Schweinebraten

Innerer Monolog zum Thema Essen/ Ernährung

von  Ganna

Schweinebraten

  Ich kann nicht länger auf den Bildschirm schauen, stehe auf, gehe die Treppe hinunter und mache das Gas unter dem Braten klein. Dann öffne ich die bereitgestellte Creme fraiche und rühre sie sorgsam unter die Soße wie es meine Mutter tat. Inzwischen ist sie glücklicherweise tot. Der Braten dürfte bald gut sein. Ich koste nicht, ich habe keinen Hunger. Ich werde ihn sowieso nicht essen.
  Ich esse nie, was ich koche, sondern werfe es weg. Manchmal bestelle ich eine Pizza oder hole ein Hähnchen. Es interessiert mich nicht, was ich esse. Ich koche, um das verhaßte Essen meiner Mutter ins Klo zu kippen. Wenn Gemüse und Kartöffelchen in den Abfluß gleiten, durchfährt mich eine wohlige Woge. Diese Befriedigung gönne ich mir seit ich erwachsen bin. Nur in diesen Augenblicken bin ich glücklich und fühle eine nachträgliche Überlegenheit. Das sind die Momente, in denen ich weiß, ich habe es geschafft, ich habe sie letztendlich besiegt.
  Hätte ich in ihrem Beisein das von ihr zubereitete Essen hinunterspülen können, wieviel besser wäre es gewesen..., aber diese Gelegenheit ist verpaßt. In jungen Jahren war ich nicht mutig genug, mich gegen sie zu erheben. Mir bleibt heute, mir ihr entsetztes Gesicht vorzustellen, ihre sich empört überschlagende Stimme zu hören und zu fühlen, wie mein Haß sich durch ihre Wut beschwichtigt.
  Das sind die kleinen Momente, für die es mich zu leben lohnt. Nur wenn ich die Töpfe direkt ins Klo entleere und höre, wie die gute Mahlzeit hineinplatscht, Erbschen und Fleischstücke gurgelnd verschwinden, dann fühle ich mich befriedigt und einige Minuten lang ausgeglichen.
  Manchmal mache ich mir die Freude, ein ganzes Menü zu kochen, wie letztes Weihnachten. Da bereitete ich einen feinen Salat mit italienischem Dressing, eine klare Suppe mit Fleischklößcheneinlage, als Hauptgericht Pute mit Grünkohl und Salzkartoffeln, zur Nachspeise Vanilleeis mit Schlagsahne und Eierlikör, worauf sich noch kaffee und Kuchen anschlossen. Es war der Höhepunkt des Jahres. Ganze 14 Minuten benötigte ich, um alles hinunterzuspühlen. 14 Minuten der Wonne und des Wohlbehagens, in welchen ich meine Mutter sich vor Wut überschlagen sah. Daran kann ich mich nicht oft genug erinnern.
  So vergelte ich ihr, was sie mir angetan hat, wie sie mich zwang zu essen, wie es mich zwang zu würgen, wenn wabbeliges Fett mir Pickel bereitete, Zitronensäure Ausschlag und übermäßige Gewürze Blähungen. Sie kannte kein Erbarmen, kein Mitleid. Vor dem überfüllten Teller verbrachte ich Stunden, Tage! Ich durfte nicht aufstehen, bevor nicht alles aufgegessen war. Es war verboten zu sprechen, mit den Füßen zu wackeln, die Hände unter dem Tisch, die Ellenbogen auf dem Tisch zu haben. Und in Afrika verhungern Kinder.
  Und vor dem Haus hörte ich Kinder spielen, ganz normale Kinder.
  Meine Mutter kannte nur ein Ziel, hatte nur einen Ehrgeiz, fett sollte ich werden, fett und unförmig wie sie, werden wie sie. Meine Fülle sollte mich an sie binden als Eigentum ganz und gar, damit sie nie mehr einsam würde. Sie stopfte mich in rosa Seidenkleider, die sie für mich nähen ließ, die Röckchen mit Rüschen besetzt. Prall wie eine Wurst saß ich in der glänzenden Hülle und schämte mich, hätte mich am liebsten zwischen all den Rüschen unsichtbar verkrochen.
  Ich haßte sie so, daß ich zu einem einzigen Haßklumpen wurde, ein fettiger Haßklumpen, der zu nichts fähig war, außer zu hassen, sie und ihre ewigen ekligen Mahlzeiten.
  Ich schleppe mich wieder nach oben vor den Fernseher. Zum Fenster schaut die Sonne herein. Eine kleine Ziege rennt auf sie zu, gefolgt von einer züngelnden Schlange. Weiter hinten trabt ein Schaf ihnen nach. Es ist so zerfleddert, daß es kaum als Schaf zu erkennen ist. Die Sonne empfindet tiefe Gleichgültigkeit gegenüber der Ziege, der züngelnden Schlange und dem Schaf. Selbst als der Kopf der Schlange von ihrem Körper reißt, scheint sie es nicht zu bemerken. Stumpfsinnig starrt sie vor sich hin.
  Im Fernseher zuckt ein Mann vor blauen Sternen mit den Hüften, sperrt dabei seinen Mund weit auf und formt Fischmaulbewegungen. Das ist es. Morgen sollte ich Fisch kochen, Karpfen in Dillsoße mit Petersilienkartoffeln und dazu in Butter gedünsteten Chicoree. Hinterher könnte es Pflaumenkompott geben oder Pudding mit Vanillesoße.
  Ich stemme mich hoch, muß noch in die Küche hinunter, den Braten vom Feuer nehmen und ins Klo schütten.

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Kommentare zu diesem Text


 Manitas (10.10.07)
toller Text irgendwie...aber verdammt derb.
Und Mist, ich hatte so Lust auf Schweinebraten bei der Überschrift - bis ich den Text las....
mhh,
Alles Liebe dennoch, Ramona

 Ganna meinte dazu am 11.10.07:
Vielen Dank fuer Deinen Kommentar und . . .

lass Dir den naechsten Schweinebraten trotzdem schmecken!

liebe Gruesse von Ganna

 apple (12.10.07)
Guter Text. - Hat mir "Spaß" gemacht.

 Ganna antwortete darauf am 12.10.07:
. . . freut mich, soll auch Spass machen!
eldude (29) schrieb daraufhin am 28.10.07:
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Anders (23)
(24.11.07)
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 Ganna äußerte darauf am 25.11.07:
Lieber Anders,
Danke fuer Deinen Komentar, der mich sehr freut!
Ja, ich wollte gleich mit der Tuer ins Haus fallen und so den Leser in den Text hineinziehen. Es ist natuerlich auch eine Moeglichkeit, damit zu warten und . . . aber ich dachte gerade, dass so viel ueber Essen und Kochen geredet wird, dass es mich fast schon langweilt und eine ausfuehrliche Beschreibung des Kochens haette in dem Fall auch mich gelangweilt.
Aber Du hast voellig recht,es waere eine reizvolle Moeglichkeit!
Die Tiere, sind eigentlich Wolken, die an der Sonne vorbeiziehen und sollen einen Hinweis darauf geben, dass es dem Universum gleich ist, was die Frau macht; nicht nur dem Universum, es steht auch fuer Nachbarn usw. Selbst als der Kopf von der Schlange reisst- also die Schlange stirbt -, bleibt nur Gleichgueltigkeit. Andererseits bemerkt die Frau auch nichts von dem, was draussen geschieht.
liebe Gruesse
Ganna
Anders (23) ergänzte dazu am 25.11.07:
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 Ganna meinte dazu am 26.11.07:
ich denke, ein Text, der mit ganzem Herzen geschrieben wurde hat immer die Moeglichkeit, beim Leser anzukommen,

ich gebe da nicht so viel auf spezielle Effekte, natuerlich da, wo sie passend sind, ist es voellig in Ordnung,
Prosodie (30)
(08.12.07)
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 Ganna meinte dazu am 09.12.07:
Nein, ich wollte wirklich niemandem das Essen vermiesen,
das kann ja gar nichts dafuer, das Essen.

Doch es freut mich, dass Du es mit Vergnuegen gelesen hast, es war naemlich eher witzig gemeint, auch wenn der Hintergrund traurig ist.

liebe Gruesse
Ganna
AnnaKarenina (31) meinte dazu am 14.12.07:
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AnnaKarenina (31)
(14.12.07)
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 Dieter_Rotmund (24.10.19)
Gerne gelesen, starker Text, aber das sind immer wieder so "Erklärbär"-Sätze dazwischen, die sehr stören - Wir Leser sind nicht blöd!
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