Es war mir, als wären mir eiserne Fesseln angelegt und das mich ein wilder Sklaventreiber mit seiner Peitsche wieder zurück an die Arbeit schlagen würde. Ich stand am Heck des Schiffes und blickte traurig auf das Land, das ich nun im Begriff war zu verlassen. Eine Träne der Trauer fiel in das riesige Meer und ich versank in Melancholie. Ich weiß nicht wie lange ich dort in mir versunken gestanden habe, aber es war wohl lange genug um die drohende Gefahr nicht zu bemerken...
Ein anderes Schiff hatte sich genähert und auf einmal hörte ich Geschrei. Erschrocken blickte ich mich um und entdeckte das nahe Schiff, an dessen Mast eindeutig eine Totenkopfflagge befestigt war. Piraten! Auch das noch! Verzweifelt versuchte ich mich irgendwo zu verstecken, als die Räuber das Schiff enterten.
Es waren mächtige Burschen, schienen Spanier und Afrikaner zu sein. Sie alle waren von großem Wuchs und kräftig gebaut. Sie stürmten mit lautem Gebrüll in den Kampf und machten alles nieder, was ihnen in die Quere kam.
Ich sah die Säbel blitzen, ich sah das Blut der wackeren Seeleute über das Deck spritzen. Es war ein wildes Durcheinander, ein erbitterter Kampf um die Macht der Kontrolle, welche die Piraten schließlich dann doch eroberten.
Am Boden lagen Verletzte und tote Menschen, ein Pulk der um Gnade wimmerte. Doch die Eroberer lachten nur spöttisch und beraubten das Schiff seiner friedlichen Atmosphäre und seiner Schätze. Welch grausames Ende dieser Tag doch für mich übrig hatte.
Schließlich entdeckte mich dann doch einer der Hünen in meinem Versteck und zerrte mich mit Gewalt zu den anderen, die zitternd von den Räubern eingepfercht, auf dem Deck standen. Samuel hielt mich beschützend im Arm und blickte voller Verachtung auf diese Menschen, die ihr Leben mit den Reichtümern anderer bestritten...
In meinen Ohren erklang eine traurige Melodie, die der Doktor immer abends auf dem Piano gespielt hatte und der Wind wehte wild über das Deck. Und dann sah ich ihn, den Piratenhauptmann, der seine Leute kreuz und quer über das Schiff dirigierte. Im ersten Moment erkannte ich ihn nicht. Aber als er dann vor mir stand erkannte ich ihn sofort.
Es war Jo! Kein Irrtum möglich! Es war seine Gestalt, seine Kleidung, seine Schwerter, sein langes schwarzes Haar. Und als seine Augen mich trafen, da war es, als würde er mir sagen, dass dies die Strafe für meine Unehrlichkeit sei. Samuel schob mich hinter sich und stand dann direkt vor seinem Bruder, den er nun sehr entschlossen anblickte...
Er machte eine Handbewegung und die kräftigen Männer packten meinen Ehemann und mich und brachten uns in die Kajüte des Kapitäns. Jo setzte sich an den Tisch, während uns die Männer los ließen und den Raum verließen. Herausfordernd blickte er uns an.
„Warum?“ fragte Samuel den Pirat, der sein Bruder war. Seine Stimme bebte vor Enttäuschung und sein Gesicht war bitter verzerrt.
„Der Ruf der Freiheit hat mich erreicht und ich habe ihr die Hand gereicht. Für seine Freiheit und Unabhängigkeit muss man kämpfen. Man darf nicht stumm verweilen und alles hinnehmen. Man muss leben, lieben, stark sein und sich zu wehren wissen.
Weißt Du, ich hatte immer den Traum frei zu sein. Daheim, mit den strengen Regeln und Vorstellungen von Vater, war mir dies jedoch unmöglich.“
„Jetzt bin ich frei, vogelfrei.“ Seine Augen schienen voller Melancholie und doch voller Entschlossenheit zu sein. Er blickte aus dem kleinen Fenster hinaus auf das Meer, dessen Wellen wie in Blut getaucht erschienen. Gerade ging die Sonne unter.
Samuels Stimme zitterte voller Enttäuschung: „All die Jahre habe ich mich gefragt wo Du bist. All die Jahre habe ich gebetet das Du wieder zurück kommst. All die Jahre habe ich mich danach gesehnt mit Dir wieder reden zu können, wie wir es früher immer taten. Und jetzt, jetzt wünschte ich, ich hätte Dich niemals gekannt.“ Er war voller Wut gegen all die Gefühle die er in sich trug. Er war erfüllt von Schmerz der sich immer tiefer in sein Herz bohrte. Ich konnte spüren wie es ihn innerlich zerriss.
Doch ich blieb einfach nur still und blickte schweigend in Jo’s Augen, in denen wieder diese Sehnsucht wie ein Feuer loderte. Schließlich schlug er mit der Faust kraftvoll auf den Tisch. Wir erschraken und starrten den jungen Mann entsetzt an.
„Du hast es nie verstanden und Du wirst es niemals verstehen Sam. Wie gerne hätte ich mit Dir gesprochen, aber Vater hat es nicht erlaubt. Er wusste was ich tue, er wusste um den Preis meiner Freiheit. Und deshalb hat er mich verstoßen, hat mich des Hauses verwiesen und mir verboten auch nur ein einziges Wort mit Dir zu sprechen.
Ja er hätte mich ausgeliefert wenn ich nicht getan hätte was er verlangte. Er wollte nicht das Du verblendet wirst von meinen Idealen, wie er immer zu sagen pflegte.“ Samuel blickte verstört zu seinem Bruder auf, dem der Schmerz ins Gesicht gezeichnet war.
„Glaubst Du denn auch nur für einen einzigen Augenblick, dass dieses Leben das ihr führt mich glücklich machen könnte? Diese Zwänge, diese Regeln, diese Etikette! Ich habe es schon immer gehasst und ich hasse es immer noch.
Du warst der gelehrige Schüler der ich nie sein wollte. Mutter hatte mir beigebracht, dass es wichtig ist auf sein Innerstes zu hören! Dass man seine Träume verfolgen und leben sollte! Dass man nur dann Freiheit erlangt, wenn man sich entgegen dem Strom der grauen Masse bewegt und seine Ziele konsequent durchsetzt. Auch Freiheit ist ein tägliches Brot, das man sich verdienen muss.“ Samuels Blick wurde wieder wütend.
„Freiheit mit dem Blut anderer Menschen zu verdienen ist eine Sünde. Du bist nicht wirklich frei, Du bist noch immer Sklave Deiner Emotionen, Deiner Gefühle und Wünsche. Bitte lass uns gehen, ich kann Dich auf Deinem Weg nicht begleiten. Deine Freiheit ist mir zu teuer.“ Jo lächelte ihn ein wenig verächtlich an, er war seiner Überzeugung doch sehr verschrieben. Samuel wollte das alles nicht wirklich wahrhaben und startete noch einen verzweifelten Versuch ihn zur Vernunft zu bringen.
„Du wirst noch mal am Galgen landen! Ich verachte zwar das was Du tust, aber ich liebe Dich noch immer. Deshalb bitte ich Dich, hör auf mit diesem Wahnsinn!“ Jo lachte auf.
„Genau das ist es was ich an Dir immer so bewundert habe. Diese Selbstaufgabe für familiäre Dinge. Nichts ist Dir wichtiger als das Ansehen der Familie zu bewahren, damit keine böse Zunge jemals etwas abwertendes sprechen könnte über uns. Aber genau das ist es auch was Dich verletzlich und erpressbar macht. Du bist ein Knecht Deiner Selbst.
Würdest Du nur ein einziges Mal zu mir stehen und akzeptieren wer ich bin, dann würdest Du Dir wahrscheinlich alle Fingernägel dabei abbrechen, nicht wahr? Dafür ist Dir die reiche Arroganz doch schon viel zu viel in Deine Gedanken geflossen und hat Deine Sinne vernebelt.“ Jo stand nun am Tisch. Verächtlich blickte er seinen Bruder an...
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