Tiefblaue Augen

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mondsichel

Der alte Mann stürzte zurück in den Salon, wo es kurz polterte und dann wieder absolute Stille einkehrte. Langsam schlich ich die Treppe hinunter und blickte vorsichtig in den großen Raum hinein. Es war noch immer still, nur das Feuer knisterte vor sich hin.
Der Bürgermeister saß in seinem Sessel vor dem Kamin. Er hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und schien zu weinen. Ich war bestürzt. In all der Zeit hatte ich meinen Schwiegervater noch niemals weinen gesehen. Offensichtlich war er wohl doch nicht so kalt wie ich ihn immer eingeschätzt hatte. Ich frage mich nur nach dem Warum, aber ich hielt es für eine schlechte Idee ihn ausgerechnet jetzt danach zu fragen...
Plötzlich spürte ich einen leicht kalten Luftzug im Rücken und jemand hielt mir von hinten den Mund zu, damit ich vor Überraschung nicht losschrie. Die Person zog mich aus der Tür in das Dunkel neben der Treppe. Ich bekam Panik. Wer war das?
Eine tiefe aber doch angenehme Stimme flüsterte zu mir: „Bitte nicht schreien. Ich habe nur etwas vergessen und wollte es mir holen. Keine Angst, ich werde Ihnen nichts tun!“ Ich nickte und merkte wie sein Griff locker wurde. Langsam drehte ich mich um, doch die Person war nicht mehr zu sehen. Ich hörte nur ein Atmen in der Dunkelheit, ein leises Klimpern und schließlich stand die Person wieder vor mir.
Durch den leichten Lichtschein, der aus dem Türspalt von draußen kam, sah ich tiefblaue Augen im Gesicht dieses Schattens funkeln, die ein Leuchten in sich hatten, das mir so unendlich bekannt vorkam. Irgendwie versank ich in diesen Meeren die mir dort entgegenpeitschten. Doch er riss mich abrupt aus meinen Gedanken.
„Habt Dank Fremde, ich werde Euch dies niemals vergessen. Und wenn ich kann werde ich es Euch eines Tages vergelten...“ Mir kam es vor als würde er lächeln, auch wenn ich in der Schwärze nichts erkennen konnte.
Er kam ganz nah an mich heran und dann spürte ich seine weichen Lippen auf meiner Hand. Sein Kuss erschien mir wie ein heißes Feuer auf der Haut und mein Herz pochte mir bis in den Hals. Und obwohl ich nur seinen Schatten sehen konnte, war ich doch unheimlich fasziniert von diesem geheimnisvollen Gentlemen.
Schließlich verneigte er sich vor mir im Dunkel und ging zur Tür.
„Auf bald Fremde, möget Ihr so glücklich werden wie Ihr es verdient.“
„Auf bald Fremder...“ hörte ich meine Stimme sagen. Ich selbst war irgendwo in fernen Sphären verschollen. In Gedanken versunken starrte ich noch lange auf die Tür, die längst wieder verschlossen war. Ich taumelte die Treppe hinauf und legte mich zu Samuel ins Bett, der von meiner Abwesenheit nichts mitbekommen hatte. Meine Wangen brannten vor Erregung. Dieses Ereignis hatte mich doch sehr verwirrt...

Die Zeit verging, ich hing meinen Träumen nach, in denen ich immer wieder diese tiefblauen Augen im Lichtspalt sah und diese Stimme hörte.
Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, aber es war um mich geschehen. Ich liebte Samuel abgöttisch und doch hatten mich neue Gefühle für einen anderen Mann erfüllt. Seltsamerweise wurde unser Liebesleben davon eher noch beflügelt und es war beinahe so, als hätte ich Samuel gerade erst kennen gelernt.

Doch es verließ mich niemals die Sehnsucht danach, nur noch ein einziges Mal diesen fremden Mann zu sehen, seine Stimme zu hören und seine Lippen auf meiner Haut zu verspüren. Es knisterte gewaltig in meinem Inneren und es war, als wäre „die wilde Luzie“ wieder neu an das Licht des Tages getreten...
Die Zeit des Schlafes war vorbei. Ich ging wieder in unserem Gasthaus arbeiten, was Familie Brockheim zwar nicht verstand, aber dennoch schließlich akzeptieren musste. Es war ein gutes Gefühl wieder selbst anzupacken, denn den ganzen Tag mit Nichtstun zu verbringen war ich leid. Ich entschuldigte mich am Grabe meines Vaters bei ihm, dass ich mein Versprechen gebrochen hatte und versprach mich zu bessern.
Nun war ich zwar ein Teil der Familie Brockheim, aber ich war auch ein Teil meiner eigenen Familie, ein Teil der Stadt und ein Teil dieses Lebens. Ich war wieder glücklich, denn der goldene Käfig hatte mich nicht mehr in seinem Bann...

Eines Tages erzählte mir Samuel in einer unbedachten Minute von seinem jüngeren Bruder Jonathan. Wie sie früher immer an den Stränden der weiten Meere Piraten gespielt hatten. Wie sie die Bediensteten ärgerten und welch schöne Kinderzeit sie doch verbracht hatten, als ihre Mutter noch lebte.
Ihr Name war Francesca gewesen, eine ganz bodenständige Frau aus dem Volke mit einem Herzen voller Leidenschaft und Feuer. Sie war Spanierin gewesen und hatte den großen Traum von der wirklichen Freiheit immer vor Augen gehabt...
Bernard Brockheim war damals so verzaubert von der jungen Frau gewesen, dass er um ihre Hand angehalten hatte und sie schließlich heiratete. Samuel und Jonathan wurden geboren, sie erzog sie im Sinne der Leidenschaft, so wie sie es eben selbst fühlte. Doch auch sie raffte die Tuberkulose in einer schönen Sommernacht dahin.
Der alte Brockheim hatte daraufhin wohl versucht seine Söhne für das Geschäft zu gewinnen, was seine Frau zu Lebzeiten immer abgelehnt hatte. Samuel folgte seinem Vater, während Jonathan seine Freiheit haben wollte. In einer kalten Winternacht ist er mit seinen Sachen von zu Hause verschwunden und heuerte an einem Schiff als Seemann an. Seit dem hätte man nichts mehr von ihm gehört.
Samuels Blick war voller Sehnsucht als er von seinem Bruder sprach und mir war klar, dass in ihm eine tiefe Trauer lebte. Ich fragte nicht weiter nach, aber ich ahnte das Samuel seinen Bruder um dessen Freiheit beneidete und ihn gerne wieder gesehen hätte...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Kapitel 4, "Das Haus am Meer" wird morgen veröffentlicht :)

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(04.07.06)
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 Mondsichel meinte dazu am 04.07.06:
*lächel* Ganz lieben Dank für Deine lobenden Worte. Die Geschichte ist ja noch lang nicht vorbei. Und wer der geheimnisvolle Fremde ist, das wird sich auch bald aufklären *g*
Derweil träumen wir einfach weiter von "Tiefblauen Augen" *lach* :))
Liebe Grüßle an Dich Anne,
Deine Arcy
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