9: Oktober : Sag zum Abschied leise Servus ......

Tagebuch

von  Raggiodisole

Der Hl. Nikolaus von der Flue würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, wie „höflich“ die Hospitalera morgens die Leute aus der Herberge komplementiert. Keinen Pardon kennt sie, kein Funken Menschlichkeit, als die deutsche Frau fragt, ob sie wenigstens warten dürfte, bis ihr Mann aus Rabanal nachkommt. Nix da, sie soll sich ein Zimmer suchen und dort warten. Wo sie doch kaum laufen kann. Naja, auch so was gibt es auf dem Camino.
Sie geht mit uns in eine Bar vis a vis zum Frühstücken mit. Es ist unser letztes gemeinsames Frühstück mit Gabriele und Antje.
Wir schauen uns auch noch die Ausstellung „Yo Camino“ an, dann heißt es Abschied nehmen. Und er fällt schwer, sehr schwer. Die beiden sind mir sehr ans Herz gewachsen und ich werde sie vermissen. Aber wir sehen uns bestimmt wieder.

Gitti und ich fahren mit dem Bus über Lugo nach Sarría. Schon gestern Abend hat uns ein „netter“ Hospitaleroopa die Abfahrtszeit herausgesucht und uns auch gesagt, dass es bis zum Busbahnhof sehr weit zu laufen ist. Und da unser Abschied sich in die Länge gezogen hat, leisten wir uns ein Taxi dorthin.
Eine Zeitlang fährt der Bus entlang des Caminos und so können wir wenigstens im Geist bis nach Villafranca del Bierzo „gehen“, bevor wir den O Cebreiro links liegen lassen und gen Norden fahren.

In Sarría suchen und finden wir auch sofort die Herberge, die uns Gabi empfohlen hat. Ein Luxusdomizil mit äußerst freundlichen Herbergseltern, ein netter kleiner Innenhof und eine Liegeterrasse. Wir nützen die Gelegenheit und lassen wieder einmal die Wäsche waschen und gönnen uns inzwischen ein köstliches Pilgermenü. Es bleibt auch noch Zeit für ein kurzes Nickerchen auf der Terrasse.
Sarría ist ja der Ort, an dem viele „Kurzzeitpilger“ einsteigen, weil man ja die letzten hundert Kilometer gehen muss, damit man eine Compostela bekommt.

Manchmal so beim Gehen kann ich es immer noch nicht fassen, dass wir schon so weit gekommen sind. In den ersten drei Wochen hat mir oft geträumt, ich schlafe im Herbergsbett ein und werde dann zuhause wach und verstehe nicht, wie dass passieren konnte. Was hab ich denn jetzt geträumt? Dass ich den Camino gehe? Alles nur ein Traum?
Aber wenn ich dann morgens wieder in der Herberge wach werde, ist die Welt wieder in Ordnung. Es ist kein Traum. Ich bin wirklich auf dem Jakobsweg in Spanien unterwegs – und ich möchte keinen einzigen Tag, keinen einzigen Schritt – auch die schmerzvollen – nicht missen.
Heute Nacht hab ich übrigens einen fürchterlichen Schnupfen bekommen, der sich sofort auf die Stirn- und Nebenhöhlen geschlagen hat. Aber er wird mich nicht davon abhalten, auch die letzten 100 km in Angriff zu nehmen. Nicht, wo wir schon so weit gekommen sind!!!
Inzwischen sind auch ein paar andere Pilger zu uns ins Zimmer gekommen. Irgendwie schade, aber auch wieder nicht. So werden wir morgens wenigstens rechtzeitig geweckt. Wir müssen nach Portomarin. Aber wenn Gitti ein Frühstück bekommt und wir rechtzeitig loskommen, dürfte das ja kein al zu großes Problem sein.
Ich geh zeitig ins Bett, verzichte auf das gemeinsame Zusammensein der Pilger im Kaminzimmer. Ich will morgen fit sein.

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