Zeilen

Gedicht

von  JohannPeter

Aus deinen Augen, Händen

las ich dich

aus deinen Gesten, unbedacht beredt

und finde meinen Reim

wo ich dein Wort

den Klang aus andrer Sprache

jetzt noch nicht versteh.

 

Und sucht das Auge jenseits

trüber Scheibe gelber Zelle

festen Punkt, beginnt

(da gerad´ ein Rauschen in der Muschel

ans Ohr gepreßt, ganz fern

verhaltnen Atem nur verrät)

zwischen gedachten Zeilen

hinter krauser Stirn ein Leben:

Worte, wie weißbekränzte Wellen

die einen Strand belagern und vergehn

und immer neu ihn fluten

um zurückzuweichen.

Fast eins im andern, aber doch nicht gleich

und ohneinander

für sich selbst vergebens -

kein Spiegel füreinander, doch

lebendig und bei sich:

bewegt um eines andern Lebens.

 

So les ich noch

aus ungesagten Zeilen: dich

da ich im gelben Sprechgehäuse frier.

Wo keine Geste dich erklärt

kein Blick umschreibt

umschreib ich dich

mit mir.




Anmerkung von JohannPeter:

Die Romantik der Telefonzellen ist dem Smartphone samt Videoanruf zum Opfer gefallen.

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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (12.05.23, 12:08)
Lieber JohannPeter,

also auf eine Telefonzelle wäre ich nie gekommen Die gelbe "Zelle" ließ mich zwar anfangs an ein Telefongespräch denken, aber das habe ich dann schnell wieder verworfen. Technik so lyrisch? 

Aber ich finde Dein Gedicht super schön. 

Herzliche Grüße hinein in Deinen Tag

Alma Marie

 JohannPeter meinte dazu am 12.05.23 um 13:54:
Liebe AlmaMarie, wo geht es hier um die Poesie/Lyrik von Technik? Dein erstes Gefühl (Telefongespräch) war ja schon richtig. Und warum hast du das Gefühl verworfen? Hast du ihm nicht vertraut?

Ich gestehe, daß meine poetische Konfession eher auf tradierte, um nicht zu sagen: konventionelle, Momente setzt. Ein Freund meinte bei einer Werkstattlesung einmal, wer nicht bereit oder imstande ist, sich für ein Adjektiv auch mal eine Nacht lang zu besaufen, sei kein Lyriker.
Was meinte er? Nichts weniger, als daß im Schreiben und Verstehen von Lyrik der so genannte "reine" Verstand nichts verloren habe, er aber dennoch viel gewinnen könne.

Was findest du an dem Text so schön?

Herzliche Grüße retour - JohannPeter.

Antwort geändert am 12.05.2023 um 15:12 Uhr
Graeculus (76) antwortete darauf am 12.05.23 um 17:04:
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 AchterZwerg schrieb daraufhin am 13.05.23 um 06:39:
Zu deinem neuen Foto:
Wir nähern uns optisch an, Graec! :D

 AchterZwerg (12.05.23, 17:00)
Eine sehr schöne letzte Strophe! <3 

Ganz so romantisch sind mir die gelben Einraumwohnungen allerdings nicht in Erinnerung geblieben.
Zweimal habe ich dort meine Geldbörse vergessen und einmal raubte mir die mein Nachschwaller aus der lila Latzhose (die trug man damals). :D

Gern zu Besuch gewesen
der8.
Graeculus (76) äußerte darauf am 12.05.23 um 17:06:
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Graeculus (76) ergänzte dazu am 12.05.23 um 17:14:
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 JohannPeter meinte dazu am 12.05.23 um 17:31:
@Graeculus - Geschmack ist privat, Stil ist persönlich. 1753 prägte de Comte de Buffon vor der franz. Akademie den Satz "Le style est l'homme même." - weißt du freilich.
Tatsächlich ist das nicht jedem bewußt, ebensowenig wie die besonderen Verhältnisse von Fühlen, denken und reden. Insofern wäre dann die Suche nach dem Wort u.U. eine nach sich selbst. Da sind Verstand und Gefühl nicht gut trennbar.

 JohannPeter meinte dazu am 12.05.23 um 17:34:
@Achterzwerg - danke fürs Kompliment zum Text. Es gibt zum gleichen Motiv einen zweiten Text, der eine andere Seite davon abbildet. Ich sollte ihn einstellen, mal sehen.
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