Gustav Freytag:
Soll und Haben
Roman
Eine Rezension von Quoth
„Wer von Haus aus den Anspruch an das Leben macht, zu genießen und seiner Vorfahren wegen eine bevorzugte Stellung einzunehmen, der wird sehr häufig nicht die volle Kraft behalten, sich eine solche Stellung zu verdienen. Sehr viele unserer alten angesessenen Familien sind dem Untergange verfallen, und es wird kein Unglück für den Staat sein, wenn sie untergehen. Ihre Familienerinnerungen machen sie hochmütig ohne Berechtigung, beschränken ihren Gesichtskreis, verwirren ihr Urteil.“
Mit diesen – und noch härteren – Worten lehnt der Großkaufmann Schröter das Ansinnen seines Korrespondenten Anton Wohlfahrt ab, dem in Schulden geratenen Freiherrn von Rothsattel zu helfen. Er übt vernichtende Kritik an einem Adel, der, wenn er aus wirtschaftlichen Gründen zugrunde geht, mit Recht zugrunde geht, weil er nicht bereit oder unfähig ist, sich an Goethes Wort zu halten: „Was du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Arbeit ist dem Adel fremd, und dass der Roman „Soll und Haben“ rund 100 Jahre lang ein bevorzugtes Geschenk an 14Jährige war, liegt sicher auch daran, dass dieses Buch ein Hohelied auf Fleiß und Arbeit ist.
Seit Fontanes Kritik ist viel geredet worden über den Antisemitismus in Freytags Roman „Soll und Haben“ von 1855, insbesondere im Zusammenhang mit Rainer Werner Fassbinders Plan, aus dem Roman eine mehrteilige Fernsehserie zu machen. Dieser Plan ist bekanntlich gescheitert, und das sicherlich auch, weil Fassbinder in seinem Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ gezeigt hatte, dass er sich nicht scheute, mit antisemitischen Klischees zu hantieren. Nachdem das „Nie wieder!“ zum Holocaust zur Staatsraison der Bundesrepublik geworden war, konnte der WDR es sich 1977 nicht leisten, auch nur einen Hauch von Antisemitismus aus einem Werk der Vergangenheit zu übernehmen.
Ein zweites Problem des Romans ist die Selbstverständlichkeit, mit der er die preußisch-österreichische Vorherrschaft über das geteilte Polen aus kulturell zivilisatorischer Überlegenheit rechtfertigt und die deutsche Kolonisation Richtung Osten verherrlicht. Auch die Slawen waren von den Nazis als „Untermenschen“ behandelt worden, auch hier fürchtete der WDR mit Recht, sich auf vermintes Gelände zu begeben.
Aber der Roman hat eine dritte Stoßrichtung, die so gut wie unbeachtet blieb: Die oben angetönte vernichtende Kritik an der vielfach regelrecht parasitären Lebensform des Adels. Das blieb unbeachtet, weil seit dem ersten Weltkrieg der Adel seine Privilegien weitestgehend verloren hatte, das Problem schien erledigt zu sein. Aber der Adel litt und leidet sehr unter dieser Zurücksetzung und war und ist dankbar dafür, dass es Freiherrn und Grafen nicht nur im Offiziersstand der Wehrmacht, sondern auch im Widerstand gegen Hitler gegeben hatte. Da konnte die Verfilmung eines Romans, in dem der Freiherr von Rothsattel, ein im Versuch wirtschaftlichen Denkens sich hoffnungslos verheddernder Lebemann, eine wichtige Rolle spielt, nicht besonders hilfreich sein. Auch das mag bei der Ablehnung von Fassbinders Projekt nicht unwirksam gewesen sein; denn der, der es verwarf, der damalige Intendant des WDR, war Friedrich Wilhelm Freiherr von Sell, und Rat mag er sich bei seinem Vorgänger als WDR-Intendant geholt haben, Klaus von Bismarck, Erbherr auf Jarchlin und Kniephof in Pommern, Urgroßneffe von Otto von Bismarck, dem „Eisernen Kanzler“, den der erzliberale Freytag als „dämonischen, unberechenbaren Gewaltmenschen“ publizistisch bekämpft hatte.
Fassbinder und sein Dramaturg Peter Märthesheimer hatten ein Ideologiepapier zur Umgestaltung von Hirsch Ehrental und Veitel Itzig, der Shylocks in Freytags Roman, verfasst, sie wollten sie ihrerseits auch als Opfer gesellschaftlicher Zwänge darstellen, und sicherlich hätten sie auch hervorgehoben, dass der Lehrmeister des kriminellen Itzig der deutsche Winkeladvokat Hippus ist. Ein Drehbuchentwurf lag bereits vor. Aber Freiherr von Sell lehnte das Projekt ab, ohne Ideologiepapier und Drehbuchentwurf auch nur gelesen zu haben … Er rechtfertigte das so: "Der Roman von Gustav Freytag ist in weiten Bereichen Inkarnation und Ausformung antisemitischer und antislawischer Ressentiments und Unmenschlichkeiten." Auf diese Weise ist Fassbinders wohl ehrgeizigster Plan gescheitert, und es ist durchaus möglich, dass daraus eine der wichtigsten Fernsehserien der noch jungen Bundesrepublik geworden wäre, die bis heute zwischen Anti-Antisemitismus und Zweifeln an israelischer Machtpolitik mühselig ihren Weg sucht. In dem Aufsatz „Gehabtes Sollen – gesolltes Haben“ hat Fassbinder sich bitterlich über die Grenzen beklagt, die das Fernsehen der Kunstfreiheit setzt.
“Soll und Haben“ ist auch heute noch, 170 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ein spannend und unterhaltsam zu lesender Roman voller nostalgischer Details aus dem Kaufmannswesen, denen wieder zu begegnen mir großen Spaß macht – zugleich aber auch ist es bedrückend, Überzeugungen darin eindrucksvoll, fast mitreißend geschildert zu finden, die den Werdegang Deutschlands nur allzu fatal mitbestimmt haben.
Mit diesen – und noch härteren – Worten lehnt der Großkaufmann Schröter das Ansinnen seines Korrespondenten Anton Wohlfahrt ab, dem in Schulden geratenen Freiherrn von Rothsattel zu helfen. Er übt vernichtende Kritik an einem Adel, der, wenn er aus wirtschaftlichen Gründen zugrunde geht, mit Recht zugrunde geht, weil er nicht bereit oder unfähig ist, sich an Goethes Wort zu halten: „Was du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Arbeit ist dem Adel fremd, und dass der Roman „Soll und Haben“ rund 100 Jahre lang ein bevorzugtes Geschenk an 14Jährige war, liegt sicher auch daran, dass dieses Buch ein Hohelied auf Fleiß und Arbeit ist.
Seit Fontanes Kritik ist viel geredet worden über den Antisemitismus in Freytags Roman „Soll und Haben“ von 1855, insbesondere im Zusammenhang mit Rainer Werner Fassbinders Plan, aus dem Roman eine mehrteilige Fernsehserie zu machen. Dieser Plan ist bekanntlich gescheitert, und das sicherlich auch, weil Fassbinder in seinem Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ gezeigt hatte, dass er sich nicht scheute, mit antisemitischen Klischees zu hantieren. Nachdem das „Nie wieder!“ zum Holocaust zur Staatsraison der Bundesrepublik geworden war, konnte der WDR es sich 1977 nicht leisten, auch nur einen Hauch von Antisemitismus aus einem Werk der Vergangenheit zu übernehmen.
Ein zweites Problem des Romans ist die Selbstverständlichkeit, mit der er die preußisch-österreichische Vorherrschaft über das geteilte Polen aus kulturell zivilisatorischer Überlegenheit rechtfertigt und die deutsche Kolonisation Richtung Osten verherrlicht. Auch die Slawen waren von den Nazis als „Untermenschen“ behandelt worden, auch hier fürchtete der WDR mit Recht, sich auf vermintes Gelände zu begeben.
Aber der Roman hat eine dritte Stoßrichtung, die so gut wie unbeachtet blieb: Die oben angetönte vernichtende Kritik an der vielfach regelrecht parasitären Lebensform des Adels. Das blieb unbeachtet, weil seit dem ersten Weltkrieg der Adel seine Privilegien weitestgehend verloren hatte, das Problem schien erledigt zu sein. Aber der Adel litt und leidet sehr unter dieser Zurücksetzung und war und ist dankbar dafür, dass es Freiherrn und Grafen nicht nur im Offiziersstand der Wehrmacht, sondern auch im Widerstand gegen Hitler gegeben hatte. Da konnte die Verfilmung eines Romans, in dem der Freiherr von Rothsattel, ein im Versuch wirtschaftlichen Denkens sich hoffnungslos verheddernder Lebemann, eine wichtige Rolle spielt, nicht besonders hilfreich sein. Auch das mag bei der Ablehnung von Fassbinders Projekt nicht unwirksam gewesen sein; denn der, der es verwarf, der damalige Intendant des WDR, war Friedrich Wilhelm Freiherr von Sell, und Rat mag er sich bei seinem Vorgänger als WDR-Intendant geholt haben, Klaus von Bismarck, Erbherr auf Jarchlin und Kniephof in Pommern, Urgroßneffe von Otto von Bismarck, dem „Eisernen Kanzler“, den der erzliberale Freytag als „dämonischen, unberechenbaren Gewaltmenschen“ publizistisch bekämpft hatte.
Fassbinder und sein Dramaturg Peter Märthesheimer hatten ein Ideologiepapier zur Umgestaltung von Hirsch Ehrental und Veitel Itzig, der Shylocks in Freytags Roman, verfasst, sie wollten sie ihrerseits auch als Opfer gesellschaftlicher Zwänge darstellen, und sicherlich hätten sie auch hervorgehoben, dass der Lehrmeister des kriminellen Itzig der deutsche Winkeladvokat Hippus ist. Ein Drehbuchentwurf lag bereits vor. Aber Freiherr von Sell lehnte das Projekt ab, ohne Ideologiepapier und Drehbuchentwurf auch nur gelesen zu haben … Er rechtfertigte das so: "Der Roman von Gustav Freytag ist in weiten Bereichen Inkarnation und Ausformung antisemitischer und antislawischer Ressentiments und Unmenschlichkeiten." Auf diese Weise ist Fassbinders wohl ehrgeizigster Plan gescheitert, und es ist durchaus möglich, dass daraus eine der wichtigsten Fernsehserien der noch jungen Bundesrepublik geworden wäre, die bis heute zwischen Anti-Antisemitismus und Zweifeln an israelischer Machtpolitik mühselig ihren Weg sucht. In dem Aufsatz „Gehabtes Sollen – gesolltes Haben“ hat Fassbinder sich bitterlich über die Grenzen beklagt, die das Fernsehen der Kunstfreiheit setzt.
“Soll und Haben“ ist auch heute noch, 170 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ein spannend und unterhaltsam zu lesender Roman voller nostalgischer Details aus dem Kaufmannswesen, denen wieder zu begegnen mir großen Spaß macht – zugleich aber auch ist es bedrückend, Überzeugungen darin eindrucksvoll, fast mitreißend geschildert zu finden, die den Werdegang Deutschlands nur allzu fatal mitbestimmt haben.
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