Teil 1
Erzählung
von NormanM.
In der letzten Zeit hatte er viel über sein Leben nachgedacht, über seine Vergangenheit, über seine Zukunft und vor allem über seine Gegenwart, die der Auslöser für seine Gedanken war. Auch an diesem Abend, als er im Bett lag, war er tief in seine Gedanken versunken.
Er sah sich wieder als kleinen Jungen vor sich, wie er in die Schule ging und wie er nachmittags mit Freunden spielte, Freunden aus seiner Schule.
Die Grundschulzeit war eine sehr angenehme Zeit für ihn gewesen, er war ein guter Schüler und hatte viele Freunde.
Irgendwann war er doch zu müde zum Nachdenken und schlief ein.
Er sah sie an. Wie schön sie nur war. Ich muss es ihr sagen, dachte er.
„Weißt du“, fing er an. „Ich habe mich nie getraut es dir zu sagen, aber ich hab dich sehr gern. Nein, nicht nur das, ich liebe dich.“
Sie lächelte ihn an.
„Schön, dass du das sagst, ich empfinde dasselbe für dich!“, sagte sie schließlich. Langsam kamen ihre Lippen näher, bis sie seine schließlich berührten.
In diesem Moment hörte er einen schrillen Ton. Es war sein Wecker, begriff er und wachte gleichzeitig auf. Wieder nur ein Traum, immer nur diese verdammten Träume, dachte er. Warum kann mir so etwas nicht wirklich passieren.
Sieben Uhr. Schon wieder aufstehen, wieder einen harten Tag vor mir, was bin ich froh, wenn er endlich vorbei ist. Er seufzte noch einen Moment, dann stand er schließlich auf und ging ins Badezimmer, um zu Duschen. Dabei nahm er sich Zeit, wer trennt sich auch schon gern von einer warmen Dusche.
Anschließend betrachtete er sich im Spiegel. Da stand er nun: Thomas Schreiner, 19 Jahre alt. Eigentlich war er doch ein recht gutaussehender junger Mann. Er war 1,82 m groß, sportlich, hatte dunkelbraune Haare und blaue Augen. Mit seinem Aussehen war er auch sehr zufrieden, nur eines fehlte ihm: sicheres Auftreten, vor allem in der Schule. Sobald er unter seine Mitschüler und vor allem unter seine Mitschülerinnen kam, zeigte er sich extrem schüchtern und unsicher, oft sogar gar verklemmt. Er konnte einfach nicht offen auf die anderen zugehen, was natürlich einen negativen Eindruck auf viele seiner Mitschüler hinterließ. Das war sein größtes Problem, wie gern wäre er doch wie die anderen.
„Thomas beeil dich, sonst wird es wieder zu spät“, rief seine Mutter, womit er aus seinen Gedanken gerissen wurde.
„Ja, ich bin gleich fertig“, rief er zurück und machte sich daran, seine Haare zu fönen und zu frisieren. Weil es schon so spät war, ließ er das Rasieren heute ausnahmsweise ausfallen, putzte sich noch schnell die Zähne und zog sich an. Schnell warf er noch einen letzten Blick in den Spiegel, um sich zu vergewissern, dass seine Haare auch richtig lagen. Nachdem er sich überzeugt hatte, ging er hinunter.
Sein Vater saß bereits unten und frühstückte.
„Morgen“, grüßte dieser, als er Thomas sah. „Na, einen schweren Tag vor dir?
„Ich würd´ sagen wie immer“, gab Thomas zurück und bemühte sich, seine Morgenmuffeligkeit nicht zu zeigen.
„Noch alles in Ordnung?“, fragte der Vater und klang ein wenig besorgt.
„Ja sicher, aber ich muss jetzt los“, wich Thomas aus.
Besorgt sah Herr Schreiner ihn an. „Können wir uns heute Abend ein wenig unterhalten? Ich meine, wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten. Wenn es dir recht ist?“
„Ja, können wir machen“, erwiderte Thomas und zog sich seine Schuhe an.
„Du hast doch noch gar nicht gefrühstückt!“, stellte die Mutter fest.
„Ich hol mir in der Cafeteria ein Brötchen“, antwortete er schnell, sagte noch kurz „Tschüs“ und verließ das Haus.
Toll, dachte er, als er zur Schule fuhr. Dann kann ich mir ja heute Abend wieder sein Gerede anhören, dann will er wieder alles wissen, das wird ja ein toller Abend werden.
Um 8:05 Uhr erreichte er die Schule, noch fünf Minuten bis Unterrichtsbeginn. Soeben ertönte die Schelle, oh, wie er diesen Ton hasste. Er parkte seinen Wagen und machte sich auf den Weg zum Kursraum, wo er gleich Matte hatte. Noch drei Minuten und die Stunde würde beginnen. Er durfte gar nicht daran denken. Mathe, oh Nein, und dann auch noch zwei Stunden. Seufzend betrat er den Kursraum und ging ohne zu grüßen zu seinen Platz. Er saß neben Max Pannek, der auch genauso aussah, wie er hieß. Er war zwar sehr gut in der Schule, aber dafür oft ein wenig nervig.
„Morgen“, sagte er, als Thomas sich setzte. Mürrisch grüßte Thomas, ohne ihn anzusehen zurück.
„Hast du die Hausaufgaben?“, fragte Pannek.
„Nein.“
„Ich würd mal was dafür tun, sonst kommst du nicht weiter!“
„Ich kann nicht das tun, was ich nicht kann!“ Mehr wollte Thomas nicht sagen.
Soeben betrat Matthias Grünwald die Klasse, einer der obersten Schleimer. Aber damit kam er bestens bei den Mädchen an. Und gut sah er auch aus, groß, etwa 1,87 m, sportlich, dunkle Haare mit einem – wahrscheinlich 50-Euro-Haarschnitt. Auf solche Typen standen die Mädchen halt. Thomas sah zwar eigentlich nicht schlechter aus, aber er konnte einfach nicht so locker sein wie Grünwald. Aber ein Schleimer wie dieser wollte er auch nicht sein.
Unfreiwillig hörte er einen Teils des Gesprächs, was Grünwald mit den anderen führte.
„Kommst du am Freitag auch auf die Fete von Robert?“
„Ja, aber was schenken wir ihm nur?“
„Lasst uns doch heute Nachmittag bei Steffi ein wenig beraten.“
Dieses und Ähnliches bekam Thomas mit, mehr wollte er auch gar nicht mitbekommen. Immer hörte er, wie die anderen ihre Freizeit verbrachten, nur er konnte nie mitreden. Wie gern würde er auch auf Feten gehen und in Discos. Aber das blieb wohl nur ein Traum, stattdessen hatte er ständig nur Leute am Hals, die von so etwas überhaupt keine Ahnung hatten.
Es hatte mittlerweile schon zum zweiten Mal gegongt, gleich würde Herr Hesslings den Raum betreten. Die Mädchen um Grünwald herum gingen in ihre Kurse. Schließlich trat Herr Hesslings ein und alle Schüler gingen zu ihren Plätzen.
Hesslings war ein grauhaariger Mann Anfang 50 von mittlerer Größe, trug einen Spitzbart und eine Brille. Er sprach meistens im ruhigen Ton, so lange er sich nicht aufregte, im letzteren Fall konnte er ganz schön los schreien. Meist wurde er dann auch noch knallrot im Gesicht. Er war eigentlich sehr streng, hatte aber auch Sinn für Humor, auch wenn man es ihm auf dem ersten Blick nicht zutraute.
Heute hatte er wieder seinen Killerblick drauf, als er die Klasse betrat, aber das hatte nichts zu bedeuten. Er stellte seine Tasche ab, holte seine Unterlagen heraus, dann wandte er sich seinen Schülern zu, und sein Blick wurde freundlicher, als er einen guten Morgen wünschte. Aha, er war also gut gelaunt. Ihn störte es auch nicht, dass sein Gruß nur nüchtern erwidert wurde, sondern er kam gleich zur Sache.
„So, dann fangen wir mal mit den Hausaufgabe an. Was war auf?“ Grünwald nannte Seite und Nummern aus dem Lehrbuch.
„Tja, wer fängt denn dann mal an?“ Hessling ließ seinen Blick erst einmal durch die Klasse schweifen, und dann kam es, ganz ruhig und langsam, so dass es einem eiskalt über den Rücken laufen konnte: „Thoomas!“ Thomas zuckte innerlich zusammen, obwohl er schon damit gerechnet hatte.
„Ich…ich hab es nicht“, antwortete er verschüchtert. Hesslings Blick verfinsterte sich. „Ach und warum nicht?“
„Ich konnte es nicht!“
„Das glaub ich aber nicht. Sie hatten keine Lust! Das war doch nur eine Aufgabe zu dem Stoff, den wir in den letzten Wochen behandelt hatten. Da können Sie mir doch nicht erzählen, Sie konnten das nicht. Wo waren Sie denn in den letzten Wochen?“
Grünwald grinste, Pannek guckte besorgt, und einige Schüler sahen neugierig abwechselnd mal Thomas, mal Herrn Hesslings an. Thomas wartete, bis die Standpauke weiter lief.
„Wie wollen Sie denn so weiter kommen?“, fuhr der Lehrer fort. „Sie müssen auch mal was dafür tun, nicht einfach nur: „Kann ich nicht, mach ich nicht“ und dann alles in die Ecke schmeißen. Tun Sie in den anderen Fächern auch so wenig? So kommen Sie nicht weiter.“ Er schrieb es sich erst mal auf. „So Matthias, dann fangen Sie mal an!“ Grünwald begann damit, die Aufgabenstellung wiederzugeben und trug dann die Rechenwege bis zum Ergebnis vor. Herr Hesslings war zufrieden. Die nächste Aufgabe übernahm Pannek. Ebenfalls richtig. Bei der letzten Aufgabe hatten alle Schwierigkeiten, außer Pannek. Dieser wurde daraufhin aufgefordert, sie an der Tafel vorzurechnen. Der Lehrer war sehr stolz, und Pannek bekam wieder einen Pluspunkt. Dann fuhr Hesslings mit dem Stoff fort. Regeln, Regeln, Regeln. Formeln, Formeln, Formeln. Mit all dem konnte Thomas nichts anfangen. Aber er traute sich auch nicht zu fragen, zumal er auch nicht wusste, was er überhaupt fragen sollte, da er nicht einmal wusste, was er nicht verstand.
Schließlich schellte es endlich. Zwar stand nach dieser Fünf-Minuten-Pause noch eine weitere Stunde Mathe an, aber fünf Minuten Pause zum Verschnaufen waren besser als gar nichts. Herr Hesslings verließ zur Pause den Kursraum. Thomas legte den Kopf in seine Arme und döste vor sich hin.
„Da hat der Hesslings sich ja heute wieder ganz schön aufgeregt“, unterbrach Pannek plötzlich seine Ruhe.
„Ach ja?“, murmelte Thomas. „Dafür hat er sich bei dir umso mehr gefreut.“
„Na ja, man musste nur den richtigen Ansatz finden, dann war es gar nicht so schwer. Aber wenn du solche Probleme damit hast, wie wäre es denn, wenn wir uns nachmittags mal treffen? Ich könnte es dir erklären. Du weißt ja, wenn es um Mathe und Physik geht, da brauchst du nur mich zu fragen, denn da bin ich Experte. Überhaupt sind Naturwissenschaften mein Spezialgebiet, also auch Bio und Chemie, aber das heißt nicht, dass ich von Fächern wie Deutsch, Englisch oder Geschichte nichts verstehe, da kannst du mich auch jederzeit fragen.“ Und wieder mal war Pannek nicht zu stoppen. Aber wenn er schon Hilfe anbot, da konnte Thomas doch einfach wenigstens mal darauf eingehen, vielleicht würde es ja helfen.
„Okay, wenn hast du denn Zeit?“, fragte er.
„Wie wäre es mit morgen, um 16 Uhr? Du könntest zu mir kommen.“
„Ja, das passt gut.“
„Find ich gut, dass du dir helfen lässt.“
„Ich find gut, dass du Hilfe anbietest.“
Da sah Thomas, dass Nadja in der Pause hereingekommen war. Er spürte plötzlich sein Herz schlagen. Sie war sehr hübsch, etwa 1,70 m groß, schlank, hatte lange braune Haare und blaue Augen, die schönsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Sie stand natürlich bei Grünwald. Was aber auffällig an ihr war, dass sie nett zu ihm, Thomas, war. Die anderen Mädchen waren zwar nicht unfreundlich zu ihm, aber schenkten ihm keine Beachtung, Nadja jedoch schon, außer wenn sie bei Grünwald stand.
Pannek merkte, wie er sie anstarrte und müsste grinsen. Thomas hielt es für besser, woanders hinzusehen, damit es nicht auffiel und so döste er wieder vor sich hin.
Viel zu schnell war die Verschnaufpause auch schon wieder vorbei, und die nächste Stunde begann, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Er war richtig erleichtert, als es endlich schellte. Langsam stand er auf, reckte sich und packte seine Sachen ein. Erst zwei Stunden um und noch vier vor sich, und dann auch noch Hausaufgaben. Er durfte gar nicht daran danken. Er war wieder mal der Letzte, der den Raum verließ. Draußen auf dem Flur lief ihm Nadja über den Weg. Sie lächelte ihn flüchtig an. Wie gern würde er sich auch mal nachmittags mit ihr treffen, aber er traute sich auch nicht, ihn zu fragen, wahrscheinlich würde sie auch sowieso „nein“ sagen. Warum sollte sie sich auch mit so einem Langweiler wie ihm treffen.
Er sah sich wieder als kleinen Jungen vor sich, wie er in die Schule ging und wie er nachmittags mit Freunden spielte, Freunden aus seiner Schule.
Die Grundschulzeit war eine sehr angenehme Zeit für ihn gewesen, er war ein guter Schüler und hatte viele Freunde.
Irgendwann war er doch zu müde zum Nachdenken und schlief ein.
Er sah sie an. Wie schön sie nur war. Ich muss es ihr sagen, dachte er.
„Weißt du“, fing er an. „Ich habe mich nie getraut es dir zu sagen, aber ich hab dich sehr gern. Nein, nicht nur das, ich liebe dich.“
Sie lächelte ihn an.
„Schön, dass du das sagst, ich empfinde dasselbe für dich!“, sagte sie schließlich. Langsam kamen ihre Lippen näher, bis sie seine schließlich berührten.
In diesem Moment hörte er einen schrillen Ton. Es war sein Wecker, begriff er und wachte gleichzeitig auf. Wieder nur ein Traum, immer nur diese verdammten Träume, dachte er. Warum kann mir so etwas nicht wirklich passieren.
Sieben Uhr. Schon wieder aufstehen, wieder einen harten Tag vor mir, was bin ich froh, wenn er endlich vorbei ist. Er seufzte noch einen Moment, dann stand er schließlich auf und ging ins Badezimmer, um zu Duschen. Dabei nahm er sich Zeit, wer trennt sich auch schon gern von einer warmen Dusche.
Anschließend betrachtete er sich im Spiegel. Da stand er nun: Thomas Schreiner, 19 Jahre alt. Eigentlich war er doch ein recht gutaussehender junger Mann. Er war 1,82 m groß, sportlich, hatte dunkelbraune Haare und blaue Augen. Mit seinem Aussehen war er auch sehr zufrieden, nur eines fehlte ihm: sicheres Auftreten, vor allem in der Schule. Sobald er unter seine Mitschüler und vor allem unter seine Mitschülerinnen kam, zeigte er sich extrem schüchtern und unsicher, oft sogar gar verklemmt. Er konnte einfach nicht offen auf die anderen zugehen, was natürlich einen negativen Eindruck auf viele seiner Mitschüler hinterließ. Das war sein größtes Problem, wie gern wäre er doch wie die anderen.
„Thomas beeil dich, sonst wird es wieder zu spät“, rief seine Mutter, womit er aus seinen Gedanken gerissen wurde.
„Ja, ich bin gleich fertig“, rief er zurück und machte sich daran, seine Haare zu fönen und zu frisieren. Weil es schon so spät war, ließ er das Rasieren heute ausnahmsweise ausfallen, putzte sich noch schnell die Zähne und zog sich an. Schnell warf er noch einen letzten Blick in den Spiegel, um sich zu vergewissern, dass seine Haare auch richtig lagen. Nachdem er sich überzeugt hatte, ging er hinunter.
Sein Vater saß bereits unten und frühstückte.
„Morgen“, grüßte dieser, als er Thomas sah. „Na, einen schweren Tag vor dir?
„Ich würd´ sagen wie immer“, gab Thomas zurück und bemühte sich, seine Morgenmuffeligkeit nicht zu zeigen.
„Noch alles in Ordnung?“, fragte der Vater und klang ein wenig besorgt.
„Ja sicher, aber ich muss jetzt los“, wich Thomas aus.
Besorgt sah Herr Schreiner ihn an. „Können wir uns heute Abend ein wenig unterhalten? Ich meine, wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten. Wenn es dir recht ist?“
„Ja, können wir machen“, erwiderte Thomas und zog sich seine Schuhe an.
„Du hast doch noch gar nicht gefrühstückt!“, stellte die Mutter fest.
„Ich hol mir in der Cafeteria ein Brötchen“, antwortete er schnell, sagte noch kurz „Tschüs“ und verließ das Haus.
Toll, dachte er, als er zur Schule fuhr. Dann kann ich mir ja heute Abend wieder sein Gerede anhören, dann will er wieder alles wissen, das wird ja ein toller Abend werden.
Um 8:05 Uhr erreichte er die Schule, noch fünf Minuten bis Unterrichtsbeginn. Soeben ertönte die Schelle, oh, wie er diesen Ton hasste. Er parkte seinen Wagen und machte sich auf den Weg zum Kursraum, wo er gleich Matte hatte. Noch drei Minuten und die Stunde würde beginnen. Er durfte gar nicht daran denken. Mathe, oh Nein, und dann auch noch zwei Stunden. Seufzend betrat er den Kursraum und ging ohne zu grüßen zu seinen Platz. Er saß neben Max Pannek, der auch genauso aussah, wie er hieß. Er war zwar sehr gut in der Schule, aber dafür oft ein wenig nervig.
„Morgen“, sagte er, als Thomas sich setzte. Mürrisch grüßte Thomas, ohne ihn anzusehen zurück.
„Hast du die Hausaufgaben?“, fragte Pannek.
„Nein.“
„Ich würd mal was dafür tun, sonst kommst du nicht weiter!“
„Ich kann nicht das tun, was ich nicht kann!“ Mehr wollte Thomas nicht sagen.
Soeben betrat Matthias Grünwald die Klasse, einer der obersten Schleimer. Aber damit kam er bestens bei den Mädchen an. Und gut sah er auch aus, groß, etwa 1,87 m, sportlich, dunkle Haare mit einem – wahrscheinlich 50-Euro-Haarschnitt. Auf solche Typen standen die Mädchen halt. Thomas sah zwar eigentlich nicht schlechter aus, aber er konnte einfach nicht so locker sein wie Grünwald. Aber ein Schleimer wie dieser wollte er auch nicht sein.
Unfreiwillig hörte er einen Teils des Gesprächs, was Grünwald mit den anderen führte.
„Kommst du am Freitag auch auf die Fete von Robert?“
„Ja, aber was schenken wir ihm nur?“
„Lasst uns doch heute Nachmittag bei Steffi ein wenig beraten.“
Dieses und Ähnliches bekam Thomas mit, mehr wollte er auch gar nicht mitbekommen. Immer hörte er, wie die anderen ihre Freizeit verbrachten, nur er konnte nie mitreden. Wie gern würde er auch auf Feten gehen und in Discos. Aber das blieb wohl nur ein Traum, stattdessen hatte er ständig nur Leute am Hals, die von so etwas überhaupt keine Ahnung hatten.
Es hatte mittlerweile schon zum zweiten Mal gegongt, gleich würde Herr Hesslings den Raum betreten. Die Mädchen um Grünwald herum gingen in ihre Kurse. Schließlich trat Herr Hesslings ein und alle Schüler gingen zu ihren Plätzen.
Hesslings war ein grauhaariger Mann Anfang 50 von mittlerer Größe, trug einen Spitzbart und eine Brille. Er sprach meistens im ruhigen Ton, so lange er sich nicht aufregte, im letzteren Fall konnte er ganz schön los schreien. Meist wurde er dann auch noch knallrot im Gesicht. Er war eigentlich sehr streng, hatte aber auch Sinn für Humor, auch wenn man es ihm auf dem ersten Blick nicht zutraute.
Heute hatte er wieder seinen Killerblick drauf, als er die Klasse betrat, aber das hatte nichts zu bedeuten. Er stellte seine Tasche ab, holte seine Unterlagen heraus, dann wandte er sich seinen Schülern zu, und sein Blick wurde freundlicher, als er einen guten Morgen wünschte. Aha, er war also gut gelaunt. Ihn störte es auch nicht, dass sein Gruß nur nüchtern erwidert wurde, sondern er kam gleich zur Sache.
„So, dann fangen wir mal mit den Hausaufgabe an. Was war auf?“ Grünwald nannte Seite und Nummern aus dem Lehrbuch.
„Tja, wer fängt denn dann mal an?“ Hessling ließ seinen Blick erst einmal durch die Klasse schweifen, und dann kam es, ganz ruhig und langsam, so dass es einem eiskalt über den Rücken laufen konnte: „Thoomas!“ Thomas zuckte innerlich zusammen, obwohl er schon damit gerechnet hatte.
„Ich…ich hab es nicht“, antwortete er verschüchtert. Hesslings Blick verfinsterte sich. „Ach und warum nicht?“
„Ich konnte es nicht!“
„Das glaub ich aber nicht. Sie hatten keine Lust! Das war doch nur eine Aufgabe zu dem Stoff, den wir in den letzten Wochen behandelt hatten. Da können Sie mir doch nicht erzählen, Sie konnten das nicht. Wo waren Sie denn in den letzten Wochen?“
Grünwald grinste, Pannek guckte besorgt, und einige Schüler sahen neugierig abwechselnd mal Thomas, mal Herrn Hesslings an. Thomas wartete, bis die Standpauke weiter lief.
„Wie wollen Sie denn so weiter kommen?“, fuhr der Lehrer fort. „Sie müssen auch mal was dafür tun, nicht einfach nur: „Kann ich nicht, mach ich nicht“ und dann alles in die Ecke schmeißen. Tun Sie in den anderen Fächern auch so wenig? So kommen Sie nicht weiter.“ Er schrieb es sich erst mal auf. „So Matthias, dann fangen Sie mal an!“ Grünwald begann damit, die Aufgabenstellung wiederzugeben und trug dann die Rechenwege bis zum Ergebnis vor. Herr Hesslings war zufrieden. Die nächste Aufgabe übernahm Pannek. Ebenfalls richtig. Bei der letzten Aufgabe hatten alle Schwierigkeiten, außer Pannek. Dieser wurde daraufhin aufgefordert, sie an der Tafel vorzurechnen. Der Lehrer war sehr stolz, und Pannek bekam wieder einen Pluspunkt. Dann fuhr Hesslings mit dem Stoff fort. Regeln, Regeln, Regeln. Formeln, Formeln, Formeln. Mit all dem konnte Thomas nichts anfangen. Aber er traute sich auch nicht zu fragen, zumal er auch nicht wusste, was er überhaupt fragen sollte, da er nicht einmal wusste, was er nicht verstand.
Schließlich schellte es endlich. Zwar stand nach dieser Fünf-Minuten-Pause noch eine weitere Stunde Mathe an, aber fünf Minuten Pause zum Verschnaufen waren besser als gar nichts. Herr Hesslings verließ zur Pause den Kursraum. Thomas legte den Kopf in seine Arme und döste vor sich hin.
„Da hat der Hesslings sich ja heute wieder ganz schön aufgeregt“, unterbrach Pannek plötzlich seine Ruhe.
„Ach ja?“, murmelte Thomas. „Dafür hat er sich bei dir umso mehr gefreut.“
„Na ja, man musste nur den richtigen Ansatz finden, dann war es gar nicht so schwer. Aber wenn du solche Probleme damit hast, wie wäre es denn, wenn wir uns nachmittags mal treffen? Ich könnte es dir erklären. Du weißt ja, wenn es um Mathe und Physik geht, da brauchst du nur mich zu fragen, denn da bin ich Experte. Überhaupt sind Naturwissenschaften mein Spezialgebiet, also auch Bio und Chemie, aber das heißt nicht, dass ich von Fächern wie Deutsch, Englisch oder Geschichte nichts verstehe, da kannst du mich auch jederzeit fragen.“ Und wieder mal war Pannek nicht zu stoppen. Aber wenn er schon Hilfe anbot, da konnte Thomas doch einfach wenigstens mal darauf eingehen, vielleicht würde es ja helfen.
„Okay, wenn hast du denn Zeit?“, fragte er.
„Wie wäre es mit morgen, um 16 Uhr? Du könntest zu mir kommen.“
„Ja, das passt gut.“
„Find ich gut, dass du dir helfen lässt.“
„Ich find gut, dass du Hilfe anbietest.“
Da sah Thomas, dass Nadja in der Pause hereingekommen war. Er spürte plötzlich sein Herz schlagen. Sie war sehr hübsch, etwa 1,70 m groß, schlank, hatte lange braune Haare und blaue Augen, die schönsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Sie stand natürlich bei Grünwald. Was aber auffällig an ihr war, dass sie nett zu ihm, Thomas, war. Die anderen Mädchen waren zwar nicht unfreundlich zu ihm, aber schenkten ihm keine Beachtung, Nadja jedoch schon, außer wenn sie bei Grünwald stand.
Pannek merkte, wie er sie anstarrte und müsste grinsen. Thomas hielt es für besser, woanders hinzusehen, damit es nicht auffiel und so döste er wieder vor sich hin.
Viel zu schnell war die Verschnaufpause auch schon wieder vorbei, und die nächste Stunde begann, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Er war richtig erleichtert, als es endlich schellte. Langsam stand er auf, reckte sich und packte seine Sachen ein. Erst zwei Stunden um und noch vier vor sich, und dann auch noch Hausaufgaben. Er durfte gar nicht daran danken. Er war wieder mal der Letzte, der den Raum verließ. Draußen auf dem Flur lief ihm Nadja über den Weg. Sie lächelte ihn flüchtig an. Wie gern würde er sich auch mal nachmittags mit ihr treffen, aber er traute sich auch nicht, ihn zu fragen, wahrscheinlich würde sie auch sowieso „nein“ sagen. Warum sollte sie sich auch mit so einem Langweiler wie ihm treffen.