Die Kreise

Roman zum Thema Suche

von  Mutter

Einige Stunden später war sie ein zweites Mal auf dem Weg in die Stadt, Bragos direkt hinter ihr. In Gedanken ging sie immer wieder das Ritual durch, und überlegte wiederholt, ob sie wirklich das Richtige tat. Aber sie hatte nie ernsthaft in Erwägung gezogen, den Vertrauten nicht mit den beiden zu beschwören. Es wäre ihr einfach lieber gewesen, wenn ihre Eltern keine Zweifel in ihr geweckt hätten. Der Gedanke, das sie so etwas wie Misstrauen oder Furcht davon abhalten könnte, etwas mit Arram und Kelima zu teilen, verursachte eine leichte Übelkeit in ihr.
Auf dem Weg zu den Gebäuden der Akademie begegnete ihr keiner ihrer früheren Lehrer, und dafür war sie dankbar. Offiziell gleichgestellte Magierin, hatten sich die Verhältnisse nur subtil verschoben: Sie war jung, und weit unter ihnen im Rang, und Savena hatte wenig Lust, sich schon jetzt an den winzigen Nuancen höflicher Ehrerbietung, nach denen dieser Wechsel verlangte, zu versuchen. Es war einfacher gewesen, als sie noch Schülerin, und die Meister noch Lehrer gewesen waren.
Die Dämmerung hatte sich über die Stadt herabgesenkt, und in den Häusern wurden die ersten Öllampen entzündet, und die Straßen fingen an, sich zu leeren.
Viele der Läden standen noch offen, aber die meisten Besitzer hatten damit begonnen, ihre Geschäfte für die Nacht vorzubereiten. Savena kannte viele der Leute im Viertel, und wurde hier und da freundlich gegrüßt. Auch wenn die Studenten der Akademie manchmal, besonders in jüngeren Jahren, ein Ärgernis für die Bewohner darstellten, ließen sie auch Geld in den umliegenden Läden. Savena hatte die kleinen Gassen und Straßen hier im Viertel in den vergangenen neun Jahren fast besser kennengelernt als die im heimischen Konzilviertel.

Sie durchschritt das hohe bronzene Portal und warf einen kurzen Blick auf die niedrigen Steinmauern, die die äußere Umfassung der Akademie bildeten. Die Mauern dienten eher dazu, die Mitglieder der Universität vor den Blicken von Außenseitern abzuschirmen, als dazu, tatsächliche Eindringlinge abzuwehren. Dafür gab es weit potentere, vor allem magische, Mittel.
An der  Halle der Beschwörungen wartete bereits einer der Hausmeister auf sie. Dabei handelte es sich  um eines der kleineren, geduckten Gebäude, die sich hinter der eigentlichen Akademie befanden und dabei zu mehreren einen Innenhof bildeten.
‚Ich habe Eure beiden Schüler bereits eingelassen, Herrin. Die Tür ist offen.‘
Savena bedankte sich und der Mann zog sich zurück.
Sie betrat die Halle durch die große Tür und zog sie hinter sich zu. Bragos würde davor Posten beziehen und dafür sorgen, dass sie ungestört blieben.
Kelima und Arram saßen schon in der Halle und hatten einige Lampen entzündet, deren Flammen sich auf dem glänzenden Schwarz des Bodens spiegelten und ihn an flüssiges Pech erinnern ließen.
Savena begrüßte die beiden und begann, sich ihre Robe anzuziehen. Wie die der anderen beiden bestand sie aus weißer Seide und bildete einen scharfen Kontrast zum Boden.
Dabei fühlte sie eine merkwürdige Ruhe über sich kommen. Sie war im Laufe ihrer Ausbildung schon oft hier gewesen und hatte Beschwörungen vorgenommen, aber noch nie war sie dabei so alleine gewesen.
Lehrer und andere Studenten waren immer anwesend gewesen, und meist waren im Hintergrund die Geräusche der Akademie zu hören gewesen. Jetzt beherrschte absolute Stille den Raum, und sie konnte zum ersten Mal spüren, wie die Halle ihre volle Wirkung entfaltete. Sich vorstellen, wie die Meister hierher kamen, um wirklich mächtige Beschwörungen durchzuführen.

‚Hast du alles?‘ flüsterte Kelima.
Savena lächelte und öffnete ihre Tasche. Obwohl es keinen Grund gab, die Stimme zu senken, bezweifelte sie, dass sie selbst in der Lage wäre, hier laut zu sprechen.
Die drei begaben sich in die Mitte des Raumes. Nachdem sie bis auf eine alle Lampen gelöscht hatten, setzten sie sich in den kleinsten der neun mit Metall in den Boden eingelassenen Kreise. Immer größer werdend, bestanden sie aus verschiedenen edlen Metallen wie Kupfer, Silber und Gold und repräsentierten sowohl die unterschiedlichen Formen der Magie, die in Erinikia ausgeübt wurden, als auch die Neun Götter.
Der kleinste und innerste der Kreise, der aus weißem Silber bestand, war ursprünglich für nicht mehr als zwei Personen, Student und Lehrer, vorgesehen. So saßen sie eng beieinander, die Gesichter nach außen gewandt, nachdem sie alle Platz genommen hatten. Savena fühlte die anderen beiden in ihrem Rücken, und nahm jeweils die Unterschiede in Haltung und Bewegung wahr.
Arram wurde schlagartig ruhig und vermied jede unnötige Bewegung, während sie Kelima warm und unruhig neben sich spüren konnte. Arram war von Anfang an fasziniert davon gewesen, Savenas Vertrauten mit ihr zu beschwören, und brannte darauf, magisches Neuland zu betreten. Kelima dagegen hatte sich nicht wohl dabei gefühlt. Wenn es nicht ausdrücklich Savenas Wunsch gewesen wäre, hätte sie sich vermutlich geweigert, überhaupt teilzunehmen. Savena verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, sie überredet zu haben.

Es gab keine wirkliche, unmittelbare Gefahr. Es war nicht so, dass die Beschwörung schief gehen konnte, dass sie alle direkte Konsequenzen zu befürchten hatten.
Aber im Anschluss an das Ritual würden sie durch den Geist unmittelbar und direkt miteinander verbunden sein. Das, was die Gefahr ausmachte, war zugleich das, was Savena sich erhoffte. In indirektem Kontakt mit den beiden zu stehen, wenn sie Hunderte von Meilen entfernt war, sie zu spüren und etwas mit ihnen zu teilen.

Sie begann, leise die nötigen Formeln zu sprechen und hörte Arram und Kelima neben sich summen. Der äußerste der Kreise begann zu leuchten und ein schwaches Licht abzugeben. Das meiste davon wurde vom Boden verschluckt, aber der Rest formte eine helle Barriere, die in einem Rund vom Boden bis zur Decke reichte.
Sie konzentrierte sich auf den nächsten Ring, und auch dort entstand bald darauf eine Mauer aus Licht, etwas heller als die erste. Savena musste sich jetzt stärker konzentrieren, um beide Barrieren aufrecht zu erhalten, während sie sich die dritte vornahm. Es würde noch schwieriger werden.
Nach und nach errichtete sie alle neun Barrieren, und widerstand der Versuchung, dabei auf die Kraft von Arram und Kelima zurückzugreifen. Mit ihrer Hilfe wäre es viel einfacher gewesen, aber wenn sie alleine gearbeitet hätte, würden ihre eigenen Energien auch ausreichen müssen.
Stolz zwang sie, der Belastung standzuhalten. Sie konnte Arrams Verwunderung spüren, als sie nicht auf die Macht der beiden zugriff, konzentrierte sich aber sofort wieder auf ihre Arbeit.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(07.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 07.05.09:
Oha, das ist großes Lob ... O.o
Danke Dir. :)
Angelika Dirksen (62)
(07.05.09)
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 Mutter antwortete darauf am 07.05.09:
Hehe, danke schön ... :)

Fortsetzungen gibt's vermutlich so viele, dass ich tot bin, bis ich die alle auf KV untergebracht habe ...
Manusskriptseiten-Angabe sagt, es seien weit über 800.
O.o
Angelika Dirksen (62) schrieb daraufhin am 08.05.09:
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 Mutter äußerte darauf am 08.05.09:
Auch Jahre ... ;)
Ist quasi eine Jugendsünde. :D
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