Khalem und die Reise ins Wunderland
Text zum Thema Märchen
von autoralexanderschwarz
Als Khalem eines Nachts auf dem kalten Lehmboden lag und wegen den drückenden Schmerzen in seinem Magen nicht einschlafen konnte, erinnerte er sich an die Geschichte vom Wunderland, die seine Mutter ihm vor vielen Jahren einmal erzählt hatte. „Hinter dem Meer viele tausend Tagesmärsche von hier entfernt, gibt es ein Land, in dem niemand hungern muss", hatte sie gesagt und als er sich an die Geschichte erinnerte, war es fast so, als könnte er ihre Stimme hören, die schon so lange verstummt war. „Die Menschen, die dort leben haben alle warme, bunte Kleider, so dass sie nicht frieren müssen, wenn es kalt ist und es gibt dort silbern glänzende Schrauben, an denen man nur drehen muss, wenn man etwas trinken möchte." Oft hatte sich Khalem dieses Land vorgestellt und wenn er lang genug daran dachte, dann glaubte er fest daran, dass er es eines Tages sehen würde. „Warum gehen wir nicht dorthin?", hatte er seine Mutter oft gefragt, doch dann hatte sie nur traurig den Kopf geschüttelt und ihm tröstend über die Haare gestrichen. „Das Land ist so weit weg", hatte sie gesagt, „dass wir ein Leben lang wandern könnten und es doch nicht erreichen würden." Trotzdem hatte Khalem nie aufgehört an dieses Land zu denken und in jener Nacht, als der Magen so laut knurrte und die Kälte unter die dünne Stoffdecke kroch, erhob er sich langsam und trat hinaus unter den Sternenhimmel. Die Mutter war nie in diesem Land gewesen, sagte er sich und so konnte sie gar nicht wissen, wie weit es wirklich war. Außerdem war sie in den letzten Jahren bereits krank und schwach gewesen und so war ein Tagesmarsch der Mutter natürlich viel kürzer, als sein eigener. Wenn er so schnell ging, wie es nur möglich war und nur nachts rastete, um zu schlafen, dann musste es doch möglich sein dieses Land zu erreichen. Und selbst wenn er bereits ein alter Mann sein würde, wenn er in dem Wunderland ankam, würde er doch glücklich sterben können. „Wenn man stirbt, dann sieht man die Menschen wieder, die man geliebt hat", hatte die Mutter oft gesagt „und die Schlechten, die werden dann alle woanders sein." So begann Khalem zu wandern und er dachte sich, dass er später, wenn er die Mutter einmal wiedersehen würde, von diesem Land berichten konnte, selbst wenn er es nur von weitem gesehen haben sollte. Und so weit konnte es nicht sein. Es war bestimmt näher als all die glänzenden kleinen Sterne am Himmel und selbst die konnte man doch sehen. Er war bereits einige Zeit gegangen, als ihm auffiel, dass er gar nicht wusste, in welcher Richtung dieses wunderbare Land überhaupt lag. Dann fiel ihm ein, dass die Mutter ja gesagt hatte, dass es hinter dem Meer war und wenn er das Meer finden würde, konnte er einfach hinüberschwimmen. Er war immer ein guter Schwimmer gewesen und er dachte sich, dass dies die Reise auch noch einmal verkürzen würde, da er schneller schwamm, als er wandern konnte. Einmal in seinem Leben hatte er das Meer gesehen. Damals, als der Vater aufgebrochen war, hatten sie ihn bis dorthin gebracht und er war mit einem kleinen Boot in den Sonnenaufgang hineingefahren. Der Gedanke machte ihm Mut und so weit die Reise auch schien, vielleicht hatte der Vater ja das Ziel erreicht und wartete dort bereits auf ihn. Vielleicht wären sie längst wieder vereint gewesen, wenn er nur früh genug aufgebrochen wäre. So wanderte Khalem viele lange Tage. Oft hatte er großen Durst und Hunger, doch immer wieder, wenn er glaubte, dass er zu schwach zum weitergehen wäre, fand er einen Feigenbaum, oder einen Brunnen, an dem er rastete. Bald fingen die Füße an zu schmerzen, doch er sagte sich, dass dies ein gutes Zeichen war, da die Füße ja nur schmerzten, wenn man schon wirklich weit gegangen war. Unterwegs traf er andere Menschen, die wie er auf dem Weg in das Wunderland waren und auch die anderen hatten Geschichten gehört, die manchmal noch viel aufregender und interessanter waren, als die, welche er selbst kannte.
„In dem Land gibt es so viel zu essen, dass nach jeder Mahlzeit etwas übrig bleibt, das die Menschen wegwerfen", hatte eine alte Frau erzählt und „jeder hat dort ein Dach über dem Kopf, durch das es selbst bei den schlimmsten Gewittern nicht hineinregnet", hatte ein Junge erzählt, der etwa so alt war wie er selbst. Ein junger Mann meinte sogar, dass man dort niemals arbeiten müsste, da man, wenn es nichts gab, was man tun konnte, ein Haus und Essen geschenkt bekam. Je mehr sie wurden, desto einfacher wurde es zu reisen, da immer wieder jemand eine Kleinigkeit zu essen hatte und nachts, wenn der kalte Wind besonders heftig blies, konnte man sich aneinander wärmen. Eines Abends gelangten sie an einen großen Zaun, der so hoch in den Himmel ragte, dass es eine ganze Weile gedauert hätte über ihn hinüber zu klettern, doch überall waren scharfe spitze Drähte, die einem in die Finger schnitten, wenn man es versuchte. Einige Tage zogen sie an diesem Zaun entlang, bis sie schließlich ein Tor fanden, vor dem einige Männer standen, die alle die gleiche Kleidung trugen. „Hier geht es nicht weiter", sagte einer der Männer, was ja ganz eindeutig eine Lüge war, denn manchmal öffnete sich das Tor, um große glänzende Fahrzeuge hindurch zu lassen.
Da Khalem jetzt schon so lange unterwegs war, wollte er nicht aufgeben und damals, als der Vater über das Meer gefahren war, hatte es den Zaun auch noch nicht gegeben. Er hätte sich bestimmt erinnert, denn er hatte noch nie ein so großes Gebilde gesehen. Also ging er zu Männern in den grünen Kleidern und fragte vorsichtig, warum er nicht durch das Tor gehen konnte. „Ich will gar nicht lange bleiben, ich will weitergehen und über das Meer zum Wunderland", sagte er einem der Männer, der ihn auslachte. „Für dich gibt es kein Wunderland", sagte der Mann. „Wir haben den Auftrag alle zurückzuschicken, die hier durch wollen. Außerdem kommst du nicht über das Meer. Es ist zu weit und zu gefährlich."
„Warst Du schon mal im Wunderland?", fragte Khalem den Mann und als dieser den Kopf schüttelte, dachte er sich, dass der Andere ja gar nicht wissen konnte, wie weit es noch war.
Khalem wollte nicht aufgeben und so wartete er viele Tage vor dem Tor, bis sich eine Gelegenheit bot. Als einmal eines der glänzenden Autos durch das Tor fuhr, rannte er einfach los und weil viele andere es auch versuchten, bemerkte niemand, dass er hindurch gekommen war. Es gab einen großen Tumult hinter ihm, mehrmals hörte er laute Schüsse und die verzweifelten Schreie derer, die es nicht geschafft hatten und nun auf der anderen Seite bleiben mussten. Gerne hätte er den anderen geholfen, mit denen er viele Tage zusammen gereist war, doch er wusste auch, dass er nichts tun konnte und so ging er einfach weiter. Es war eine einsame Reise, er vermisste seine Weggefährten, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er ja mit jedem Schritt dem Wunderland näher kam und vielleicht sogar bald den Vater treffen würde, der vor so langer Zeit aufgebrochen war. Eines Tages konnte er das Meer sehen und das glänzende Wasser machte ihm Mut, weil er sich dachte, dass er es wohl nun bald geschafft haben würde. Außerdem taten ihm die Füße so weh und es würde gut tun, wenn er bald nicht mehr gehen, sondern schwimmen konnte. Er schlief noch eine Nacht am Strand und er träumte von seiner Mutter, träumte, wie stolz sie wäre, wenn er ihr später einmal von der langen Reise berichten würde. Am nächsten Morgen wachte er sehr früh auf, schirmte mit den Händen die Augen ab und blickte hinaus in die Weiten des Meeres. Weit in der Ferne, am Horizont, glaubte er bereits das Wunderland blinken und glänzen zu sehen, dann fasste er sich ein Herz und schwamm los.
„In dem Land gibt es so viel zu essen, dass nach jeder Mahlzeit etwas übrig bleibt, das die Menschen wegwerfen", hatte eine alte Frau erzählt und „jeder hat dort ein Dach über dem Kopf, durch das es selbst bei den schlimmsten Gewittern nicht hineinregnet", hatte ein Junge erzählt, der etwa so alt war wie er selbst. Ein junger Mann meinte sogar, dass man dort niemals arbeiten müsste, da man, wenn es nichts gab, was man tun konnte, ein Haus und Essen geschenkt bekam. Je mehr sie wurden, desto einfacher wurde es zu reisen, da immer wieder jemand eine Kleinigkeit zu essen hatte und nachts, wenn der kalte Wind besonders heftig blies, konnte man sich aneinander wärmen. Eines Abends gelangten sie an einen großen Zaun, der so hoch in den Himmel ragte, dass es eine ganze Weile gedauert hätte über ihn hinüber zu klettern, doch überall waren scharfe spitze Drähte, die einem in die Finger schnitten, wenn man es versuchte. Einige Tage zogen sie an diesem Zaun entlang, bis sie schließlich ein Tor fanden, vor dem einige Männer standen, die alle die gleiche Kleidung trugen. „Hier geht es nicht weiter", sagte einer der Männer, was ja ganz eindeutig eine Lüge war, denn manchmal öffnete sich das Tor, um große glänzende Fahrzeuge hindurch zu lassen.
Da Khalem jetzt schon so lange unterwegs war, wollte er nicht aufgeben und damals, als der Vater über das Meer gefahren war, hatte es den Zaun auch noch nicht gegeben. Er hätte sich bestimmt erinnert, denn er hatte noch nie ein so großes Gebilde gesehen. Also ging er zu Männern in den grünen Kleidern und fragte vorsichtig, warum er nicht durch das Tor gehen konnte. „Ich will gar nicht lange bleiben, ich will weitergehen und über das Meer zum Wunderland", sagte er einem der Männer, der ihn auslachte. „Für dich gibt es kein Wunderland", sagte der Mann. „Wir haben den Auftrag alle zurückzuschicken, die hier durch wollen. Außerdem kommst du nicht über das Meer. Es ist zu weit und zu gefährlich."
„Warst Du schon mal im Wunderland?", fragte Khalem den Mann und als dieser den Kopf schüttelte, dachte er sich, dass der Andere ja gar nicht wissen konnte, wie weit es noch war.
Khalem wollte nicht aufgeben und so wartete er viele Tage vor dem Tor, bis sich eine Gelegenheit bot. Als einmal eines der glänzenden Autos durch das Tor fuhr, rannte er einfach los und weil viele andere es auch versuchten, bemerkte niemand, dass er hindurch gekommen war. Es gab einen großen Tumult hinter ihm, mehrmals hörte er laute Schüsse und die verzweifelten Schreie derer, die es nicht geschafft hatten und nun auf der anderen Seite bleiben mussten. Gerne hätte er den anderen geholfen, mit denen er viele Tage zusammen gereist war, doch er wusste auch, dass er nichts tun konnte und so ging er einfach weiter. Es war eine einsame Reise, er vermisste seine Weggefährten, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er ja mit jedem Schritt dem Wunderland näher kam und vielleicht sogar bald den Vater treffen würde, der vor so langer Zeit aufgebrochen war. Eines Tages konnte er das Meer sehen und das glänzende Wasser machte ihm Mut, weil er sich dachte, dass er es wohl nun bald geschafft haben würde. Außerdem taten ihm die Füße so weh und es würde gut tun, wenn er bald nicht mehr gehen, sondern schwimmen konnte. Er schlief noch eine Nacht am Strand und er träumte von seiner Mutter, träumte, wie stolz sie wäre, wenn er ihr später einmal von der langen Reise berichten würde. Am nächsten Morgen wachte er sehr früh auf, schirmte mit den Händen die Augen ab und blickte hinaus in die Weiten des Meeres. Weit in der Ferne, am Horizont, glaubte er bereits das Wunderland blinken und glänzen zu sehen, dann fasste er sich ein Herz und schwamm los.