Das Haus liegt abseits der Straße nach einer Biegung hinter dichten Hecken verborgen. Die Zufahrt ist von wildem Buschwerk flankiert, und das blaue Schild mit dem roten Wendehammer an der Abzweigung kennzeichnet, dass es keine Möglichkeit gibt, hier mit dem Wagen umzukehren. Alles ist dunkel, die Beleuchtung ausgeschaltet. Das mittelgroße zweistöckige Einfamilienhaus mit angebauter Garage und einer weiten, freien Rasenfläche, die sanft zur Terrasse ansteigt, macht einen verwaisten Eindruck. Über dem Giebeldach zeichnet sich das obere Drittel des Vollmondes ab, der die Umgebung in eine schemenhafte Schattigkeit taucht. Jenseits eines silbrig schimmernden Wiesenstücks liegt der Waldesrand in undurchdringlicher Schwärze. Am Namensschild an der massiven Eingangstür des Hauses steht der Name Jungblut. Es hätte allerdings auch jeder andere Name gewesen sein können.
Ziellos strich er, nachdem er sich Zutritt verschafft hatte, durch die nächtlichen Räume des Hauses und sah sich beiläufig interessiert um, streichelte eine Statue, roch an einem gerahmten Pastellfarbenbild, versuchte den Geschmack des Ortes, seine Identität zu spüren, witternd die Atmosphäre seiner Umgebung in sich aufzunehmen, inspizierte den Inhalt des Kühlschranks in der Küche, leckte am Emailrand der Wanne im Bad. Im Wohnzimmer rauschte das Schneebild des laufenden Fernsehers eine blaugraue Monotonie in die Winkel der weißen Zimmerdecke, die von naturbelassenen Holzquerbalken gestützt war.
Er war nackt. Seine Kleider hatte er im Obergeschoss des Hauses gelassen, wo die Leichen einer Frau und eines Mannes nebeneinander lagen. Er starrte an der blanken Fensterfront im rückwärtig gelegenen Teil des Hauses in den Nachthimmel, wo der Mond über dem Wald sein gleißendes Licht über eine stille Silberlandschaft sandte.
Es war noch nicht soweit.
Er drehte sich um und schlenderte in das Kinderzimmer. In der Tür stehend, schaute er auf den blutigen Körper des Kindes hinab, der in grotesker Verrenkung halb aus seinem mit weißlackierten Gitterstäben umrahmten Bettchen hing. Er ging zu dem kleinen, blonden Leichnam, der noch warm war, drückte seine Kiefer auseinander und griff in die Kehle des Jungen. Doch zu seiner Enttäuschung erklang kein Röcheln, kein krampfartiges Zucken eines sich aufbäumenden Körpers war mehr zu spüren. Blind und taub starrte er ins Leere. Er blickte in den Spiegel, vor dem Spielsachen unordentlich aufgeschichtet herumlagen, eine Musikspieldose mit einem sich drehenden Elefanten, zwei Teddybären, ein Clown und einige Spielsoldaten um einen zerbrochenen Panzer.
Dann riss er einen Zeigefinger der Hand des Kindes aus dem Gelenk und tauchte ihn in die zerrissene Bauchdecke und schrieb "Kilroy was here!" an die Spiegelfläche.
Vater und Mutter lagen im Schlafzimmer nackt auf dem Bett. Das Genick des Mannes war gebrochen und seine Schädeldecke zertrümmert. Gehirnbröckchen waren auf den weißen Flor des Teppichs gespritzt und bildeten dort einen grauen zähen Pudding Gewebematerials. In einer letzten Verkrampfung waren seine Fäuste geballt und seine Kiefer zähnebleckend zusammengebissen. Seine Frau lag wie aufgebahrt neben ihm, bleich und beinahe wie lebendig, wie sie dalag und mit offenen Augen ins Ungefähre an die leere Decke sah. Die linke Partie ihres Busens war weggerissen, dessen Fleisch auf dem zerbrechlich wirkenden Abstelltisch zwischen Toilettenartikeln und einem aufgeschlagenen Buch lag. Der Mond hatte nun fast den Scheitel der Parabel erreicht, und sein silbriges Licht verzauberte die Leiche der nackten Frau, die er zu diesem Zweck in die rechte Lage gebracht hatte, parallel zur Nacht. Er legte sich vorsichtig auf sie. Ihre toten Augen starrten unablässig ins Leere, als er ihre Schenkel knackend auseinanderdrückte. Seine Zähne vergruben sich in ihren Hals, als er mit seiner rechten Hand in ihren Brustkorb hineingriff. Dann nahm er die bereitgelegte Nagelschere. Im weißen Licht des Mondes, das in dem schwarzen Blut ihrer Augenhöhlen glitzerte, sah er sich endlich geliebt in seinem Spiegelbild.
© Rainer M. Scholz