Teil 2
Erzählung
von NormanM.
In dem Raum, in dem er gleich Englisch hatte, befand sich noch niemand, als er ihn betrat. Klar, die nächste Stunde würde auch erst in zwölf Minuten beginnen. Er blieb trotzdem in der Klasse, weil er draußen auch nur dumm herumstehen würde. Außerdem hatte er noch Hausaufgaben zu machen, mit denen er dann auch anfing. Die Aufgabe bestand darin, eine Kurzgeschichte zu analysieren. Da der Text recht einfach war, hatte er keine großen Schwierigkeiten damit und schaffte es bis Stundenbeginn. Zwar war es keine besondere Leistung, aber so hatte er doch wenigstens überhaupt etwas vorzuweisen.
Er merkte gar nicht, dass inzwischen einige Schüler hereingekommen waren, sie hatten ja nicht einmal gegrüßt. Zwar war er so etwas schon gewöhnt, trotzdem machte es ihn oft wütend, dass er kaum beachtet wurde. Es hatte ihm schon mal jemand gesagt, dass er selbst Schuld daran habe, da er sich ja immer absondere. Diese Bemerkung hatte ihn zunächst nachdenklich gemacht, aber doch verärgert, und er ärgerte sich immer noch darüber, wenn er daran dachte. Denn seiner Meinung nach war es eher umgekehrt, er sonderte sich ab, weil IHN niemand beachtete, aber darauf kam ja keiner.
Herr Bexler kam fast zehn Minuten zu spät. Einige Schüler wollten schon den Kursraum verlassen, weil sie dachten, er komme gar nicht mehr, aber genau in dem Moment kam er dann doch.
Er gehörte zu den jüngeren Lehrern, war gerade Anfang 30, und daher lief der Unterricht auch noch recht locker ab, was aber nicht bedeutete, dass man bei ihm nichts lernte. Er trug immer die modernsten Klamotten, auch seine Haare trug er immer anders. Mal hatte er die Haare auf eine Länge und trug sie zum Seitenscheitel und bis über die Ohren. Dann trug er sie zwischendurch insgesamt kurz und stoppelig und hinten etwas länger. Und einmal hatte er sie insgesamt bis auf einen Zentimeter gekürzt. In den drei Jahren, die er mittlerweile an dieser Schule unterrichtete, hatte er seinen Look schon sehr oft geändert. Er liebte halt die Abwechslung. Zurzeit trug er sie nach vorn gekämmt und dazu einen Drei-Tage-Bart, aber in einem Monat würde er wahrscheinlich schon wieder anders aussehen.
„So, erst einmal einen schönen guten Morgen und herzlich Willkommen zur heutigen Unterrichtsveranstaltung“, sprach er, was sein Standartgruß war. „Entschuldigt, dass ich heute zu spät bin, aber ich wurde aufgehalten. Ich nehme an, ihr freut euch, dass ich nun doch hier bin.“ Einige Schüler schrieen „Buh“, aber das war natürlich nicht ernst gemeint. Herr Bexler wusste das und lachte, er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Schülern und gehörte zu Thomas Lieblingslehrern.
Die Doppelstunde verging viel schneller als die beiden Mathestunden, weil sie viel interessanter waren und Thomas sich zu beteiligen wusste. Danach hätte er eigentlich Deutsch, aber wie der erfuhr, fielen die Stunden aus. Also konnte er nach Hause fahren, was er auch tat.
Als er zu seinem Auto ging, kam er an Pannek vorbei, der gerade in sein Auto stieg. Thomas musste ein wenig schmunzeln, denn Pannek konnte man sich nicht wirklich hinter Steuer vorstellen. Er konnte sich dessen Fahrstil auch genau vorstellen: immer exakt nach den Verkehrsregeln. Thomas selbst hielt sich dabei so gut wie nie an die Regeln, er fuhr, wie es ihm Spaß machte.
Er parkte ziemlich weit hinten, denn wenn er kam, waren die meisten Parkplätze schon besetzt. Endlich erreichte er sein Auto, er merkte, dass er immer weniger zu Fuß ging, seit er einen Führerschein hatte. Auf sein Auto war er ehr stolz. Es war ein Honda Civic, also ein ziemlich sportliches Auto. Es war zwar ein Gebrauchtwagen, aber erst vier Jahre alt, als er es bekommen hatte. Die Hälfte davon hatte er selbst bezahlt, zahlreiche Nebenjobs hatte er dafür ausgeführt, von Zeitungsaustragen bis Nachhilfe. Den Lohn hatte er zusammen mit Geld aus Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken gespart. Die andere Hälfte hatten seine Eltern bezahlt. Zwischendurch fuhr er auch mit dem Bus zur Schule, um Sprit zu sparen, denn von der Schule bekam er eine Monatskarte. Leider schaffte er es morgens oft nicht rechtzeitig aus dem Bett, so dass er doch mit dem Auto fahren musste. Aber mit dem Auto war es sowieso angenehmer, denn die Busse waren morgens immer so voll.
Er startete den Wagen und gab kräftig Gas, während er rückwärts aus der Parkbox fuhr. Er bremste gerade noch rechtzeitig, bevor er gegen den Bordstein fuhr, aber das hatte er schon unter Kontrolle. Er wechselte den Gang, und die Fahrt begann. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 30 km/h, er fuhr 70. Als er rechts abbiegen musste, um auf die Hauptstraße zu gelangen, bremste er vorher mit einer Vollbremsung. Kein Auto war in Sicht, so bog er ab und erhöhte das Tempo, da die Hauptstraße frei war, auf 90. Über eine Geschwindigkeitskontrolle machte er sich keine Sorgen. Während der Fahrt hatte er die Musik laut aufgedreht. So hätte sich ihn Niemand vorgestellt.
Unterwegs überfuhr er beinahe eine alte Frau, die dabei war, einen Zebrastreifen zu überqueren. Gerade rechtzeitig schaffte er es noch mit quietschenden Reifen zu bremsen. Die alte Frau sprang vor Schreck zurück. „Wollen Sie mich umbringen?“, schrie sie. Die restliche Strecke fuhr er dann „nur“ noch 70 und kam zehn Minuten später zu Hause an.
Dort legte er sich erstmal eine CD ein, ein wenig Punk konnte jetzt nicht schaden. Etwa eine halbe Stunde lang hörte er Musik, dann entschied er, sich an die Hausaufgaben, die für den nächsten Tag zu machen waren, zu setzen, auch wenn er absolut keine Lust hatte. Er beschloss mit Geschichte anzufangen. Die Aufgabe bestand darin, einen Text zu interpretieren. Er hatte dieses Fach schon immer gehasst, er fand es einfach langweilig, es interessierte ihn einfach nicht, aber leider konnte er es nicht abwählen. Er las den Text durch, konnte aber nichts damit anfangen. Er las ihn ein zweites Mal durch, verstand jedoch immer noch nichts. Wenn er doch wenigstens konkrete Fragen zum Text bekommen hätte, schließlich handelte es sich um eine Geschichtshausaufgabe und nicht um eine Deutschhausaufgabe. Was hatte er denn noch morgen? Deutsch, aber da waren diesmal keine Hausaufgaben auf. Jetzt hatte er ganz vergessen, nachzusehen, ob es am nächsten Tag auch ausfallen würde. Egal, er entschied einfach nicht hinzugehen, bevor er sonst möglicherweise noch umsonst zur ersten Stunde kommen würde. Religion stand auf dem Stundenplan, aber darin gab es so gut wie nie Hausaufgaben, und wenn doch, machte sie sowieso niemand, wozu auch? Es stand sowieso niemand schlechter als 3, er selbst stand 2. In der dritten und vierten Stunde hatte er Physik, sein zweites Problemfach. Darin hatte er auch Hausaufgaben auf. Na dann mal viel Spaß, dachte er sich.
Die erste Aufgabe war eine reine Rechenaufgabe, die in mehrere Teile gegliedert war. Bei der zweiten Aufgabe sollte eine physikalische Beobachtung erklärt werden, um das zu tun, musste man den gesamten Unterrichtsstoff verstanden haben, was Thomas nicht tat. Aber er wollte wenigstens einen Teil der Hausaufgabe lösen, und mit Hilfe des Lehrbuches und seiner Mitschriften, gelang es ihm die Rechenaufgabe fast vollständig zu lösen, und er war sich sicher, dass wenigstens etwas davon richtig war. Was die zweite Aufgabe betraf, durchsuchte er noch mal das ganze Lehrbuch, konnte aber absolut nichts hilfreiches finden, nicht mal eine kleine Idee kam ihn. Pannek hatte sicherlich überhaupt keine Probleme damit, wahrscheinlich empfand er diese Aufgabe sogar als lächerlich. Gewiss würde er Thomas auch seine Lösung geben.
So war das Thema Hausaufgaben für ihn erst einmal erledigt, und er war stolz, dass er wenigstens etwas geschafft hatte. Er sah auf die Uhr: halb zwei. Seine Mutter würde in etwa einer Stunde kommen, sie hatte einen Halbtagsjob in einem kleinen Handelsbetrieb. Sein Vater war Banker und kam meistens nicht vor 18 Uhr nach Hause. Er wollte ja heute Abend ein Gespräch mit Thomas führen. Thomas mochte diese Gespräche nicht so gern, zwar kam es nie zu Auseinandersetzungen, aber er behielt seine Probleme lieber für sich, außerdem wollte er einen Film sehen.
Sein Vater erzählte erst einmal von seinem Tag. Der Arbeitstag war sehr angenehm verlaufen, er hatte ein Supergeschäft abgeschlossen und seinen Chef beeindruckt. Danach fragte er Thomas, wie denn sein Tag gewesen sei.
„Ach, wie immer“, antwortete Thomas flüchtig.
„Genau das ist es, worüber ich mit dir reden wollte“, erklärte der Vater. „Ich finde, wir sollten uns einmal genauer darüber unterhalten. Ich meine, ich, das heißt wir, deine Mutter und ich, machen uns ein wenig Sorgen um dich, verstehst du?“
„Das müsst ihr nicht“, antwortete Thomas. Scheiße, dachte er. Jetzt kommt genau das, was ich befürchtet habe, jetzt kann ich erst mal alles erzählen, mal sehen, wie lange das heute dauern wird.
„Wie sieht es denn nun wirklich aus?“, fragte Herr Schreiner gezielt, aber ruhig. Thomas sah seinen Vater an. Über die letzten Jahre war er ziemlich grau geworden, nur noch einzelne Strähnen ließen seine ursprüngliche Haarfarbe erkennen. Außerdem war er beinahe kahl. Zwar hatte Thomas die Haare seiner Mutter, aber konnte trotzdem nicht ausschließen, dass auch ihm die Haare ausgehen würden.
„Ich weiß nicht“, fing er die Antwort ein. „Ich könnte es schaffen, oder auch nicht. Du hast ja mein letztes Zeugnis gesehen, ich bin so gerade eben zum Abitur zugelassen worden.“
„Hast du denn Probleme?“
„Mehr oder weniger. So wie vorher auch, vielleicht schaff ich es, vielleicht auch nicht.“
„Wo hast du denn Probleme?“
„Ja, du weißt doch, Mathe und Physik. Es war eben ein Fehler, diese beiden Fächer als Leistungskurse zu nehmen.“
„Wann fangen die Abiprüfungen an?“
„Nächsten Monat.“
„Und du glaubst nicht, dass du es schaffst?“
„Ich weiß es nicht.“
„Kennst du denn vielleicht jemanden, der dir helfen könnte?“
„Ja, einer aus meinen Mathekurs hat mir Hilfe angeboten, ich werde morgen auch zu ihm fahren.“
„Das ist doch toll“, freute der Vater sich. „Und wer ist dieser Jemand?“
„Max Pannek heißt er, irgendso ´n Strebertyp, sieht auch genauso aus, wie er heißt“, lästerte Thomas.
„Aber das spielt doch keine Rolle, wie er aussieht“, wies der Vater ihn zurecht. „Schade, dass da nicht vorher schon was raus geworden ist. Es wäre wirklich schön, wenn es dir helfen würde. Aber du musst wissen, auch wenn du dein Abitur nicht bestehst, ist es nicht so tragisch, es ist keine Schande, mal sitzen zu bleiben. Wie viele Leute sind schon durchs Abi gefallen oder sind irgendwann mal sitzen geblieben, ich hatte mich sowieso darauf eingestellt, dass du vielleicht mal irgendwann sitzen bleiben könntest, es ist ja schließlich nicht einfach auf dem Gymnasium. Wäre ich auf einem Gymnasium gewesen, wäre ich mit Sicherheit auch mal sitzen geblieben und wahrscheinlich schon viel eher. Außerdem steht es ja noch nicht einmal fest, dass du durchfällst. Vielleicht schaffst du es ja doch. Warten wir es einfach mal ab und lassen uns jetzt das Abendessen schmecken, in Ordnung?“, beendete er lächelnd das Thema.
„Ja“, antwortete Thomas und versuchte nicht zu zeigen, wie erleichtert er war.
„Dann wollen wir es uns mal schmecken lassen. Hast du denn auch so einen Hunger wie ich“, fragte Herr Schreiner.
„Noch viel mehr“, antwortete Thomas lachend.
Frau Schreiner hatte sich während des Gespräches nicht eingemischt. Auch sie war besorgt, aber sie fand, dass es Thomas nur irritieren würde, wenn sie auch noch Fragen stellte.
War ja doch nicht so schlimm, wie ich zuerst vermutet hatte, dachte Thomas, als er nach dem Abendessen auf sein Zimmer ging. Er schaltete das Fernsehgerät ein. Bis zum Filmbeginn waren es noch etwa 45 Minuten, so sah er sich Videoclips an und schaltete um 20.15 Uhr um. Der Film war eine Actionkomödie, sehr gut und vor allem witzig. Nach dem Film hörte er noch ein wenig Musik. Da es schon nach 22 Uhr war, hörte er die Musik über Kopfhörer, da er laute Musik bevorzugte.
Schließlich beendetet er den Tag, putzte sich die Zähne und legte sich schlafen.
Er merkte gar nicht, dass inzwischen einige Schüler hereingekommen waren, sie hatten ja nicht einmal gegrüßt. Zwar war er so etwas schon gewöhnt, trotzdem machte es ihn oft wütend, dass er kaum beachtet wurde. Es hatte ihm schon mal jemand gesagt, dass er selbst Schuld daran habe, da er sich ja immer absondere. Diese Bemerkung hatte ihn zunächst nachdenklich gemacht, aber doch verärgert, und er ärgerte sich immer noch darüber, wenn er daran dachte. Denn seiner Meinung nach war es eher umgekehrt, er sonderte sich ab, weil IHN niemand beachtete, aber darauf kam ja keiner.
Herr Bexler kam fast zehn Minuten zu spät. Einige Schüler wollten schon den Kursraum verlassen, weil sie dachten, er komme gar nicht mehr, aber genau in dem Moment kam er dann doch.
Er gehörte zu den jüngeren Lehrern, war gerade Anfang 30, und daher lief der Unterricht auch noch recht locker ab, was aber nicht bedeutete, dass man bei ihm nichts lernte. Er trug immer die modernsten Klamotten, auch seine Haare trug er immer anders. Mal hatte er die Haare auf eine Länge und trug sie zum Seitenscheitel und bis über die Ohren. Dann trug er sie zwischendurch insgesamt kurz und stoppelig und hinten etwas länger. Und einmal hatte er sie insgesamt bis auf einen Zentimeter gekürzt. In den drei Jahren, die er mittlerweile an dieser Schule unterrichtete, hatte er seinen Look schon sehr oft geändert. Er liebte halt die Abwechslung. Zurzeit trug er sie nach vorn gekämmt und dazu einen Drei-Tage-Bart, aber in einem Monat würde er wahrscheinlich schon wieder anders aussehen.
„So, erst einmal einen schönen guten Morgen und herzlich Willkommen zur heutigen Unterrichtsveranstaltung“, sprach er, was sein Standartgruß war. „Entschuldigt, dass ich heute zu spät bin, aber ich wurde aufgehalten. Ich nehme an, ihr freut euch, dass ich nun doch hier bin.“ Einige Schüler schrieen „Buh“, aber das war natürlich nicht ernst gemeint. Herr Bexler wusste das und lachte, er hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Schülern und gehörte zu Thomas Lieblingslehrern.
Die Doppelstunde verging viel schneller als die beiden Mathestunden, weil sie viel interessanter waren und Thomas sich zu beteiligen wusste. Danach hätte er eigentlich Deutsch, aber wie der erfuhr, fielen die Stunden aus. Also konnte er nach Hause fahren, was er auch tat.
Als er zu seinem Auto ging, kam er an Pannek vorbei, der gerade in sein Auto stieg. Thomas musste ein wenig schmunzeln, denn Pannek konnte man sich nicht wirklich hinter Steuer vorstellen. Er konnte sich dessen Fahrstil auch genau vorstellen: immer exakt nach den Verkehrsregeln. Thomas selbst hielt sich dabei so gut wie nie an die Regeln, er fuhr, wie es ihm Spaß machte.
Er parkte ziemlich weit hinten, denn wenn er kam, waren die meisten Parkplätze schon besetzt. Endlich erreichte er sein Auto, er merkte, dass er immer weniger zu Fuß ging, seit er einen Führerschein hatte. Auf sein Auto war er ehr stolz. Es war ein Honda Civic, also ein ziemlich sportliches Auto. Es war zwar ein Gebrauchtwagen, aber erst vier Jahre alt, als er es bekommen hatte. Die Hälfte davon hatte er selbst bezahlt, zahlreiche Nebenjobs hatte er dafür ausgeführt, von Zeitungsaustragen bis Nachhilfe. Den Lohn hatte er zusammen mit Geld aus Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken gespart. Die andere Hälfte hatten seine Eltern bezahlt. Zwischendurch fuhr er auch mit dem Bus zur Schule, um Sprit zu sparen, denn von der Schule bekam er eine Monatskarte. Leider schaffte er es morgens oft nicht rechtzeitig aus dem Bett, so dass er doch mit dem Auto fahren musste. Aber mit dem Auto war es sowieso angenehmer, denn die Busse waren morgens immer so voll.
Er startete den Wagen und gab kräftig Gas, während er rückwärts aus der Parkbox fuhr. Er bremste gerade noch rechtzeitig, bevor er gegen den Bordstein fuhr, aber das hatte er schon unter Kontrolle. Er wechselte den Gang, und die Fahrt begann. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 30 km/h, er fuhr 70. Als er rechts abbiegen musste, um auf die Hauptstraße zu gelangen, bremste er vorher mit einer Vollbremsung. Kein Auto war in Sicht, so bog er ab und erhöhte das Tempo, da die Hauptstraße frei war, auf 90. Über eine Geschwindigkeitskontrolle machte er sich keine Sorgen. Während der Fahrt hatte er die Musik laut aufgedreht. So hätte sich ihn Niemand vorgestellt.
Unterwegs überfuhr er beinahe eine alte Frau, die dabei war, einen Zebrastreifen zu überqueren. Gerade rechtzeitig schaffte er es noch mit quietschenden Reifen zu bremsen. Die alte Frau sprang vor Schreck zurück. „Wollen Sie mich umbringen?“, schrie sie. Die restliche Strecke fuhr er dann „nur“ noch 70 und kam zehn Minuten später zu Hause an.
Dort legte er sich erstmal eine CD ein, ein wenig Punk konnte jetzt nicht schaden. Etwa eine halbe Stunde lang hörte er Musik, dann entschied er, sich an die Hausaufgaben, die für den nächsten Tag zu machen waren, zu setzen, auch wenn er absolut keine Lust hatte. Er beschloss mit Geschichte anzufangen. Die Aufgabe bestand darin, einen Text zu interpretieren. Er hatte dieses Fach schon immer gehasst, er fand es einfach langweilig, es interessierte ihn einfach nicht, aber leider konnte er es nicht abwählen. Er las den Text durch, konnte aber nichts damit anfangen. Er las ihn ein zweites Mal durch, verstand jedoch immer noch nichts. Wenn er doch wenigstens konkrete Fragen zum Text bekommen hätte, schließlich handelte es sich um eine Geschichtshausaufgabe und nicht um eine Deutschhausaufgabe. Was hatte er denn noch morgen? Deutsch, aber da waren diesmal keine Hausaufgaben auf. Jetzt hatte er ganz vergessen, nachzusehen, ob es am nächsten Tag auch ausfallen würde. Egal, er entschied einfach nicht hinzugehen, bevor er sonst möglicherweise noch umsonst zur ersten Stunde kommen würde. Religion stand auf dem Stundenplan, aber darin gab es so gut wie nie Hausaufgaben, und wenn doch, machte sie sowieso niemand, wozu auch? Es stand sowieso niemand schlechter als 3, er selbst stand 2. In der dritten und vierten Stunde hatte er Physik, sein zweites Problemfach. Darin hatte er auch Hausaufgaben auf. Na dann mal viel Spaß, dachte er sich.
Die erste Aufgabe war eine reine Rechenaufgabe, die in mehrere Teile gegliedert war. Bei der zweiten Aufgabe sollte eine physikalische Beobachtung erklärt werden, um das zu tun, musste man den gesamten Unterrichtsstoff verstanden haben, was Thomas nicht tat. Aber er wollte wenigstens einen Teil der Hausaufgabe lösen, und mit Hilfe des Lehrbuches und seiner Mitschriften, gelang es ihm die Rechenaufgabe fast vollständig zu lösen, und er war sich sicher, dass wenigstens etwas davon richtig war. Was die zweite Aufgabe betraf, durchsuchte er noch mal das ganze Lehrbuch, konnte aber absolut nichts hilfreiches finden, nicht mal eine kleine Idee kam ihn. Pannek hatte sicherlich überhaupt keine Probleme damit, wahrscheinlich empfand er diese Aufgabe sogar als lächerlich. Gewiss würde er Thomas auch seine Lösung geben.
So war das Thema Hausaufgaben für ihn erst einmal erledigt, und er war stolz, dass er wenigstens etwas geschafft hatte. Er sah auf die Uhr: halb zwei. Seine Mutter würde in etwa einer Stunde kommen, sie hatte einen Halbtagsjob in einem kleinen Handelsbetrieb. Sein Vater war Banker und kam meistens nicht vor 18 Uhr nach Hause. Er wollte ja heute Abend ein Gespräch mit Thomas führen. Thomas mochte diese Gespräche nicht so gern, zwar kam es nie zu Auseinandersetzungen, aber er behielt seine Probleme lieber für sich, außerdem wollte er einen Film sehen.
Sein Vater erzählte erst einmal von seinem Tag. Der Arbeitstag war sehr angenehm verlaufen, er hatte ein Supergeschäft abgeschlossen und seinen Chef beeindruckt. Danach fragte er Thomas, wie denn sein Tag gewesen sei.
„Ach, wie immer“, antwortete Thomas flüchtig.
„Genau das ist es, worüber ich mit dir reden wollte“, erklärte der Vater. „Ich finde, wir sollten uns einmal genauer darüber unterhalten. Ich meine, ich, das heißt wir, deine Mutter und ich, machen uns ein wenig Sorgen um dich, verstehst du?“
„Das müsst ihr nicht“, antwortete Thomas. Scheiße, dachte er. Jetzt kommt genau das, was ich befürchtet habe, jetzt kann ich erst mal alles erzählen, mal sehen, wie lange das heute dauern wird.
„Wie sieht es denn nun wirklich aus?“, fragte Herr Schreiner gezielt, aber ruhig. Thomas sah seinen Vater an. Über die letzten Jahre war er ziemlich grau geworden, nur noch einzelne Strähnen ließen seine ursprüngliche Haarfarbe erkennen. Außerdem war er beinahe kahl. Zwar hatte Thomas die Haare seiner Mutter, aber konnte trotzdem nicht ausschließen, dass auch ihm die Haare ausgehen würden.
„Ich weiß nicht“, fing er die Antwort ein. „Ich könnte es schaffen, oder auch nicht. Du hast ja mein letztes Zeugnis gesehen, ich bin so gerade eben zum Abitur zugelassen worden.“
„Hast du denn Probleme?“
„Mehr oder weniger. So wie vorher auch, vielleicht schaff ich es, vielleicht auch nicht.“
„Wo hast du denn Probleme?“
„Ja, du weißt doch, Mathe und Physik. Es war eben ein Fehler, diese beiden Fächer als Leistungskurse zu nehmen.“
„Wann fangen die Abiprüfungen an?“
„Nächsten Monat.“
„Und du glaubst nicht, dass du es schaffst?“
„Ich weiß es nicht.“
„Kennst du denn vielleicht jemanden, der dir helfen könnte?“
„Ja, einer aus meinen Mathekurs hat mir Hilfe angeboten, ich werde morgen auch zu ihm fahren.“
„Das ist doch toll“, freute der Vater sich. „Und wer ist dieser Jemand?“
„Max Pannek heißt er, irgendso ´n Strebertyp, sieht auch genauso aus, wie er heißt“, lästerte Thomas.
„Aber das spielt doch keine Rolle, wie er aussieht“, wies der Vater ihn zurecht. „Schade, dass da nicht vorher schon was raus geworden ist. Es wäre wirklich schön, wenn es dir helfen würde. Aber du musst wissen, auch wenn du dein Abitur nicht bestehst, ist es nicht so tragisch, es ist keine Schande, mal sitzen zu bleiben. Wie viele Leute sind schon durchs Abi gefallen oder sind irgendwann mal sitzen geblieben, ich hatte mich sowieso darauf eingestellt, dass du vielleicht mal irgendwann sitzen bleiben könntest, es ist ja schließlich nicht einfach auf dem Gymnasium. Wäre ich auf einem Gymnasium gewesen, wäre ich mit Sicherheit auch mal sitzen geblieben und wahrscheinlich schon viel eher. Außerdem steht es ja noch nicht einmal fest, dass du durchfällst. Vielleicht schaffst du es ja doch. Warten wir es einfach mal ab und lassen uns jetzt das Abendessen schmecken, in Ordnung?“, beendete er lächelnd das Thema.
„Ja“, antwortete Thomas und versuchte nicht zu zeigen, wie erleichtert er war.
„Dann wollen wir es uns mal schmecken lassen. Hast du denn auch so einen Hunger wie ich“, fragte Herr Schreiner.
„Noch viel mehr“, antwortete Thomas lachend.
Frau Schreiner hatte sich während des Gespräches nicht eingemischt. Auch sie war besorgt, aber sie fand, dass es Thomas nur irritieren würde, wenn sie auch noch Fragen stellte.
War ja doch nicht so schlimm, wie ich zuerst vermutet hatte, dachte Thomas, als er nach dem Abendessen auf sein Zimmer ging. Er schaltete das Fernsehgerät ein. Bis zum Filmbeginn waren es noch etwa 45 Minuten, so sah er sich Videoclips an und schaltete um 20.15 Uhr um. Der Film war eine Actionkomödie, sehr gut und vor allem witzig. Nach dem Film hörte er noch ein wenig Musik. Da es schon nach 22 Uhr war, hörte er die Musik über Kopfhörer, da er laute Musik bevorzugte.
Schließlich beendetet er den Tag, putzte sich die Zähne und legte sich schlafen.