Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Donnerstag, 18. Februar 2021, 13:07
(bisher 769x aufgerufen)

PHILIP K. DICKS LEBEN UND WERK – EIN KURZER ABRISS (Teil 1)

von  Dieter_Rotmund


Gastkolumne von   Wolfgang Weimer (Graeculus)

Mutter

Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.

(Gottfried Benn)

Philip Kindred Dick wurde am 16. Dezember 1928 als Sohn eines Beamten im US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium, mit Namen Joseph Edgar Dick, und seiner Ehefrau Dorothy in Chicago geboren. Ein für ihn traumatisches Erlebnis (obgleich er zunächst nicht viel davon wird mitbekommen haben), war es, daß seine Zwillingsschwester Jane Charlotte bereits am 26. Januar 1929 starb – offenbar in Folge einer Vernachlässigung durch ihre mit den Zwillingen überforderte und vom Vater der Kinder im Stich gelassene Mutter.

Es bedarf eines Psychoanalytikers, um die Wirkung dieses Ereignisses auf Philip zu deuten; jedenfalls ist es später zwischen ihm und seiner Mutter immer wieder beredet worden. Eine weitere Wirkung bestand im Zerbrechen der Ehe der Eltern, so daß Philip ohne Vater aufwuchs und sich von ihm verlassen fühlte. Als psychologischer Laie vermute ich, daß Philips zeitlebens schwieriges Verhältnis zu Frauen und seine Unsicherheit in menschlichen Beziehungen mit diesen Erfahrungen zu tun haben. Auch spielte eine imaginierte Spielgefährtin wohl eine große Rolle in Philips Jugendzeit. Neben seiner Zwillingsschwester ist Philip K. Dick auch begraben.

Philip scheint der Mutter, die ebenfalls schriftstellerische Neigungen hatte und gerne las, sehr ähnlich gewesen zu sein, und zeit ihres Lebens galt die Beziehung beider als sehr eng, wenngleich alles andere als unkompliziert. Die „stolze, intelligente, grausame, mißtrauische, verletzende“ Muttergestalt (so eine Charakterisierung Philips) hat das Bild der für ihn attraktiv wirkenden Frauen geprägt.

Nach mehreren Umzügen zogen Dorothy und Philip 1938 nach Berkeley; und von da an lebte Philip bis zu seinem Tode in Kalifornien. Früh lernte er dort auch Psychiater bzw. Psychotherapeuten kennen, die ihn sein Leben lang begleiteten. Außerdem schrieb er Geschichten und Gedichte, z.B. mit vierzehn Jahren seinen ersten Roman, dessen Manuskript freilich verlorengegangen ist.

Bereits auf der High-School lernte Philip Deutsch, und seine Beziehung zur deutschen, später auch lateinischen und griechischen Sprache, damit auch zur klassischen abendländischen Kultur erscheint mir für einen Kalifornier auffallend. So konnte es passieren, daß er in höchster existentieller Not, vereinsamt in der Psychiatrie in Vancouver, schreibend plötzlich ins Deutsche und Lateinische wechselte.

Schon während seiner High-School-Zeit jobbte Philip in einem Laden für Unterhaltungselektronik (wie man heute sagen würde), also für Radios, Fernseher und Schallplatten. Die dort begründete Liebe zu Musik und Technik (speziell zu Reparaturen) wie auch das Verhältnis zu seinem Chef spielen in seinem literarischen Werk eine erkennbare Rolle.

Noch bevor Philip im Herbst 1949 ein Episode gebliebenes Studium (mit Philosophie als Hauptfach) aufnahm, hatte er 1948 – im Alter von neunzehn Jahren – eine Ehe geschlossen. Es war die erste Ehe von insgesamt fünf, und alle wurden geschieden. Der Altersabstand zu seinen Partnerinnen wurde immer größer, und in manchen Phasen seines Lebens hat Philip, so mein Eindruck, sich geradezu wöchentlich in eine andere Frau verliebt.

1952 hat Philip seine erste Geschichte veröffentlicht: „Roog“. Es handelt sich nicht um eine SF-Geschichte im eigentlichen Sinne, sondern geht um einen Hund in der Nachbarschaft, der das Wirken der Müllmänner gründlich mißversteht. Die Geschichte versetzt sich in die Welt des Hundes, und dieser Versuch, das Fremde zu verstehen, blieb typisch für ihn.

Im Laufe der Jahre wurden ca. 200 Kurzgeschichten daraus, die überwiegend der SF zuzurechnen sind und zu denen ca. 40 Romane kommen, von denen nur die SF-Romane zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden; er hat aber auch immer wieder mal einen Mainstream-Roman geschrieben. Vorträge und Aufsätze, Tagebuchaufzeichnungen (speziell solche, die sich mit seinen beiden Gotteserlebnissen befassen) sowie ein kleines, keinem Genre zuzuordnendes Werk über seine Beziehungen zu Frauen und zur Liebe („The Dark Haired Girl“) runden das Gesamtwerk ab. Lediglich das in der Jugend betriebene Schreiben von Gedichten hat er offenbar aufgegeben.

Ruhm erlangte Philip zu Lebzeiten lediglich im subkulturell daherkommenden Bereich der SF, was ihm nicht lieb war und worauf sich auch nur schwer eine materielle Existenz gründen ließ, die Frauen, Ex-Frauen und Kinder miternährte. Philip hat auch deshalb immer viel geschrieben und schnell, zu schnell geschrieben, weil er nicht nur psychisch, sondern auch materiell um sein Leben schrieb. Kurz vor seinem Tode erlebte er freilich noch den Beginn seines über die SF-Szene hinauswachsenden Ruhms, als Ridley Scott seinen Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ verfilmte und unter dem Titel „Blade Runner“ einen der besten SF-Filme überhaupt schuf. Mit großer Aufregung verfolgte Philip die Entstehung des Films. Kurz vor dem Abschluß der Arbeiten fiel er einem Schlaganfall zum Opfer.

Seitdem sind mehrere weitere Texte Dicks von bekannten Regisseuren verfilmt worden: „We Remember It for You Wholesale“ unter dem Titel „Total Recall“ von Regisseur Paul Verhoeven; „Minority Crime“ unter dem Titel „Minority Report“ von Steven Spielberg, „Paycheck“ von John Woo, „A Scanner Darkly“ von Richard Linklater sowie „The Man in the High Castle“ als Serie bei Amazon. Wie man hört, hat Hollywood sich schon für zahlreiche weitere Werke die Rechte vertraglich gesichert.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Graeculus (18.02.21)
An Dieter:
„The Man in the High Caslte“ geht auf meine Kappe. Kannst Du das bitte noch ändern?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 18.02.21:
Ist erledigt.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 18.02.21:
Zu den Filmen: "Blade Runner" (1982) ist toll, ebenso "A scanner darkly" (2006). „Minority Report“ (2002) ist Tom-Cruise-Schund,
"Screamers" (2009) finde ich noch recht ordentlich.

 Graeculus schrieb daraufhin am 18.02.21:
Deinem Urteil stimme ich zu. Und an "Total Recall", das Du nicht erwähnst, scheiden sich die Geister. Eine gute Idee (von PKD), aber ich mag Arnold Schwarzenegger nicht.

 FrankReich äußerte darauf am 24.02.21:
Das macht gar nichts, den gibt es mittlerweile als Remake mit Colin Farell.
Terminator (41) ergänzte dazu am 04.03.21:
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 Graeculus meinte dazu am 05.03.21:
Ist gut gemacht, die Originalversion von "Total Recall" - nur daß ich Arnold Schwarzenegger nicht gerne sehe. Außerdem ist er ganz und gar nicht der Prototyp einer PKD-Figur.

 Judas (18.02.21)
Hach Philip K. Dick...
ja. Große Inspiration, auch für mich.
"Bladerunner" ist wohl mein Favorit und ich mag auch Bladerunner 2049 sehr. Vor allem die Ästhetik beider Filme ist einfach einnehmend... sind eben auch wirklich was für große Leinwände, wo wir beim Thema Kino wären. Aber auch so eine faszinierende Dystopie, die dort dargestellt wird.
Sehr spanned weil ich gerade sehr in dem Spiel Cyberpunk 2077 stecke und man an vielen stellen sieht, wo Bladerunner drin steckt.

 Graeculus meinte dazu am 18.02.21:
Welch eine angenehme Überraschung!
"Cyberpunk 2077" kenne ich nicht, wie Du Dir denken kannst, aber es freut mich, daß PKDs Ideen immer noch fruchtbar sind.
Es gibt ja vieles, was eigentlich er in die SF eingeführt hat; z.B. daß wir Gehirne in einem Tank oder sind und uns in einer Illusionswelt bewegen, ist ein typischer PKD-Einfall.
Manche machen ihn sogar für "Matrix" 'verantwortlich', aber das geht wohl eher auf "Welt am Draht" von Daniel F. Galouye zurück.

 Judas meinte dazu am 18.02.21:
Oh so überraschend ist das nicht ;) Bin ja auch bekennender Lovecraft fan, zum Beispiel.
Einige Russen sind ja auch ganz groß in Sachen SciFi. Die Strugazki Brüder, zum Beispiel.
Aber es ist wohl kaum abzustreiten, dass vieles der dystopischen SciFi Philip K. Dick zu verdanken ist. Selbst in den alten "Alien" Filmen kann man seinen Einfluss spüren, finde ich.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 19.02.21:
Visuell ist "Blade Runner" (1982) jedoch klar Fritz Langs "Metropolis" (1927) nachempfunden. Was kein Manko ist.

 Judas meinte dazu am 19.02.21:
Find ich ehrlich gesagt gar nicht, also wirklich gar nicht. Und ich hab beide Filme oft genug gesehen.

 Graeculus meinte dazu am 19.02.21:
Nein, da sehe auch ich keinen Zusammenhang. Vielleicht kannst Du das erläutern?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 24.02.21:
Ganz klar ist das Stadtbild stark nachempfunden.

Habe beide Filme im Kino gesehen.

 Judas meinte dazu am 24.02.21:
Also "ganz klar" finde ich das schon mal nicht. Man kann sicherlich Vergleiche ziehen und sehen, wenn man es will, das geht ja aber fast immer und überall.
Aber es gibt ein Buch von Paul Sammon über das making of von Blade Runner und da heißt es, dass Ridley Scott's Inspirationen hauptsächlich bei den comics von Moebius, Bilal und anderen, die bei Heavy Metal liefen, lag.
Metropolis hatte dabei nur einen sehr periphären Einfluss, aber das Stadtbild kommt ganz klar aus den Heavy Metal Comics (und der Stadt Tokyo).

Habe beide Filme mehrfach im Kino gesehen.
Und zu Hause.
Und dann noch mal im Kino.
(Falls das jetzt ein Penisvergleich wird: ich hab Metropolis sogar mehrfach mit live Musik im Kino gesehen.)
Und Moebius Comics gelesen.
Und making of Bücher zu beiden.

Ich bin ein SciFi nerd.

 FrankReich meinte dazu am 24.02.21:
Metropolis habe ich leider noch gar nicht gesehen, aber da ich Science Fiction mag, interessierte mich Deine Behauptung schon. Dabei stieß ich auf die Studie "Metropolis vs. Blade Runner" von John Coulthart, die unter anderem beinhaltet, dass beide Filme (fast) mit einer Kampfszene über den Dächern der jeweiligen Stadt enden. Näher habe ich mich damit jetzt nicht befasst, schätze jedoch, dass er bei dem Vergleich noch mehr, wahrscheinlich besonders visuelle Ähnlichkeiten, entdeckte, denn schließlich hat "Metropolis" Vorbildfunktion für Science Fictionäre. 🥳

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 24.02.21:
@Judas: "Metropolis" mit Live-Musik im Kino! Beneidenswert, du hast den Schwanzvergleich gewonnen!

Ich halte Comics für überbewertet in ihrer angeblichen Vorbildfunktion, aber das ist nur (m)eine Meinung.

 Judas meinte dazu am 24.02.21:
Tja, dann hälst du Ridley Scott auch für überbewertet, denn wie gesagt, er hat selbst gesagt, dass seine Inspiration in Comics liegen. Dass du natürlich absolut keinen Plan hast, wer Moebius überhaupt IST und was sein enormer Einfluss auf die SciFi Welt war/ist, sondern wahrscheinlich denkst, dass das sowas wie Superman oder Batman ist, ist mir bewusst.
Du bist schließlich kein Freund davon, deinen Horizont zu erweitern.

(Vielleicht wäre Graphic Novel auch der bessere Begriff gewesen, um es von Comics wie Mickey Maus usw zu distanzieren)

Und ja, ein Freund von mir spielt Klavier und ist mittlerweile professioneller Begleiter für Stummfilme. Hab ihn damals oft bei seinen Auftritten besucht, Metropolis war halt häufig gespielt, aber er hat alles Mögliche an Stummfilmen begleitet. Von Buster Keaton bis Die Pistole.

Antwort geändert am 24.02.2021 um 15:07 Uhr

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 24.02.21:
Nun ja, Ridley Scott ist ein ordentlicher Mainstream-Regisseur, dessen Werk mal so, mal so ist. Blade Runner (1982) und Thelma und Louise (1991) gehören sicher zu seinen Highlights, aber es gibt auch die furchtbare Kitsch-Schmonzette A Good Year (2006) oder das völlig überinszenierte Kingdom of Heaven (2005).

 Judas meinte dazu am 24.02.21:
Er hat aber auch Alien gemacht. Großartiger SciFi Film.
Davon abgesehen wollte ich nur eines: dir aufzeigen, dass du Unrecht hast.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 21.04.21:
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 Judas meinte dazu am 21.04.21:
Nein, ganz im Gegenteil, du bist da ziemlich nah an der Wirklichkeit.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 24.04.21:
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Dieter Wal (58)
(21.04.21)
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