Monster

Groteske zum Thema Abgrund

von  RainerMScholz

Monster

Ich bin ein Monster. Ich bin es immer gewesen. Naiv zu glauben, ich stünde am Ende einer Kette von Schicksalsschlägen, Unfällen und persönlichen Verstrickungen, ich sei das Resultat einer verkorksten Kindheit oder mochte gerne meinen Erzeuger töten, um ungestört und ohne Nebenbuhler mit Mami schlafen zu können. Mami! Nichts davon. Das ist alles Hirngespinst für die Leichtgläubigen, für diejenigen, die für alles und jedes eine schlüssige Erklärung verlangen müssen, damit ihr Spatzenhirn das fressen kann, was andere liegen lassen. Ich bin ein Monster. Das ist alles. Ich bin nicht wie du.
Monster leben und sterben im Dreck, richten sich ein im Dunkel abseits der, strukturell betrachtet, normalen Welt, weit weg von den Gewöhnlichsterblichen. Monster leben im Zustand der Ungnade. Ich weiß nicht, weshalb das so ist. Aber ich bin ein Monster. Ohne Motiv, ohne Grund, ohne Reue und ohne Gott.
Ich esse Menschenfleisch, wo immer ich es zu finden vermag. Wenn ich mir einen Menschen fange, dann verspeise ich ihn ungekocht mit Haut und Haaren. Ich fresse sein Fleisch, seine Leber, seine Genitalien, seine Extremitäten, sein Gehirn. Aus seiner Epidermis mache ich mir Kleider, aus den Knochen mache ich Musik, eine Flöte vielleicht, auf der spiele ich dann, wenn ich alleine bin, ein sphärisches Lied dem Mond.
Das Leid, die Qual, der Schmerz der Folter, die Pein der Tortur bereiten meinem Herz Genugtuung. Das Grauen eines Wehrlosen verschafft mir einen Schauer des Vergnügens. Ich bin eine Totgeburt aus den Slums der Hölle. Ich bin das Kind, das weggeworfen wurde, ich bin die im Bordell verschwendete Unschuld, ich bin der von Aussatz Befallene, ich bin die Witwe, die mit ihrem Gemahl verbrannt wird, der Vergessene unter dem Wellblechverschlag. Ich bin das notwendige Übel der Welt. Ich bin das Wissen um euer Glück und Wohlergehen, destilliert in kleine Fläschchen, aufbereitet zur täglichen Dosierung, aufgesogen in die Spritze eines Junkies, der die Nacht überstehen will. Mein Geist ist hellwach in seinem Wahnsinn. Ich bin der Auswurf alles Schrecklichen. Und die Menschen hassen mich. Da es Menschen sind, müssen sie mich hassen. So funktioniert ihr Wesen. Sie wissen, dass sie mich im Grunde brauchen, also hassen sie mich noch mehr. Am liebsten wäre es ihnen, es würde mich endlich einer zur Strecke bringen. Allein der Jäger ist noch auf keiner Bildfläche aufgetaucht. Verfemt und ausgestoßen. Alleingelassen. Einsam in der dunkelsten Nacht. Auch das gehört zu ihrem Wesen. Sie wollen mich nicht. Aber ich bin da. Ich fresse kleine rosa Kinder, vergewaltige weiße Frauen zu Tode, ich zünde ihre Häuser über ihren Köpfen an, nachts, wenn alles schläft und der Hunger erwacht. Nachts, wenn ich durch die verlassenen Straßen irre, dräuend bleiern und schwer. Ich bin der Schwarze Mann im Schatten unter der nächsten Hecke. Ich bin der Alptraum in sternenloser Nacht. Ich bin das Wilde, das unversehens hereinbricht und splitternd in die Häuser kracht. Der Tod bin ich und der Leibhaftige. Ich reiße lebendiges Fleisch entzwei und tanze über den Gräbern. Ich bin der Beelzebub im Priestergewand und schlage das Kreuz vor jeder Blasphemie. Die Heilige Inquisition verfolgt mich vergeblich. Brennen werden immer andere.
Ich bin das Brandzeichen der Welt, das Stigma des Bösen. Wenn ihr mich seht, ist es zu spät. Ich bin in jedem und allem. Ich bin du. Ich bin der Gott, der täglich neuersteht. Keine drei Tage vergehen und ich bin zurück von den Toten. Keine Sekunde wird verstreichen. Ich bin in deinen Träumen und du fürchtest dich sehr. Doch dein Verlangen erwartet meine Wiederkehr voll Ungeduld.
Zärtlich schlitze ich deine Kehle auf, der Geschmack deines eigenen Blutes - und hier ist mein Fleisch, esset davon. Ich bin dein Gott und du betest zu mir. Bei jedem tagesanbrecherischen Sonnenstrahl. Danke, oh Herr, dass diese Nacht an mir vorüberging.

(c)  Rainer M. Scholz

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