühen aus den Städten hervor wie das Kraut der Erde; die Gesetzlosen sprossen wie Gras und blühen. Euer Herz aber wird sich freuen, und euere Gebeine werden sprossen wie das junge Gras." So heißt es in den alten Schriften. Diesen Zustand der Endlichkeit aller Dinge in ihrem jetzigen Zustand beschreibst du in starken Bildern zu Beginn deines Gedichts. So lese ich es. Das mag das natürliche Lebensende sein, eine schwere Krankheit oder aber eine tödliche Erkrankung. Wie auch immer, wann auch immer, dieses Ende steht fest, darüber mag unser kluges und teils überhebliches Reden und Tun, unser Anhäufen von was auch immer, unser Streben nach Nichtigkeiten eine Zeit lang hinwegtäuschen. Es ändert letztlich daran nicht das Geringste. Da du offensichtlich auf Camus’ „Mythos vom Sisyphos“ anspielst, möchte ich einige Aussagen daraus voranstellen, da sie für meine Interpretation wichtig sind. „Sisyphos ist der Held des Absurden. Dank seiner Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Hass gegen den Tod und seine Liebe zum Leben haben ihm die unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustandebringt. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Ein Leben ohne eine spirituelle Ausrichtung ist m. E. ein absurdes, widersinniges Leben, wobei der Begriff „absurd“ aus dem Lateinischen kommt und misstönend, unrein klingend bedeutet. Den Begriff „Klang“ hatten wir ja kürzlich erst in einem deiner Gedichte. In einer absurden Welt des Existenzialismus, wie sie u. a. auch von Camus postuliert wird, mögen obige Aussagen folgerichtig sein. Nichtsdestotroz sind es m. E. Aussagen eines im Denken verirrten Menschen, die ich nicht in letzter Konsequenz ernst nehmen kann und will, wenngleich ich Camus als Literaten durchaus zu schätzen weiß. Die auch davon zeugen, dass er, Camus, niemals wirklich an diesem Punkt der allertiefsten Verzweifelung und des tiefsten Schmerzes gestanden hat, denn dort, wo nichts mehr Sinn zu machen scheint, ertönt ein anderer Klang, der Urklang, der jedem Menschen innewohnt, der uns durchtönend ruft. Es sei denn, dieser Klang liegt unter einem Riesenfelsblock verschüttet, wo er ungehört verschallt. Und dieser Zustand ist das Gegenteil von Glück, er verdient größtes Mitleid. Es ist die Hölle des Sisyphos. In einer Endlosschleife den Stein den Berg hinaufzuwuchten, welch trübes Schicksal. Da hilft alle philosophische Verbrämung nichts. Wenngleich wir uns alle hinterfragen sollten, welche Steine wir endlos im gleichen Trott stets auf dieselbe Art fortbewegen. Dem möchte ich ein Gedicht von Zenetti gegenüberstellen. „Mir ist ein Stein vom Herzen genommen: meine Hoffnung die ich begrub ist auferstanden wie er gesagt hat er lebt er lebt er geht mir voraus! Ich fragte: Wer wird mir den Stein wegwälzen vom dem Grab meiner Hoffnung den Stein von meinem Herzen diesen schweren Stein?“ (Lothar Zenetti) Und nun kehre ich zu deinem Gedicht zurück. „wo er seinen Stein den Berg hinaufrollt fragt keiner nach den Worten die übrig geblieben aus dem Staub entfliehen“ In dieser absurden Welt des Existenzialismus, des Sisyphos, wie Camus ihn sieht, ist kein Raum für Worte eines Lothar Zenetti. Niemand fragt danach, dabei sind sie es, die alleinig Nachhaltigkeit aufweisen, von Dauer sind, wenn alles zu Staub zerfallen ist. Wo sie ungehört bleiben, entfliehen sie allerdings. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht“. (Psalm 121) Auf dem gleichen Berg, an dem Sisyphos sein elendes Steinerollen vollführt, ist potenziell auch das Göttliche zu finden. Aber eben nur für den, der danach fragt. Manch einem mögen solche Gedanken noch absurder erscheinen als Camus’ Thesen. Jedem seinen eigenen Sisyphos. Oder das Gegenteil. Wir haben viel Zeit zu lernen. Sehr viel Zeit. HG H."

Diese Liste umfasst nur eigenständige Textkommentare von Habakuk. Threads, in denen sich Habakuk an der Diskussion zu Textkommentaren anderer Leser mit Antworten bzw. Beiträgen beteiligt hat, findest Du  hier.

 
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Habakuk hat übrigens nicht nur Kommentare zu Texten geschrieben, sondern auch  einen Autorenkommentar,  einen Gästebucheintrag und  3 Kommentare zu Teamkolumnen verfasst.

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