35. Warum Schlangengift nicht zu Glühwein passt [35]

Schundroman zum Thema Erkenntnis

von  DIE7

Illustration zum Text
Fufu ist weg
(von DIE7)
Lasche saß an seinem Schreibtisch und kritzelte konzentriert mit einem Kugelschreiber auf einem Blatt Papier herum. Seine Zunge befand sich dabei außerhalb seines Mundes, wie das bei Kindern oft der Fall ist, die sich im Ausmalen eines besonders schwierigen Malbuchbildes versuchen.
Links und rechts von Lasche lagen zwei Stapel mit Blättern auf dem Schreibtisch, beide etwa fünf Zentimeter hoch. Weiter rechts stand Bertas Körbchen, auf das er regelmäßig einen nervösen Blick warf, wie um sich selbst zu versichern, dass Berta noch da war.

Lusa Persie betrachtete das Bild, das sich ihr bot, einen Moment lang. Insgeheim hegte sie manchmal den Wunsch, Hirnstrøm das Ei einfach wegzunehmen und abzuwarten, was passierte. Andererseits war sie jeden Arbeitstag mindestens einmal der Meinung, Lasche sei bereits benachteiligt genug.

Sie räusperte sich.
Lasche sah auf.
Sie lächelte ihn an.
Er verdrehte die Augen.
„Nanana, Fjord, ist das denn eine Art?“, rügte sie ihn. Hirnstrøm hatte einst den Fehler gemacht, ihr zu erzählen, wofür das F. stand, was sie seither zu jeder sich bietenden Gelegenheit aufgriff.
Er grummelte vor sich hin.
„Möchtest du etwas sagen?“ fragte sie herausfordernd.
„Nee“, nuschelte er.
Lusa warf den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Händen affektiert durch die Haare.
„Gut. Was tust du da?“ Sie deutete auf das Blatt Papier, das vor ihm lag.
Lasche verschluckte die Antwort.
„Wie bitte?“ Lusa blinzelte.
„Vermisstenplakate“, kam es leise von Lasche.
„Du malst Vermisstenplakate? Für den Hund? Mit der Hand?“
„Ja, soll ich sie mit dem Fuß malen oder was?“ zischte Lasche und starrte Lusa böse an.
Lusa ignorierte ihn großzügigerweise, beugte sich über den Tisch und griff nach dem obersten Blatt des Stapels.

[siehe Bild]

Lasche hatte sich zurückgelehnt, die Arme verschränkt und die Lippen aufeinander gepresst, und starrte Lusa immer noch feindselig an.
Lusa seufzte innerlich. Das Arbeitsleben war kein Zuckerschlecken, wenn der beste Mitarbeiter eine männliche Megazicke war.
„Ehrlich Lasche, ich halte das für eine ausgezeichnete Idee. Und so gut, wie du Fufu gemalt hast, hast du sie bestimmt im Handumdrehen zurück.“
Lusa Persie war nicht der Typ Frau, der sich bei schamlosen Lügen schlecht fühlte. Sie vertrat die Ansicht, dass schamlose Lügen immer so dreist waren, dass sie für jeden Beteiligten problemlos als solche erkennbar waren. Wenn Lusas Gegenüber die Augen nicht öffnen wollte, konnte das wohl kaum ihr Problem sein.
„Glaubst du wirklich?“ Lasche sah sie hoffnungsfroh an.
„Ja, auf jeden Fall. Und jetzt lass uns mal über die Weihnachtsmarktsache reden.“ Selbst Lusa hatte Grenzen.

„Oxyuranus microloptipus?“ wiederholte Lusa.
„Microlepidotus“, korrigierte Lasche. „Inlandtaipan. Böse Sache. Fieses Gift. Ohne Gegengift keine Überlebenschance.“
„Moment mal“, Lusa Lippen bewegten sich, als sie nachdachte, „also wirklich Schlangengift? Im Glühwein?“
„Nun, nicht ganz“, gab Lasche zu.
„Schlangengift besteht aus Enzymen. Enzyme gehen ab 50°Celsius kaputt. Glühwein wird auf 70 bis 80°Grad erhitzt.“
„Kaputtes Schlangengift?“, überlegte Lusa. „Kalter Glühwein?“
„Nein“, sagte Lasche geduldig und stand auf. Über die Jahre hatte er gelernt, dass Lusa manchmal ein wenig begriffsstutzig war.
Er stöckelte um den Tisch herum, und lehnte sich mit dem Hintern an den Schreibtisch.
„Unser Mann war ein ganz Schlauer. Er hat das Gift an den Außenseiten der Glühweintassen angebracht. Also da, wo man die Lippen ansetzt. Er muss das in der Nacht vorher gemacht haben. Das Gift war zwischenzeitlich natürlich getrocknet, hat sich aber durch die Wärme des Glühweins einerseits und Speichel andererseits wieder mehr oder weniger verflüssigt.“
„Das klingt ja alles schön und gut, Fjord, aber – das macht so überhaupt keinen Sinn“, sagte Lusa nach einer Weile.
Hirnstrøm schloss die Augen. Frag mich, warum dann nur so wenige Leute gestorben sind, dachte er.
„Denn wenn das so stimmt, müssten doch mehr Leute gestorben sein als nur zwölf, oder?“
Wenn ich für jede dumme Frage von dir doch nur einen Cent bekäme, dachte Lasche und öffnete die Augen wieder.
„Das Gift des Taipans ist ein ganz besonderes“, überging er ihren Einwurf. „ Es wirkt auf zweierlei Arten. Einmal neurotoxisch und einmal hämotoxisch. In neurotoxischer Hinsicht kommt es zu Lähmungen, Krämpfen, Koma und dann Tod. Das zieht sich im Normalfall aber über ein paar Tage. Das Blutgift hingegen sorgt sofort dafür, dass das Blut gerinnt. Sobald die Gerinnung am Herz angekommen ist, bekommt man einen Herzinfarkt und fällt tot um. Das dauert im Normalfall nur eine halbe Stunde. Damit weißt du jetzt übrigens auch, was in den Obduktionsberichten steht.“
„Herzinfarkt?“
„Genau“, bestätigte Lasche. „Herzinfarkt infolge Vergiftung.“
„Bei allen?“
„Zwei fehlen uns noch. Gut, und der Zertrampelte fällt natürlich raus.“
„Ihr habt seit gestern Abend zehn Leichen obduziert?“
„Gut, was?“, grinste Lasche.
„Was deinen Einwand eben angeht: Du hast natürlich Recht. Es macht so überhaupt keinen Sinn“, fuhr er fort.
Lusa öffnete den Mund, doch Lasche kam ihr zuvor.
„Es sind deshalb nur zwölf Personen am Gift gestorben, weil…“, er klopfte einen Trommelwirbel auf seinen Oberschenkeln, „ … Schlangengift nur im Blutkreislauf funktioniert. Im Verdauungstrakt hingegen ist es für gewöhnlich völlig harmlos.
Außer“, setzte er hinzu, als er Lusas Gesichtsausdruck bemerkte, „man hat Verletzungen im Mundraum oder im Rachenbereich. Dann kann das Ganze ganz schön unschön enden.“ Er kicherte glücklich über sein albernes Wortspiel.
„Ich denke, der Täter wollte eigentlich mehr anrichten. Ein Glück für uns, dass er von Taipangift offensichtlich keine Ahnung hat. Allerdings wäre es schon interessant zu wissen, wie er daran kam.“

„Hast du den Bericht schon fertig?“, fragte Lusa. Seit einigen Minuten wanderte ihre Zunge unablässig über die Wangeninnenseiten und tastete nach Wunden.
„Liegt drüben.“ Lasche deutete auf ein Regal neben der Tür. „Roter Schnellhefter.“
„Gut, gut. Ich werd dann wohl mal meinen guten Freund Herr Lavken anrufen und ihm vom Stand der Dinge berichten, was? Der Typ ist vielleicht ein Idiot. Hat eine „Task Force“ eingerichtet. Als ob wir dadurch irgendwas verhindern könnte. So ein Depp.“ Lusa ging zur Tür, öffnete sie und griff nach dem Schnellhefter.
„Ach, bevor ich’s vergesse: Du musst dich in Bereitschaft halten. Du gehörst zur Task Force.“
Hirnstrøm stand auf und wackelte wieder um den Schreibtisch herum.
„Wer ist mein Vorgesetzter?“, fragte er, als er sich setzte.
„Immer noch ich“, erwiderte Lusa.
„ Muss ich tun, was Lacken sagt?“, wollte Lasche wissen.
„Nur, wenn ich es auch sage.“ Lusas Tonfall machte sehr deutlich, dass das eher nicht der Fall sein würde.
„Gut“, sagte Lasche und widmete sich wieder seiner Plakatmalerei.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Raissa (57)
(06.01.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 06.01.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
LudwigJanssen (54) antwortete darauf am 06.01.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
LudwigJanssen (54)
(06.12.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram