noch lebt die Erinnerung (Wiener Geschichten III)

Text zum Thema Urlaub/ Ferien

von  tulpenrot

Ihr müsst nicht alles wissen,
was uns begegnete in diesen vierzehn Tagen.
Nicht alles ist erzählenswert.
Doch öffne ich euch gerne kleine Fenster,
zeige euch kleine Momente, wie winzige Tupfer aus der Erinnerung.

Schon unsere Ankunft entsprach nicht dem üblichen Muster.
Wir fanden unseren Weg durch die Stadt nicht.
Schlecht vorbereitet, könnte man meinen.
Unsere Routenplanung hatte versagt.
"Fahren Sie nach Norden und dann in Richtung..."
Woher weiß ich zu nächtlicher Stunde
mitten in den Gassen von Wien
zwischen Opernhaus, Cafe Sacher,
Albertina und Hofburg, wo hier Norden ist?
Sollten wir ihn nicht genießen - den ersten Abend in Wien - auch wenn es eine unfreiwillige Stadtbesichtigung wurde?

Ziemlich verspätet erreichten wir unsere FerienWohnung.
Da hatte sich die Natur zu einem für unsere Ohren sonderbaren Konzert entschlossen:
ein Doppelzirpkonzert für Zikaden und Heuschrecken.
Von da an besuchten sie uns häufig
abends durchs offene Fenster,
saßen unversehens an der Wand
und spielten uns eine kleine Nachtmusik.
Wie Mozart.
Den gab es sowieso an allen Ecken!
In allen Variationen. Mozartjahr.
Wir trugen ihn im Herzen und auf dem T-Shirt.

Wir waren Touristen wie alle anderen.
Nichts Besonderes also.
Eine Teilmenge unter einer Hauptmenge.
Mathematisch völlig unbedeutend.
Wir fuhren in vollen U-Bahnen oder Straßenbahnen,
wir saßen in den Cafes
und bestaunten die imposanten Gebäude,
die Ausstellungen und Kirchen.

Und das jüdische Museum.
Eigentlich gab es dort kaum Ausstellungsstücke
- stattdessen informierten gläserne Schautafeln
über das jüdische Leben in Wien.
Durchschaubar?
Nur noch ein Schauer von Existenz?
Nichts zu "begreifen". Alles ins Wort gepresst.
Nicht am Anfang stand das Wort, sondern am Ende.
Immer noch.

Für den Stefansdom werden wir bei einem nächsten Besuch
besondere Zeit einplanen.
Wir blieben eher draußen,
davor,
bei den Gauklern und lebenden Statuen,
den Straßenkünstlern,
dem Leben.
Wenn Kirche zum Museum wird,
für Vergangenes steht
und das Leben sich draußen abspielt,
dann möchten wir lieber draußen sein.

Wir kauften uns Pralinen
aus dem sonnigen Schaufenster
und wunderten uns,
dass sie nicht schmeckten.
Wie konnten sie auch!

Kann es sein,
dass der Kaffee
um ein Vielfaches besser schmeckt in Wien?
- schon der Name ist Aroma genug -
und dass die Sachertorte
und der Apfelstrudel
nur bei Sacher gut sind,
serviert an ausgesucht kleinen Tischen
von einer Bedienung mit Schürze und Häubchen?
Vielleicht ist es Einbildung.

Ein heftiges Unwetter mit Gewitter und prasselndem Regen spülte uns in ein winziges Lädchen.
Wißt ihr, daher kamen unsere Mitbringsel.
Wir hatten ausgiebig Zeit,
sie für euch auszusuchen.
Der Regen dauerte lang genug.

Einige Wochen später
standen wir in einem uns bis dahin völlig unbekannten Dorf im Schwäbischen
vor einer Gedenk-Säule:
"Dem großen Baumeister der Neugotik Friedrich Freiherr von Schmidt geboren am 23.10. 1825 in Frickenhofen, Professor an der Kunstakademie in Mailand, Dombaumeister am Stephansdom in Wien, Erbauer des Wiener Rathauses, Ehrenbürger der Stadt Wien, gewidmet 12.6.2005 ",
stand in goldenen Buchstaben eingemeißelt darauf. Unglaublich!
So klein ist die Welt!

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Kommentare zu diesem Text


 kirchheimrunner (17.03.07)
Ein Feuilleton der Beobachtungen.

Ein tiefgründiger Titel.

Reiseschriftstellerei in Berichtform.
So oft hast du um Ecken geschaut, ... auch um die Epochen herum und in sie hinein.

Wie ein Wasserfall sprudelte Mozart, oder die Gaukler um den Steffel herum.

Der Kaffe duftet und Torten waren nie so appetitlich.

---> eine Schöne Reise... (ich mag Heredot!)

und am Schluss nocheinmal der Titel.

Noch lebt ... die Erinnerung. Die Welt ist also klein, und doch riesengross... weil es viel zu entdecken gibt. Und:
die Welt zwischen Menschen kann unendlich zu gross sein, oder undendlich zu klein... oder sie kann einfach, die Welt sein...

 tulpenrot meinte dazu am 18.03.07:
Dein munterer Kommentar hat viel Schönes in mir ausgelöst. Ich danke dir sehr dafür. Auch das versteckt untergebrachte Lob - macht mich froh! Nur auf Herodot wäre ich nicht so ganz gekommen .. was ist mit ihm?
(Antwort korrigiert am 18.03.2007)

 kirchheimrunner antwortete darauf am 19.03.07:
Herodot.. er ist doch der Vater der Reiseschriftstellerei.
Ich hab irgendwie einen Faible für ihn. Deine Geschichte erinnerte mich an seine Art zu schreiben und zu berichten.

Das vermutlich schönste Buch, dass ich in letzter Zeit gelesen hatte war:
Meine Reisen mit Herodot von Ryzard Kapuscinski.

http://www.perlentaucher.de/buch/22773.html

Deine Reisebeschreibung hat mich daran erinnert.
Und das Lob, - Angelika - das war angebracht; zweifelsohne!
Jonathan (59)
(17.03.07)
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 17.03.07:
Also für diese Worte ist echt der Platz zu schade, den er verbraucht! Ich bin enttäuscht.
Wenn du dein Missfallen äußern willst, dann tu es wenigstens deutlich. Dies hier ist nichts anderes als ein Verächtlichmachen! Ich hab zum ersten Mal den "Bewertunsgbutton" gedrückt!
Jonathan (59) äußerte darauf am 18.03.07:
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 tulpenrot ergänzte dazu am 18.03.07:
So nehm ich voller Freude dein Lob entgegen ... das hört sich nun doch viel besser an.
Danke dir sehr für die Elräuterung.
Da habe ich deine Kurzbotschaft völlig missverstanden - tut mir Leid!
Ich nehm dich also gerne an die Hand .. lyrisch versteht sich!
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