Alles nur noch Müll, oder was?
Glosse zum Thema Absurdes
von Citronella
In den 1980er-Jahren kam ein Mehrfamilienhaus in der Großstadt – sieben Parteien, ausschließlich Singles oder kinderlose Paare - mit einem einzigen großen Müllcontainer aus, in den damals noch fast alles ohne Mülltrennung versenkt wurde und der trotzdem niemals überquoll.
Mittlerweile ist Mülltrennung und -entsorgung für Einfamilienhausbewohner in der Provinz zum Vollzeitjob geworden. Nach der grauen Restmüll-, der braunen Bio- und der blauen Papiertonne hat sich anstelle der gelben Wertstoffsäcke nun ein besonders hässliches Exemplar mit orangefarbenem Deckel dazugesellt: die Wertstofftonne mit 240 l Fassungsvermögen, die aber auch Pütt und Pann, also ausgediente Töpfe, Pfannen und dergleichen, enthalten darf. Unser Land soll bunter werden. Das gilt offenbar auch für die Müllentsorgung. Vier Tonnen unterschiedlicher Größe passen nicht mehr in ein normales Gartenhäuschen, sondern verzieren jetzt eine ganze Hauswand.
Ein Chip an der Restmülltonne überwacht den Leerungszyklus genau. Man kann Geld sparen, wenn man statt der zweiwöchtlichen nur die vierwöchentliche Leerung wählt, und muss sich vorher noch nicht einmal festlegen. Immerhin.
Während vor einigen Jahren die Leerung der Restmüll- und Biotonne am selben Tag jeder zweiten Woche erfolgte, wurde diese inzwischen zeitversetzt getrennt. So hat man jede Woche etwas davon. Natürlich wird die Papiertonne vierwöchentlich an einem anderen Werktag geleert und die Wertstoffsäcke alle zwei Wochen an noch einem anderen Tag.
Da kann einem schwindelig werden. Man kommt nicht mehr ohne Kalender aus, denn die geänderten Zeiten aufgrund von Feiertagen müssen schließlich auch berücksichtigt werden. Es versteht sich in der heutigen Zeit von selbst, dass man den Abfallkalender nicht mehr wie früher per Post zugestellt bekommt, sondern selbst im Internet fündig werden muss.
Wichtig ist, dass die Tonnen akkurat an den Straßenrand gestellt werden. Ein Kontrolleur lief vor einiger Zeit durchs Viertel und ermahnte die Hausbewohner, die Tonnen nicht in die Straße hineinragen zu lassen. In kurzen Sackgassen, die ein Mülltransporter neuerdings nicht mehr befahren darf, ist man gezwungen, die Tonnen bis zur nächsten Kreuzung zu rollern. Da schnauft Oma Erna, falls sie aufgrund fehlenden Internets überhaupt weiß, wann die Abfuhr erfolgt.
Das ist aber längst noch nicht alles. Bis vor einigen Jahren gab es einmal jährlich eine Sperrmüllabfuhr, zu einem festen Termin, der im Abfallkalender stand. Schon drei Tage vorher kreisten in den Wohnvierteln die Kleintransporter der Trödler auf der Suche nach Brauchbarem. Sorgsam aufgeschichtete Stapel wurden da schon mal komplett auseinandergerissen und durchwühlt. Sehr ärgerlich für die Anwohner. Da ist es doch gut, dass heute jeder Kleinhäusler einen eigenen Termin für seinen Krempel ausmachen muss, die Wartezeit einige Wochen beträgt und so permanent irgendwo irgendwelcher Sperrmüll an der Straße liegt.
Dasselbe gilt für zusätzlichen Grünschnitt, der nicht in die Biotonne passt. Gab es früher eine feste Woche im Herbst, in der die Abfuhr samt Häckseln erfolgte, wird Grünzeug nun für einen geringen Obolus pro Kubikmeter zu jedem gewünschten Termin abgefahren. Die Wartezeit nach telefonischer Anfrage kann allerdings auch hier einige Wochen betragen. Davon abgesehen, darf Grünschnitt natürlich jederzeit auf dem Wertstoffhof abgeliefert werden – bis zu einer gewissen Menge sogar kostenlos. Wer keinen Anhänger oder gar einen Pickup besitzt, wird sowieso nur wenige Beutel im Kofferraum transportieren können.
Geblieben sind Altglas- und Textilcontainer, auch wenn sie im Ort immer weniger werden. Die kann man bequem auf dem Weg zum Einkaufen neuen Mülls ansteuern.
Böse Zungen behaupten übrigens, dass in den Müllverbrennungsanlagen der ganze Krempel sowieso zusammen verbrannt wird. Aber das halte ich für böse Fake News.
Es versteht sich natürlich von selbst, dass bei dieser ganzen Vielfalt die Abfallgebühren in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Wahrscheinlich geht schon ein großer Teil für Verwaltung und Neuerfindung immer neuer Diversifizierungen drauf. Mich würde gar nicht wundern, wenn irgendwann auch noch eine fünfte Tonne dazukäme. Irgendeine weitere Trennung wird man schon erfinden können.