Der gnadenlose Dieter Möchtegern

Satire zum Thema Betrachtung

von  NormanM.

Täglich bekam Dieter Möchtegern tausende von Gedichten, Kurzprosa und Romane zugeschickt. Doch bisher hatte es niemand geschafft, ihn zu beeindrucken. Er galt als gnadenlos in seinem Beruf als Lektor.
Zu verdanken hatte er seinen Beruf dem Zufall, als er eines Tages einem netten alten Herrn von 90 Jahren über die Straße half. Dieser ältere und auch schon leicht senile Herr war von dieser Heldentat so beeindruckt und darüber so dankbar, dass er Dieter fragte, ob er nicht irgendetwas für ihn tun könne. „Nun ja, ich brauche einen Job“, antwortete Dieter. Da stellte sich heraus, dass dieser Mann Besitzer eines Verlages war. Kurzerhand entließ er seinen Enkel, der den Verlag führte und stellte Dieter ein. Er änderte sogar sein Testament, und als er ein paar Wochen später starb, war Dieter der neue Besitzer des Verlages.
Darauf war Dieter so stolz, dass er sein Studium schmiss und beschloss als Lektor Karriere zu machen. „Dieter Möchtegern“ stand auf seiner Visitenkarte und darunter „Lector“. Diese Visitenkarte ließ er massenfertigen und verteilte sie dann persönlich auf der Straße. Stets war er auf der Suche nach neuen Talenten.
Bald häuften sich die Werke. Doch er war knallhart, niemand bekam eine Chance von ihm. Dies teilte er den Schreibern auch immer gern durch seine bescheidenen Kritiken mit. Einmal schrieb er zu einem 180-seitigen Roman, den er nicht einmal bis zur Hälfte durchgelesen hatte, weil er nichts verstanden hatte, eine Kritik von über 300 Seiten. Das musste schließlich sein, wenn jemand auf so einem absolut niedrigem Niveau schrieb, dachte er sich.
Er war einfach der beste. Zwar hatte er selbst noch nie etwas geschrieben, außer Aufsätze in der Schule, von denen kaum einer besser als 4- war, aber er wusste, dass er Talent hatte. Die schlechten Noten in den Schulaufsätzen hatte er nur bekommen, weil die Lehrer völlig inkompetent waren.
Dem Verlag ging es finanziell immer schlechter, da er kein einziges Buch erschienen ließ. Aber was sollte er machen, wenn er nur so niveaulose Texte bekam. Doch er beschloss, den Verlag zu retten, indem er endlich von seinem großen Talent Gebrauch machen und selbst einen Roman schreiben wollte. Ein Bestseller sollte es werden. Massenweise würde das Buch gekauft werden. Aber leider erschien sein Buch nie, nach zehn Seiten gab er auf, weil ihm nichts einfiel. Schließlich ging der Verlag wirklich Pleite, er hatte es geschafft, einen Familienverlag, der über Generationen erfolgreich geführt wurde, zu ruinieren.
Aber immerhin hatte er anschließend erfahren, dass man Lektor mit k schreibt und nicht mit c, wie er es fälschlicherweise die ganzen Jahre geschrieben hatte.
Eines Tages sah er, dass von einigen Leuten, die ihm ihre Werke zugeschickt hatten, Bücher erschienen waren. Er konnte es nicht begreifen. Welcher Verlag konnte nur so niveauloses Geschreibe veröffentlichen.
Irgendwann fiel ihm auch ein, dass er nie begriffen hatte, was eigentlich der Unterschied zwischen einem Roman und einer Novelle war. Es wird wohl dasselbe sein, dachte er sich…

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Kommentare zu diesem Text


 Omnahmashivaya (09.01.08)
Herrliche Satire und ich weiß, an wen sie mich erinnert!! Schön, dass du diesen Text reingesetzt hast. Lg Sabine

 NormanM. meinte dazu am 09.01.08:
Ja, dieser typ wird uns für immer im gedächtnis bleiben. Lg Norman
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