begrenzt

Gedicht zum Thema Liebe und Sehnsucht

von  juttavon

was wenn es ganz geliebt
mein Herz ergriffen
sich erkannt wüsste
verrückt nach Leben
irren müsste

wissend 
der Weg strahlt weiter 
unter dem Boden den ich begehe
wissend 
deine Hand berührt mich

Tod entspringt den Klüften
weist mich weiter
Sinn und Durst
zerreiben mich
unter zarten Schleiern

der Stein im Herzen
ist
nicht zu tragen
allein

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Kommentare zu diesem Text


 Habakuk (17.07.19)
Feines Gedicht, liebe Jutta, sowohl von der sprachlichen als auch der stilistischen Umsetzung her.

Der Titel gibt mir einen ersten Hinweis. „Begrenzt“, will sagen, das lyrische Ich befindet sich in einer befristeten, beschränkten, eingeschränkten, eingeengten Situation. Welche das auch immer sein mag. Da kommen mir verschiedene Assoziationen in den Sinn, mag sein, dass es sich um eine Beziehung handelt. Aber auch jedwede andere einschränkende Lebenssituation wäre denkbar.

„was wenn es ganz geliebt / mein Herz ergriffen / sich erkannt wüsste / verrückt nach Leben“

Das spirituelle Herz ist der Haupteingang zur inneren Welt, der Treffpunkt von zwei Welten: der äußeren Welt, der Welt des Körpers, und der inneren Welt, der Welt der Seele. Das lyr. Ich spricht im Konjunktiv, der Möglichkeitsform. Die Sehnsucht ist spürbar.
Die Ambivalenz dieser einengenden Situation wird bereits in der ersten Stophe verdeutlicht, einerseits durch die weichen, stimmhaften Konsonanten n, w, g, l, die Assoziationen von Harmonie, Weichheit, Sanftheit, Leichtigkeit, Helle, und auch Weiblichkeit avozieren, andererseits durch die harten, scharfen Konsonnanten r, z, k, bzw. den Reibelaut f als Doppelkonsonant in „ergriffen, das doppelte s (Reibelaut) in „wüsste“ in Verbindung mit dem harten t, in „verrückt“ den Reibelaut v sowie das scharfe doppelte r, das harte t und scharfe ck, welche allesamt eher Disarmonie, Dunkelheit, Schwere, Härte, Unruhe, Distanziertheit, Kälte, Wut, Verspanntheit, Verengung, Drückendes avozieren.
Analog den obigen Ausführungen haben die hellen Vokale e und i in “wenn es ganz geliebt / mein Herz ergriffen“, etc. pp., die gleiche Wirkung. Das a sehe ich häufig in der ersten Strophe, es zählt einerseits zu den dunklen Vokalen, steht aber auch für Ruhe im gegenwärtigen Augenblick, für Anfang und Neubeginn.
Ein Wort noch zu dem Umlaut ü in „wüsste / verrückt“. Er zählt zu den dunklen Vokalen, ist aber ein Zwischenlaut zwischen einem u (dunkler Vokal) und einem e (heller Vokal), erkennbar daran, dass wir für ein ü ab und an ein ue schreiben, und vermittelt den Einruck der Ambiguität, will sagen, das lyrische Ich befindet sich im Übergangsbereich von zwei verschiedenen Gefühlen.
Die Alliterationen in „was wenn / ganz geliebt“ sehe ich. Auch verschiedene Assonanzen und Konsonanzen, die allesamt für die Sprachmelodie mit verantwortlich zeichnen.

„wissend / der Weg strahlt weiter / unter dem Boden den ich begehe / wissend / deine Hand berührt mich“

Auffallend in dieser Strophe der Wechsel von der Möglichkeitsform zum Wissen, inneren Wissen. Überwiegend wird diese Strophe von hellen Vokalen, e, i, dominiert. Dem Vokal a weise ich hier besonders die Bedeutung eines Neubeginns, Anfangs zu. Die gesamte Strophe drückt dies ja aus. Auch überwiegen weiche Konsonanten, wenngleich das harte, scharfe t sowie der Reibelaut s in „strahlt weiter“ auf eine immer noch vorhandene Ambivalenz hindeuten. Ganz besonders tritt dies in der Anapfer (Repetitio) „wissend“ durch die Schärfe des Doppelkonsonanten ss zutage.
Schön die Alliteration in „wissend / Weg / weiter“ sowie „Boden / begehe / berührt“.
Wessen Hand in der Strophe gemeint sein könnte, lässt sich schwer sagen. Eine menschliche Hand wäre denkbar. Auch eine metaphysische.

Tod entspringt den Klüften /weist mich weiter /Sinn und Durst / zerreiben mich / unter zarten Schleiern

„Klüfte“ assoziiere ich hier mit unüberwindlichen Gegensätzen, die den Tod der bisherigen Umstände nach sich ziehen. Das innere Bedürfnis nach etwas Neuem, einer radikalen Veränderung, kommt gut in dem Bild „Sinn und Durst“ zum Ausdruck.
Insgesamt ist diese Strophe dunkeler als die vorherige.
Zwar gibt es die hellen diphthongischen Vokale ei in „weist / weite / zerreiben, gleichzeitig in diesen Wörtern aber das harte, scharfe t, den Reibelaut s in „weist“, das harte z in „zerreiben“ sowie an gleicher Stelle den harten Doppelkonsonant r, zudem das dunkle o in „Tod“, in „entspringt“ das reibende, scharfe, harte spr, auch noch das harte ch in „mich“, der harte Trigraph rst mit dem dunklen u in „Durst“.
Ingesamt drückt die Strophe das Zerreiben gut aus, da hilft „unter zarten Schleiern“ nur bedingt, da auch in „zarten Schleiern“ Härte und Reibung demonstriert wird. (harte z, r, t, Reibe-Zisch-Trigraph sch. Allenfalls ein Unentschieden sehe ich, da der weiche Diphthong ei in „Schleiern“ noch ein wenig gegensteuert.

der Stein im Herzen / ist / nicht zu tragen / allein

Das Resümee bedarf keiner weiteren Erklärung. Allein auf diesem Weg ist es äußerst schwierig. Das drückt sich auch in diesem Abschlussvers vokalisch und konsonantisch aus, da nicht nur helle, sondern auch dunkle, nicht nur weiche, sondern auch harte Elemente zum Tragen kommen.

Gefällt mir, dein Gedicht, liebe Jutta.

HG
H.

PS: Evtl. Rechtschreibfehler wurden absichtlich eingefügt!

Kommentar geändert am 18.07.2019 um 07:41 Uhr

Kommentar geändert am 18.07.2019 um 07:43 Uhr

 juttavon meinte dazu am 19.07.19:
Vielen Dank, lieber H., für Deinen dichten und nahen Kommentar.
Wieder eine Freude!

HG Jutta
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