im Gestern, Fragmente

Skizze zum Thema Vergangenheit

von  Zeder

An mir haften noch Tränen vergeudeter Tage. Ich gehe durch Mengen, durch Anhäufungen von und ziehe Blicke auf mich, ziehe Worte auf mich, die haften, verhaften. Ich füge Fetzen zu fremden Leben zusammen, zu ausgefüllten Menschen, wahllos, so wie sie durch die Luft fliegen, ich füge Gedanken zusammen.
Ich bin nicht auf dem Weg, weil ich den Weg mit meinen Füßen erst treten muss. Er liegt hinter mir im unerreichbaren bereits Erreichten und ich kratze Schmutz von meinen Händen, folge Menschenmengen, kratze den Dreck aus meinen Fingernägeln, weil ich gestern Nacht etwas begraben habe und seit dem umher irre, weil. Weil ich vielleicht nie mehr zurückkehren werde, selbst wenn ich könnte, doch ich habe den Stein vergessen, der mein Herz ist, ich habe ihn auf dem Badezimmerschränkchen liegen lassen, neben der Seife, unter dem Spiegel. Nun klafft ein Loch in mir und ich fühle mich leicht, so leicht, dass ich fliegen könnte, weil ich gestern etwas begraben habe und den Dreck nun auf dem Boden verteilen kann, um alles hinter mir zu lassen, um zu vergessen was es war und weil ich nie mehr zurückkehren muss, denn das geht nicht, ich habe mein Herz dazu herausgenommen und es dann im Gestern vergessen.
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Ich bin in Nepal, dort sitzen kleine Kinder auf einer Mauer, vor dem Müllberg, den Männer zu schaufeln beginnen, weil es Spätfrühling ist und der Winter längst vorbei, und es gilt zu beseitigen, weil alles längst fault und stinkt und Wut verbreitet. Ich bahne mir barfuß einen Weg durch Kathmandu, weil ich allein bin, ohne Schuhe, um mich brüllen Menschen und Hunde, die bald sterben werden, und mich verfolgen zerrissene Kinder, die ein Herz haben, aber kein Geld.
ich kaufe dir dein herz ab, flüstere ich einem zu, hinabgebeugt, und das Kind versteht nicht, weil es nur money kennt und kein heart, denn ein heart hat es, doch kein money, und warum sollte man den Begriff von etwas lernen, das man schon besitzt, wenn es einem sonst an allem fehlt. ten rupie, sagt das Kind. please ten rupie. Und oben in den Bergen kreist ein Adler und ruft, dass es bald Zeit ist, aber ich folge nicht, denn auch ich ziehe meine Kreise, aber zwischen den Menschen.
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Dann ein Zug, der mich mitnimmt. Jemand schiebt mir Valium zu, und weil ich nicht weiß wohin, schlucke ich die Tabletten. Meine Kopfschmerzen steigern sich ins Endlose, dann überrennt mich der Schlaf, ich kann mich nicht wehren und ich hoffe noch, dass viel Zeit vergeht, mir träumt vage, wie eine Hand auf meiner Schulter liegt und sich nicht zurück zieht, auch wenn ich nichts zu geben habe, auch wenn ich mich niemals umdrehen werde und niemals ein Wort spreche, auch wenn.
Als ich aufwache wieder Menschen, mich schiebt ein Schwall von Geschäftigen aus dem Waggon hinunter auf heißen Sand, der Himmel weint rot, vielleicht ist morgen. Ich versinke.
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Ein Telefon klingelt, ich hebe ab - es ist ein Mensch aus alter Zeit, dem ich nichts zu sagen habe, weil er eine andere Sprache spricht. Und ich sage: hallo, hier spricht eine zerrissene und er sagt, dass es ihm Leid täte, er wäre wohl falsch verbunden, er hätte T. sprechen wollen. Und ich flüstere: es gibt keine t. in der welt! t. hat ihr herz auf dem badezimmerschränkchen liegen lassen, und knalle den Hörer auf. Das Telefon klingelt nicht wieder. Es klingelt nie wieder, ich habe lange gewartet.
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T.: und wenn wir mal zusammen ein haus haben, dann ist es ein grünes haus und wir haben einen hund, der heißt, und wir schlafen in einem zimmer aus rosen und. hörst du? und.
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Und ich liege in eine Decke gewickelt in einem überfüllten Zimmer, es riecht übel aus dem Waschraum herüber und ich traue mich nicht danach zu fragen, wo ich bin, denn ich kann hier kein Schild lesen, nur betrachten, und an den Wänden klebt Staub, den ich schon überall gesehen habe.
Ich liege und starre an die Decke, dort tummeln sich Libellen und ich weiß nicht, wo sie herkommen, dies ist kein Lebensraum für sie und das Loch in meiner Brust schreit Schmerzen und es gibt kein Lied, das Leid zu lindern, es gibt keine Blumen und es riecht immer nur nach Urin und ich streichle die Decke, die sich über meine Brust spannt und fühle meinen Körper, der einmal neben Menschen lag, die ihn geliebt haben und es reihen sich flüchtig Bilder aneinander, formen Muster, formen Töne, die verfliegen. Ich schreie nach Valium.
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T.: das ist so ein ding über das man nicht sprechen kann, man muss damit leben.
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Halbschlaf, dann - Ich schlucke Salzwasser und weiß, ich muss ein Telefon finden -
plötzlich kippt die Welt, die Wände wackeln, sie reißen, sie stürzen, sie kreischen. Hinter mir das kleine zerrissene Kind, das das Wort für Leben nicht kennt, aber trotzdem darum rennt. Ich renne um ein Telefon und bemerke kaum den Tod um mich herum, alles fällt an mir vorbei, nichts trifft. Ich greife zum Hörer und rufe - hier spricht t., und ich flüstere - immernoch t. Und dann schließe ich die Augen und warte. Ich warte, warte. Und meine Schulter bleibt kalt.

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Kommentare zu diesem Text

neinneigung (33)
(16.06.08)
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 Zeder meinte dazu am 16.06.08:
ja? aber gefällt er dir auch?
neinneigung (33) antwortete darauf am 16.06.08:
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 Zeder schrieb daraufhin am 16.06.08:
es sind bruchstücke, irgendwo zwischen allem. ich bin mir unsicher mit dem text, weil er so schwer ist, und so neblig.
schlaftabletten, tabletten oder drogen oder was mir sonst noch alternatives einfällt finde ich aber so verbraucht, fade. und nur etwas wäre zu ungenau.
tj
Boeni (21)
(17.06.08)
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Schimmel (31)
(23.06.08)
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 Isaban (23.06.08)
Schwer zu kommentieren und verdammt gut geschrieben. Gut auch, dass trotz aller Dichte, aller Intensität noch so viel Spielraum für eigene Interpretationen, das Sichverlieren und das Wiederfinden bleibt.

LG, Sabine
sozusagen (31)
(26.06.08)
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 Zeder äußerte darauf am 26.06.08:
danke dir, sozusagen!
ja, der nepal (nicht neapel, aber egal) -abschnitt ist auch mein liebster und der hier bedeutsamste, und das bild der schulter, der vage traum, ich mag auch die gesteigerte spannung der protagonistin. alles in einem nicht unbedingt einer meiner besten texte, denke ich. aber wertvoll, eben auf grund einiger wichtiger bilder, der inneren verarbeitung wegen. ja...
und ich kann deinen einwand zur sprache verstehen. ich meinte mit sprache eine andere ebene als reden, aber vielleicht ist das zu unklar, hm.
liebstes dir, t.
sozusagen (31) ergänzte dazu am 26.06.08:
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spanishboots (19)
(22.10.09)
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 Zeder meinte dazu am 23.10.09:
danke!
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